Stimmen

Bierdeckelgeschichten und Kuchendeckel

veröffentlicht am 12.10.2012 | Lesezeit: ca. 4 Min.

Die kulturelle Leistung als solche ist längst nicht mehr genug, um das verwöhnte Publikum zum Kulturereignis zu locken. Nicht umsonst konkurrieren Veranstalter nicht nur mit dem Kulturangebot selbst, sondern servieren es in besonders ausgewählten Räumen wie schmucken Kirchen, historischen Sälen und gepflegten Parks. An Orten von besonders schöner, angenehmer Atmosphäre eben. Oder anders, an möglichst spektakulären Orten. Im intimen Raum eines Rucksackhauses, in der Sternwarte, in einem alten Industriegebäude, im alten Hallenbad, auf dem Dach eines Hochhauses, in den Katakomben oder in einem eigens gebauten Iglu mitten in der Stadt, auf dem Maxplatz. Das Erlebnis der besonderen Art ist gefragt. Der Schritt zur Erlebnisgastronomie, zur Kultur als Beiwerk und bloßem Motor für das Wirtschaften ist da nicht mehr weit. Deshalb ist höchste Vorsicht geboten. Nicht immer ist es zielführend sich zuerst über den besonderen Veranstaltungsort zu verständigen, um anschließend am künstlerischen Konzept zu feilen. Natürlich haben solche Formate ihre Berechtigung und versprühen besonderen Reiz, heben sich von der Flut an Angeboten ab und locken mit dem Versprechen nach mehr Publikum. Und doch bergen sie große Gefahr am eigentlichen Ziel weit vorbei zu schießen, nämlich den kulturellen und künstlerischen Inhalt anbieten und vermitteln zu wollen.

Denkverbote darf es deshalb freilich keine geben. Und gegen gute Ideen und neue Ansätze ist ja nichts zu sagen. Wenn Sie das Ziel und damit den Inhalt nicht vor lauter Form aus den Augen verlieren. So gesehen bei den Initiatoren von „Bamberg liest…“, Martin Beyer und Lukas Wehner. Ihre Bierdeckelgeschichten sind inzwischen eingeführt und freuen sich zunehmender Beliebtheit. Kurzweilige, kurze Geschichten von Jedermann auf ansprechenden Bierdeckeln direkt auf den Tisch. Ein Rezept, das funktioniert und im Idealfall Appetit auf mehr macht. Mit ihren Kuchendeckeln legen sie nach. Lyrik für Puddi lautet die Aufgabe und jeder darf mitmachen. Denn ein großer Ernährungskonzern ist an Bord und auf der Suche nach „Genießern“. Auch Ötti und Fin sind dabei und so entsteht ein neues kleines Universum für unsere kleinen, großen Autoren und Zuckerschnuten. Eine innovative Literaturvermittlung ist es wohl. Aber auch eine, die ausprobiert sein will.

Und auch für alle Skeptiker hält die „Bamberg liest…“-Mannschaft eine Antwort bereit:
Eine etwas konventionellere Herbstlesetour steht auf dem Programm. Aber auch bei ihr wird auf viel versprechende Nachwuchsarbeit und kulinarische Zugaben nicht verzichtet. Etablierte Autoren nehmen die Nachwuchstalente auf ihr Tandem und bieten ihnen somit ihre Bühne. Am Freitag, den 09. November um 19.30 Uhr ist es soweit. Texte aus der Tandem-Anthologie „Stirb & Werde“ stehen auf dem Programm. Es lesen gemeinsam: Tanja Kinkel und Annika Heidrich, Martin Beyer und Judith Wiedemann, Mia Pitroff und Filiz Penzkofer. Den Rahmen baut DJ Kermit mit Poetry Clips von Nora Gomringer. Ort des Geschehens ist das Schloss Reichmannsdorf in Schlüsselfeld. Und wer sich auf den „Doppelkopf der Literatur“ einstimmen will, der hat die Gelegenheit dazu bereits am 20. Oktober um 19.30 Uhr, wenn es heißt, Goethe führt die kulinarische Reise nach Italien an, ins Land, wo die Zitronen blühen. Für die Kleinen verwandelt sich das Schloss am 02. November um 14.00 Uhr zum Gruselhaus. Ein Gespensternachmittag für Kinder von 9 bis 14 Jahren. So macht Literatur Spaß, ohne sich selbst zu verstecken. Einzig ein Restrisiko bleibt. Doch das ist der unumgängliche Weg zu derartigem Audience Development wert und könnte sich, nachhaltig betrachtet, auszahlen. Darum einsteigen und mitfahren zu www.bamberg-liest.de!

Weitere Artikel: