Weimar, Sommer, Kunst: ein Fest
Kunstfest Weimar erfindet sich neu
veröffentlicht am 04.08.2014 | Lesezeit: ca. 7 Min.
Das 1990 ins Leben gerufene Kunstfest Weimar war eine der ersten deutsch-deutschen Kulturinitiativen nach dem Mauerfall. Zu seiner 25. Ausgabe erfindet es sich – wieder einmal – neu. Christian Holtzhauer nämlich, bislang Dramaturg an der Staatsoper Stuttgart, löst Nike Wagner ab, die die von ihr so getauften „Pèlerinages“ ein Jahrzehnt verantwortet hatte. Holtzhauer, dem Weimar seit seiner Kindheit vertraut ist, möchte gemeinsam mit seinen vier Mitarbeiterinnen die Begriffe „Kunst, Fest und Weimar wörtlich nehmen und ein Festival gestalten, bei dem Künstler verschiedener künstlerischer und geografischer Herkunft aufeinander treffen“. Man verstehe das Kunstfest aber auch als Fest, „als eine gute Gelegenheit also, Publikum und Künstler, Weimarer und Touristen, jüngere und ältere Zuschauer miteinander ins Gespräch zu bringen“. Die Stadt soll brummen, sie soll selbst Thema, Bühne und ein Hauptakteur des Kunstfests sein.
Weimar, heißt es, sei nicht nur Erbe, Weimar sei Gegenwart. Genau das führt das Kunstfest in einer Vielzahl von häufig kostenfreien Veranstaltungen vor. Das Kunstfest, so die Intention, soll zu einem Kunst-Fest werden. Den Festivalauftakt am 22. August gestaltet die französische Straßentheatergruppe Histoire de Familie, die mit ihrer „Disco Power Band“ kostümiert durch die Straßen flaniert und zum Tanzen und Mitsummen einladen wird. Am Abend feiert der Tanzabend „Nach einer wahren Geschichte“ in der Choreographie von Christian Rizzo in der Weimarhalle Deutschlandpremiere, ehe das Festivalzentrum auf dem Theaterplatz eröffnet wird.
„Beteiligt euch! Schaut! Spielt! Seid Teil des Kunstfestes 2014!“ – so lauten Motto und Aufruf der neugeschaffenen Zuschauerakademie. „Mein Kunstfest“ startet erstmals 2014 mit vier Laboren für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, in denen geforscht, gespielt und geschrieben wird. Die Teilnehmer beschäftigen sich mit den Themen und Inszenierungen des Kunstfests, entwickeln Texte und Szenen, vergeben Auszeichnungen und präsentieren alles auf einer großen Party zum Finale am 7. September um 15 Uhr im Festivalzentrum.
Ein Höhepunkt des Kunstfestes ist die Verleihung der Goethe-Medaille im Stadtschloss am 28. August, dem Geburtstag des Namensgebers. Sie geht, postum, an den Epoche oder zumindest Ära machenden belgischen Opernintendanten Gerard Mortier, an die polnische Regisseurin, Intendantin und Festivalleiterin Krystyna Meissner und an einen der bedeutendsten Repräsentanten des internationalen Gegenwartstheaters, den aus Texas gebürtigen Robert Wilson. Anstelle des im März verstorbenen Mortier wird dessen langjähriger Weggefährte, der Dirigent Sylvain Cambreling, die Auszeichnung entgegennehmen. Mit der diesjährigen Medaillen-Vergabe wird die Bedeutung der Theaterarbeit für den internationalen Kulturaustausch in den Blick gerückt. Am Nachmittag kann man im Deutschen Nationaltheater von 16 Uhr an mit den Preisträgern diskutieren.
Im E-Werk stellt sich am Vorabend von Goethes Geburtstag Robert Wilson in einem intimen Selbstporträt vor. Er greift seine legendären Bühnenarbeiten auf, darunter „Einstein on the Beach“ (Philip Glass), Wagners „Ring“, Heiner Müllers „Quartett“. In der zweiten Hälfte des Abends ist das Publikum eingeladen, den Künstler im Rahmen eines informellen Publikumsgesprächs noch besser kennenzulernen: Eine einmalige Gelegenheit, einen der größten Bühnenkünstler unserer Zeit zu befragen – Theatergeschichte hautnah!
Teil des Angebots ist über die kompletten zwei Wochen hinweg „Acting Space – Bauhaus goes Kunstfest“. Studierende unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft nutzen den öffentlichen Raum Weimars als Bühne für ihre Arbeiten in den verschiedensten Formen und Medien, in welchen sie sich mit der Stadtgeschichte auseinandersetzen. Eine Ausstellung des Schweizer Künstlers Hans Peter Litscher im Goethe-Nationalmuseum nimmt Goethes Zebrabegeisterung und deren Rezeption von Nietzsche und Benjamin über Oskar Schlemmer bis hin zu Che Guevara in den Blick. Litschers Landsmann Mats Staub stellt sich in der Galerie Eigenheim mit dem Langzeitprojekt „21 – Erinnerungen ans Erwachsenwerden“ vor. Mit dieser wachsenden Sammlung von Einzelportraits entsteht eine außergewöhnliche Galerie des letzten und des gegenwärtigen Jahrhunderts.
Vom 29. August bis zum 1. September ist das Schauspiel Frankfurt zu Gast. „Your Lover Forever“ antwortet auf die Beziehung des Dichterfürsten zu Charlotte von Stein. In Briefen von Nora Gomringer, Kerstin Specht, Ursula Krechel und anderen erfährt diese außergewöhnliche Geschichte einer Liebe ihre Wiedergeburt. Regie führt Lily Sykes, die Musik stammt von Burkhard Niggemeier. Die deutsch-französische Tanzcompagnie shifts verspricht mit „Festina Lente“ am 4. und am 5. September im Schießhaus zwei spannende Abende. Die Grenzen sind fließend. Wer ist Zuschauer? Wer Akteur? Choreographie und Konzeption stammen von David Brandstätter und Malgven Gerbes, die die Compagnie vor sieben Jahren gründeten.
Das Kunstfest Weimar ist eingebunden in den Weimarer Sommer, der, wie es sich für eine Europäische Kulturhauptstadt (das war 1999) schickt, mit einem überragenden Programm aufwarten kann. Er eröffnete Mitte Juli mit Goethes Versepos „Reineke Fuchs“, auf dem Theaterplatz dargeboten als satirische Glosse. „Meisterschüler im Konzert“ heißt eine Reihe in der Musikhochschule, in der sich Teilnehmer der 55. Weimarer Meisterkurse präsentieren. Am 2. August spielen um 16 Uhr Meisterschüler des Bratschisten Nils Mönkemeyer. „Die Besten zum Schluss“ gestalten um 19.30 Uhr im Großen Saal der Weimarhalle gemeinsam mit der Jenaer Philharmonie ein Konzert, bei dem der Publikumspreis vergeben wird.
Teil des Weimarer Sommers ist wiederum der Yiddish Summer. Im Jugend- und Kulturzentrum Mon Ami wagt sich die Berliner Gruppe Fayvish am 7. August an „Yiddish New Wave“ und bringt Poprock, Liedermacherlieder und Jiddisch zusammen. Anderntags gibt das Krása Quartett im Mon Ami Werke von Viktor Ullmann, Erwin Schulhoff und Hans Krása, die allesamt der Shoa zum Opfer fielen. Zum Abschluss des Yiddish Summer bietet in der Tanzwerkstatt am 16. August ein Abend mit dem hauseigenen Orchester, den Künstlern und Dozenten des Festivals ausgiebig Gelegenheit, die Beine und Hüften zu schwingen.
Im Nationaltheater wird Goethes Geburtstag mit einem Nachtkonzert gefeiert. Die Staatskapelle interpretiert von 22 Uhr an Debussys „Trois Nocturnes“, Ligetis wundersame „Atmosphères“ und Mozarts Jupiter-Symphonie. Das Angebot des Sommers in Weimar ist so hochkarätig wie vielfältig. Mehr dazu unter diesem Link: http://www.weimar.de/tourismus/kultur-freizeit/weimarer-sommer/alle-termine-auf-einenblick/
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