Thüringer Trouvaillen
Was die Bühnen in Erfurt und Weimar in der neuen Spielzeit zu bieten haben
veröffentlicht am 29.09.2014 | Lesezeit: ca. 5 Min.
Nach der Vorschau auf das, was die Spielzeit 2014/15 in fränkischen Theatern und im frankennahen Meiningen zu bieten hat (Art5/III August/September 2014), lohnt ergänzend der Blick auf die kulturgeographischen „Ränder“ in Thüringen. Dort warten, gut erreichbar, mit dem hauptstädtischen Theater Erfurt und dem traditionsbefrachteten Deutschen Nationaltheater Weimar zwei Schlachtrosse deutscher Bühnenkultur auch auf neugierige Besucher aus Franken. Im Mekka der deutschen Klassik hat die Saison schon früh begonnen, nämlich mit einem Theaterfest am 30. August. Das Kunstfest Weimar schloss sich an, die erste Opernpremiere fand mit Giacomo Puccinis ‚La Bohème‘ am 9. September statt.
Das Weimarer Schauspiel setzt diesmal schwerpunktmäßig auf den weiland Lokalmatador Goethe und – in sinniger Verbindung damit – auf die Großschriftsteller mit dem Nachnamen Mann. Eine Mephisto-Version nach dem Roman von Klaus Mann macht den Anfang, gefolgt von einer Adaptation der ‚Lotte in Weimar‘ nach Thomas Mann. Wer Goethe lieber etwas aufgepeppt bevorzugt, hat die Möglichkeit, sich Balladen, Lieder und weitere Texte des Großmeisters unter dem Titel „Goethe mit Schlagwerk und Geige“ instrumental unterstützt kredenzen zu lassen. A propos kredenzen: im wörtlichen Sinne aufgetischt wird in dem kulinarisch-dokumentarischen Vierteiler „Dinner bei Harry Graf Kessler und Henry van de Velde“, denn wenn dort jeweils einer der Künstler wieder auferstehen soll, die einst bei den berühmten Salonabenden philosophische Gespräche führten, sind kulinarische Leckerbissen für das quasi als Voyeure beiwohnende Publikum inbegriffen.
Weiter im Repertoire und offensichtlich ein Renner – weil vielfach schon jetzt ausverkauft – ist „Tschick“, eine Bühnenfassung des Romans von Wolfgang Herrndorf, in dem es um die ebenso rührende wie komisch-lakonische Geschichte von zwei 14-jährigen Jungs geht, die auf ihrer Reise durch die ostdeutsche Provinz (in einem geklauten Lada!) erst das Fremde vor der eigenen Haustür und dann wahre Freundschaft entdecken.
Auf der (bisweilen krampfhaften) Suche nach jugendlichem oder gar kleinkinderhaftem Nachwuchspublikum – man muss ja an die Zukunft denken! – schießt die Staatskapelle Weimar jetzt den Vogel ab: es gibt am 1. Oktober allen Ernstes ein „Babykonzert“ für die Allerkleinsten von 0 bis 12. Wir schlagen vor, demnächst auch die Ungeborenen ab der Fertilisierung musikalisch zu fokussieren... Dieselben wackeren Staatskapellisten werden ab dem 31. Oktober für einen neuen Weimarer „Rosenkavalier“, einem Beitrag zum Strauss-Jubiläumsjahr, erheblich höheren Anforderungen genügen müssen. Ähnliches gilt im Januar 2015 für Guiseppe Verdis „I Masniaderi“ (Die Räuber) und im April für eine neue „Zauberflöte“.
Auch am thüringischen Landestheater Erfurt hat die Saison vor wenigen Tagen begonnen und wurde mit Cole Porters brillanter Musicalkomödie „Kiss me, Kate“ bereits die erste Musiktheaterpremiere absolviert. Die zweite Neuproduktion, Giacomo Puccinis Tragikoper „Madame Butterfly“, gibt es ebenfalls schon frühzeitig (ab 27. September). Das Musiktheater scheint sowieso der Schwerpunkt des von Guy Montavon geleiteten Hauses zu sein, denn es folgen noch sechs weitere Neuinszenierungen, davon drei aus dem gängigen Repertoire (Mozarts „Entführung aus dem Serail“, Verdis „Rigoletto“ und Offenbachs Operette „Pariser Leben“). Charles Gounods mittlerweile auch fest etablierte Faust-Version, die in Deutschland in der Regel unter dem Titel „Margarethe“ angeboten wird, gibt es als letzte eigenständige Produktion der Saison, während der Ausklang mit Umberto Giordanos „Andrea Chénier“ auf einer Koproduktion mit dem Staatstheater Nürnberg beruht.
Besonderes Augenmerk werden die Eingeweihten unter den Opernfreunden auf einen Termin am 30. Januar richten. Für diesen Tag kündigt das Erfurter Theater nämlich eine Erstaufführung an: Ernest Reyers bereits 1884 in Brüssel uraufgeführte Grand Opéra „Sigurd“ wird erstmals in Deutschland auf die Bühne gewuchtet. Das Werk, dem die Fabeln des Nibelungenliedes und der Edda ähnlich weitgehend zugrunde liegen wie der „Götterdämmerung“ Richard Wagners, wurde an der Pariser Oper lange Zeit mit Erfolg gespielt, geriet jedoch ab 1930 in Vergessenheit. Sigurd ist – man ahnt es – kein anderer als Siegfried und hat es statt mit Gutrune mit Hilda zu tun (Gunthers Schwester), aber ansonsten herrscht personelle Übereinstimmung mit Wagners Ringfinale. Allerdings dürfen am Ende Attilas Hunnen die Burgunder überrennen. Der Intendant lässt es sich nicht nehmen, diese Trouvaille selbst zu inszenieren.
Besonders stolz wird das Erfurter Theater auf eine für Ende November geplante Uraufführung sein, die Oper „Das schwarze Blut“, die sich um das Leben eines Sonderlings dreht, dessen Nähe zu Heinrich Manns „Professor Unrat“ unübersehbar ist. Das Libretto beruht auf dem gleichnamigen Roman von Louis Guilloux aus dem Jahre 1935, der die katastrophalen Auswirkungen des I. Weltkrieges auf das alltägliche Leben beleuchtet. Die Musik stammt aus der Feder von Francois Fayt, die Inszenierung wird von Marc Adam besorgt.
Copyright Fotos: © Lutz Edelhoff (Theater Erfurt bei Nacht) und Thomas Müller (Nationaltheater Weimar)