Szene

Jamaican Jazz Jamboree

Die Story des Jamaican Jazz

veröffentlicht am 26.09.2012 | Lesezeit: ca. 11 Min.

Als festes, eigenständiges Genre ist er eigentlich nicht wirklich etabliert, der „Jamaican Jazz“. Vielmehr verstehen viele darunter schlicht Jazzmusiker aus Jamaika und weniger die inzwischen vielfach etablierte Mischung aus Jazz und Reggae. Dabei gibt es nicht nur hervorragende Jazzmusiker aus der Karibik, die ihrer Musik oftmals den Rhythmus der Insel zugrunde legen (z.B. Alexander Monty Morris, Ernest Ranglin). Weltweit formieren sich zunehmend Musiker und Musikgruppen, deren Programm vorwiegend aus Jazz-Kompositionen besteht, die durch jamaikanische Musik, durch Ska und Reggae, bestimmt werden.

Als Wurzel dieser Mischung gelten die legendären THE SKATALITES. Sie veränderten den Beat von Mento, Calypso, Latin, Boogie Woogie und R & B zu einem eigenständigen Sound, der die Musikgeschichte der Insel seitdem entscheidend prägt. Ende der 50er, Anfang der 60er, orientieren sie sich an der Jazzmusik und versehen diese mit ihrer eigenen Note. Der Ska ist geboren und trägt jede Menge Jazz in sich. THE SKATALITES spielen vorwiegend instrumental und bedienen sich Eigenkompositionen oder covern quer durch die Musikgeschichte. Die hypnotische Rhythmusgruppe gibt den Solisten jede Menge Freiraum zur Improvisation. Die Faszination ihres eigenständigen Klangs ist seitdem ungebrochen.

Erst als sich der Musikmarkt Amerikas nachhaltig verändert, als Soulmusik in den Vordergrund rückt, verändert sich Ska zum ruhigeren, souligen und meist mehrstimmigen Rock Steady. Später geht dieser in Reggae über, der mit Bob Marley, Desmond Dekker u.a. weltweit populär wurde. Einflüsse aus Rock und Pop und vor allem die Rastafari-Bewegung prägen von da an die einzigartige Musik der Insel. Später kommt Hip-Hop als massiver Einfluss dazu.

Seitdem überschwemmt Dancehall, der mit dem einstigen Charme der jamaikanischen Musik allerdings nichts mehr zu tun hat, den weltweiten Musikmarkt. Hatte es das karibische Volkslied damals noch geschafft den genialen Soundtrack für den James-Bond-Film Dr. No zu prägen, der bis dato unübertroffen und in seiner Art einzigartig bleibt, schlägt der heutige Jamaican Beat ganz andere Töne an. Die musikalische Anmutung und auch die Inhalte der Texte haben sich deutlich verändert.

Große Namen des „Jamaican Jazz“ sind das kubanische Skatalites-Mitglied Tommy Mc Cook („Reggae In Jazz“, 1976), der maßgeblich kompositorischer Wegbereiter des Genres war. Er entdeckte seine Liebe zum Jazz über John Coltrane, den er während seiner Zeit in Miami sah. „The Man From Wareika“ (1976) von Rico Rodriguez ist ein weiteres Beispiel, das heute noch als wegweisend für die jamaikanische Instrumentalmusik gilt und dem die wachsende Popularität des „Jamaican Jazz“ zu verdanken ist. Mit dem Album erfuhren die jamaikanischen Jazzklänge ihre längst fällige Anerkennung: es wurde vom großen Label Blue Note veröffentlicht. Rico Rodriguez`s feste Posten in der Musikgruppe JAZZ JAMAICA von Gary Crosby und vor allem auch bei Jools Holland sind daher nur folgerichtig gewesen und stellten seinen stetigen Beitrag zur Erneuerung des jamaikanisch orientierten Jazz sicher. Aber auch Ernest Ranglin hat immer wieder Jazzalben aufgenommen, die sich der karibischen Rhythmen bedient haben. Seine Produktion des Welthits „My Boy Lollipop“ (1964) mit der Sängerin Millie Small kennen wir alle.

Dass er im gleichen Jahr über Monate hinweg einen Steady-Gig im Ronny Scott`s Jazz Club hatte, weiß kaum jemand. Lediglich ein Live-Album zeugt noch von seinen ersten Jazz-Jahren. Und auch als Studio-Gitarrist oder Gitarrist für Jimmy Cliff ist er vielen noch immer besser im Gedächtnis, als seine Jazzprojekte bekannt wären, in denen er oft von Pianist Monty Alexander begleitet wird, mit dem er unlängst wieder auf Tour war. Beide wurden begleitet von keinen Geringeren als den legendären Sly & Robbie an Bass und Schlagzeug. Jazzkenner erinnern sich vielleicht an die grandiosen MPS-Scheiben von Monty Alexander, auf der auch Ernest regelmäßig zu hören ist. Inzwischen sind es teuere Sammler-Alben geworden.

Eine neue Dimension von Ska-Jazz brachte schließlich das New York Ska Jazz Ensemble nach Europa und gründete damit den zeitgenössischen Ska-Jazz. Seit 1994 versammelt Fred Reiter erstklassige Musiker um sich, um mit Jazz-Harmonien und viel Geschwindigkeit über die einnehmenden, jamaikanischen Rhythmen zu spielen. Seitdem hat die Gruppe die halbe Welt bereist, große Jazz-Festivals bestritten, aber auch das eingefleischte Ska-Publikum für sich gewonnen.

Ihre extrem tanzbare Jazzmusik wurde schnell zum Modell für Spitzenmusiker aus der ganzen Welt. Ob Tokyo Ska Paradise Orchestra, Rotterdam Ska Jazz Foundation, Amsterdam Faya Allstars, Freddy Loco & His Gordos Ska Band, St. Petersburg Ska-Jazz Review, The Oldians aus Spanien oder Eastern Standard Time aus Washington D.C., die explosive Mischung aus Ska und Jazz erobert seitdem mehr und mehr die Bretter, die die Welt bedeuten.

Am 21. Dezember ist das New Yorker Ausnahme-Ensemble zu Gast in Bamberg und eröffnet die Reihe „Jamaican Jazz Night“ im Morph Club. Wir haben Fred Reiter, den Kopf der Band, im Vorfeld getroffen und mit ihm über das Phänomen New York Ska Jazz Ensemble gesprochen, das gleichzeitig für das Phänomen erfolgreicher Ska-Jazz-Musik weltweit steht:

New York Ska Jazz Ensemble – deutsch!

Interview:

Das New York Ska Jazz Ensemble ist weltweit die erfolgreichste Ska-Jazz/Jamaican Jazz-Band. Woran liegt das?

Fred Reiter:

Nun. Ich denke es gibt einige gute Gründe für unseren Erfolg. Zunächst einmal, weil es das NEW YORK SKA JAZZ ENSEMBLE war, das den Genremix aus Ska und Jazz „erfunden“ hat. Ich bin derjenige, der die Fusion aus Ska und Jazz, der die Terminologie Ska-Jazz eingeführt hat. Es gibt viele Bands, die Namen und Stilistik kopieren, aber wir sind die Originale auf diesem Gebiet und dadurch ganz automatisch auch der Maßstab. Natürlich gab es vor uns auch schon THE SKATALITES und JAMAICAN JAZZ. Wir waren jedoch die ersten, die das Tempo hochgefahren und konsequent Jazz-Harmonien angewandt haben. Das war im Reggae/Ska vor uns nicht üblich. Ebenso wie unsere vielen Hommagen an Jazzmusiker. Wir haben dadurch einen Standard gesetzt und tun das immer noch. Dazu kommt, dass ich als Kopf des NEW YORK SKA JAZZ ENSEMBLES stets darauf achte, das Level der Ska- und Reggaemusiker zu heben und ein wirklich hohes Niveau anzubieten. Wir wollen die besten Fähigkeiten und die beste Performance, die wir anbieten können. Dazu kommt, dass meine Musiker alle extrem nett und talentiert sind. Und unsere Musik ist nach wie vor auf der ganzen Welt gefragt. Das ist für uns eine Ehre und ein Geschenk.

Ihr bewegt Euch also im Schnittmengenbereich zweier Genres. Jazz und Ska. Was denkst Du ist so speziell daran, sie zu mischen? Wäre es nicht besser sich puristisch auf eines der Genre zu konzentrieren – einmal angenommen Ska ohne Jazzeinfluss ist überhaupt möglich. Immerhin war Jazz eine der einflussreichen Zutaten für die Entstehung der Skamusik!?

Fred Reiter:

Ska ist generell sehr vielseitig. Wenn Du es ordentlich machst, kannst Du ihn mit Jazz, Funk, Rock, Pop und was auch immer kombinieren. Jazz ist für mich Improvisation. Wenn du also Ska und Jazz mischst, dann fügst Du das Beste beider Welten zusammen: Den Groove und die Trance des Ska, so dass die Leute tanzen können und das Funkeln des improvisierten Jazz, der den etwas intellektuelleren Hörer anspricht.

Ihr sprecht also zwei verschiedene Arten von Publikum an. Gibt es auch Überschneidungen?

Fred Reiter:

Ich denke es ist eine Mischung. Insgesamt mag ich das Schubladen nicht so gerne. Das NEW YORK SKA JAZZ ENSEMBLE spielt gute Musik, die funktioniert, weil der Hörer dazu tanzen oder auch interessiert zuhören kann. Wir überzeugen durch Qualität und gewinnen sehr verschiedene Hörer für unsere Musik. Ganz egal, ob du sie Jazzer, Skafans oder wie auch immer nennst.

Wenn wir dennoch die Schubladen öffnen – welche Erfahrungen macht ihr bei Auftritten in der Ska-Szene und welche bei Konzerten in Jazz-Clubs oder bei Jazzfestivals.

Fred Reiter:

Ich liebe vor allem die großen Shows. Wir haben beim ROCK THE PEOPLE in Prag, beim TSPO Jamboree in Tokio oder beim BOB MARLEY FESTIVAL in L.A., San Diego vor jeweils 10.000 Leuten gespielt und hatten viele andere großartige Shows. In der Skaszene hast Du stets enthusiastische Fans, die pausenlos tanzen und mit uns Party machen. Ich liebe die Energie einer guten Ska-Show. Aber ebenso reizvoll war es bei großen Jazz Festivals zu spielen (North Sea, Festival en Ete Montreal, Toronto, Quebec, Discover Jazz uvm.) Das Publikum liebt diese Musik und zeigt das durch Beifall für Solos usw. Ich liebe alle diese Konzerte. Oder anders gesagt – ob Du es Ska-Show oder Jazz-Gig nennst – gib uns ein Publikum, das gute Musik liebt und wir werden es begeistern. Ich liebe es auf der Bühne zu sein. Und wenn das Publikum anfängt mitzusummen oder mitzusingen, das macht mich richtig stolz.

Ihr habt inzwischen mit zahlreichen Ska-Jazz-Bands weltweit gespielt. Wen von ihnen würdest Du uns empfehlen?

Fred Reiter:

Es gibt so viele davon. TOKYO SKA PARADISE ORCHESTRA aus Tokio und DESORDEN PUBLICO aus Venezuela sind zwei meiner Favoriten. Ich war als Gast mit FREDDY LOCO & HIS GORDOS SKA BAND aus Belgien unterwegs, die besser klingen als je zuvor. KEVIN BATCHELOR (von The Skatalites) und ich haben eine neue Band in New York City, die FORTE heißt und schon bald international touren wird.

Ihr seid am 21. Dezember in Bamberg zu Gast und nicht zum ersten Male in der kleinen Stadt. Euer letzter Besuch liegt allerdings Jahre zurück. Was darf das Publikum diesmal erwarten.

Fred Reiter:

Es wird eine schweißtreibende Party werden, bei der das Publikum für einen Abend lang alles um sich herum wird vergessen können, um sich komplett im Ska zu verlieren.

Euer aktuelles Album „Double Edge“ ist noch kein Jahr alt. Und seitdem seid ihr pausenlos auf Tour. Gibt es schon Pläne für 2013?

Fred Reiter:

Nun, zunächst einmal denken wir an das, was direkt vor uns liegt. Im Oktober touren wir durch Mexico. Für New York City sind jetzt und danach viele Auftritte geplant. Und dann geht es von 10. Dezember bis 05. Januar wieder auf Europa-Tournee durch Deutschland, Frankreich, Holland, Italien, die Schweiz, die Türkei und Spanien. Im Frühjahr 2013 werde ich mir dann eine Pause gönnen. Danach gibt es Pläne für eine große Show in Belgien im Mai, ein weiteres Album steht auf dem Plan sowie Auftritte in Kolumbien, Costa Rica usw. Wir werden sehen, was sich ergibt.

Hast Du von dem Projekt „Western Standard Time“ gehört, das von dem Trompeter Eitan Avineri initiiert wurde. Er hat sehr viele Musiker zusammengetrommelt, um seine Arrangements von Skatalites-Kompositionen mit einer Big Band aufzunehmen.

Fred Reiter:

Natürlich. Es ist ein tolles Projekt und die Aufnahmen klingen wunderbar. Wir hatten 1996 in einer Big Band-Besetzung den Titel „Professor Bebop“ für unser Album „Low Blow“ aufgenommen. Er ist eine von Ric`s Kompositionen.

Was würdest Du von einem regelmäßigen „Jamaican Jazz“-Festival halten, vielleicht hier in Bamberg, das sich auf Ska-Jazz und Jamaican Jazz konzentriert? Und vielleicht auch eine Aufnahme-Session als Teil einer solchen Veranstaltung?

Fred Reiter:

Klingt perfekt. Ich hatte einen Promoter in Italien, der mit einer ähnliche Idee spielte. Leider ist es bisher nie zustande gekommen. Ich würde mich sehr darauf freuen. Es aufzunehmen ist immer eine gute Idee. Damit kann die Veranstaltung für die Nachwelt dokumentiert werden.

Wo spielt ihr an Weihnachten und wie verbringt ihr folglich Weihnachten auf Tour?

Fred Reiter:

Wir spielen an Weihnachten seit 10 Jahren in Italien. Wir nennen es „Spaghetti-Weihnachten“ Es gibt diesen festen Auftritt im Flog Auditorium in Florenz. Dort kommen gewöhnlich gut 700 Personen. Der Eigentümer ist ein supernetter Typ, der Techniker und die Organisatoren sind sehr professionell und wir sind inzwischen gut befreundet. Entsprechend spektakulär fällt das Konzert stets aus.

Informationen:

Jamaican Jazz Night mit dem NEW YORK SKA JAZZ ENSEMBLE

Fr., 21. Dezember 2012

22.00 Uhr

Morph Club, Bamberg

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