Theaterwunder in Frankens Norden
Bodo Busse, Intendant des Coburger Landestheaters, geht mit viel Rückenwind in seine fünfte Spielzeit
veröffentlicht am 25.11.2014 | Lesezeit: ca. 8 Min.
Wahrlich, es lohnt sich, des Theaters wegen nach Coburg zu fahren! Das gilt zwar schon seit langer Zeit, aber in den letzten Jahren vielleicht mehr denn je. Das dortige Landestheater - de facto Bayerns kleinstes Staatstheater, weil es seit dem Theatervertrag von 1920 eine Bestandsgarantie besitzt – schwimmt geradezu auf der Erfolgswelle. Ein durchschlagender Coup mit überregionalem Echo war z.B. die Doppelinszenierung des „Lohengrin“ (Wagner/Sciarrino), die Eleonore Büning von der FAZ zu der Bemerkung veranlasste:
„Auch kleine Häuser schaffen Großes“. Die Kritiker schwärmen in diversen Feuilletons von einigen Produktionen der letzten Zeit, z.B. von der fulminanten Inszenierung der Purcell-Oper „King Arthur“. Bezüglich der neuesten „My Fair Lady“ war von „purem Coburger Theaterglück“ die Rede. Sogar Vorschläge für die Ernennung zum „Opernhaus des Jahres“ kursieren bereits. All das ist wohl Grund genug, ein paar Fragen an den Intendanten Bodo Busse zu stellen, der das Theater mittlerweile in die fünfte von ihm verantwortete Spielzeit führt. Busse ist von Haus aus Germanist und Musikwissenschaftler, hat aber zudem entscheidende Prägungen in der rhetorischen Schule von Walter Jens erfahren dürfen. Vor seiner Tätigkeit in Coburg war er an verschiedenen Häusern tätig, u.a. an der Staatsoper Wiesbaden, wo er für den Bereich Musiktheater verantwortlich zeichnete.
Interview:
Art5/III:
Womit erklären Sie sich den enormen Erfolg Ihres Hauses in den letzten Jahren, liegt es an neuen Köpfen oder an Ihren eigenen Ideen?
Bodo Busse:
Eigentlich mag ich die Behauptung, neue Besen kehrten gut, nicht so sehr, denn ich setze auf Kontinuität und auf den Respekt vor dem, was vor einem geleistet wurde. Schließlich habe ich hier kein desolates Haus vorgefunden. Aber natürlich gab es wie bei jedem Intendantenwechsel auch weitere Änderungen im Personal. So ist Matthias Straub unser neuer Schauspieldirektor, und Roland Kluttig hat als neuer Generalmusikdirektor schon von prominenter Seite höchstes Lob erhalten. Ich vermute aber, dass es vor allem unser spartenübergreifendes Konzept ist, das überzeugt. Wir wollen alle Sinne gleichzeitig ansprechen, unsere Aufführungen sollen synästhetische Erlebnisse sein. So ist beispielsweise unser Ballett an vielen Produktionen beteiligt.
Art5/III:
A propos Ballett, das ist ja in deutschen Landen eine mittlerweile chronisch gefährdete Sparte. Jedenfalls hat mancherorts angesichts von drohenden Sparmaßnahmen das Streichen immer beim Ballett angefangen. Ist Ihres auf der sicheren Seite?
Bodo Busse:
Absolut! Ballett und Tanz, das ist stärker als Worte, das ist eine internationale Sprache, die auf der ganzen Welt verstanden wird. In der Region Coburg gibt es ein großes Ballettpublikum, unsere 90 Vorstellungen pro Saison sind gut besucht, und im Übrigen wird das zehnköpfige Ballettensemble, wie schon gesagt, in andere Produktionen eingebunden. Ich lege ansonsten großen Wert auf die Feststellung, dass neben dem reinen Tanztheater oder Choreographien im Stile von Pina Bausch auch nach wie vor klassisches Ballett gefragt ist und deshalb gepflegt wird. Sozusagen „Nussknacker mit Spitze“!
Art5/III:
Was ist Ihre Programmphilosophie bezüglich des Repertoires, welche Gattungen und Epochen favorisieren Sie?
Bodo Busse:
Bezüglich der Gattungen gibt es an einem Dreispartenhaus natürlich Proporzgewohnheiten, die ich freilich nicht als Zwang empfinde. Nehmen Sie nur den Bereich Musiktheater, in dem die Gattungsfrage besonders relevant ist. Da sind von acht Produktionen vier der Oper zuzurechnen, die anderen vier fallen unter die Rubrik Operette/Musical. Neben den Klassikern des Musicalgenres wie „My Fair Lady“ sind mir zeitgenössische Werke, z.B. von der Rockmusik geprägte, sehr wichtig, zumal natürlich mit Blick auf das jüngere Publikum. Was die Epochen anlangt, liegt mir die bisher bei uns noch wenig erschlossene Barockoper sehr am Herzen, und ich glaube, dass wir in dieser Hinsicht mit „King Arthur“ einen Volltreffer gelandet haben. Da gelang es uns, ein spektakulär bilderreiches Gesamtkunstwerk in Szene zu setzen! Eine Affinität zum slawischen Repertoire, das zurzeit sowieso sehr en vogue ist, kann ich nicht leugnen und will nur Opern wie „Katja Kabanowa“ und „Eugen Onegin“ nennen. Im Übrigen zieht es mich zu eigentlich bekannten, aber selten gespielten Opern wie z.B. den „Barbier von Bagdad“ von Peter Cornelius.
Art5/III:
Wie stehen Sie zum sehr deutschen Phänomen des so genannten Regietheaters?
Bodo Busse:
Nun, jegliches Theatermachen ist Regietheater, aber wenn Sie auf gewisse Exzesse anspielen, so kann ich nur sagen, dass mir Egotrip-Inszenierungen fern liegen. Nicht die private Gedankenwelt oder Befindlichkeiten eines Regisseurs zählen, sondern der emotionale Kern eines Stückes muss getroffen werden. Das heißt aber keineswegs, dass wir keinen Mut zum Risiko hätten oder gar Furcht vor dem Unwillen des Publikums...
Art5/III:
...das ja bei bekannten Werken geradezu instinktiv zur ersten erlebten Inszenierung zurück will.
Bodo Busse:
Ja, das ist verständlich, aber natürlich auch hinderlich, denn es kann den Blick auf neue Sichtweisen verstellen. Konstanze Lauterbachs Inszenierung des Horvath-Stückes „Zur schönen Aussicht“ beispielsweise war sehr umstritten. Aber ich stehe dazu, denn wir brauchen unbedingt verschiedene Regiehandschriften. Theater ist für mich einerseits Unterhaltung und soziales Event, doch jede Aufführung sollte überdies einen Bildungswert haben, mithin auch Reibungsflächen. Es müsste unser Ziel sein, dass das Publikum aufgewühlt oder zumindest nachdenklich aus dem Theater geht.
Art5/III:
Bleiben wir beim Sprechtheater, das in der laufenden Spielzeit mit ambitionierten Uraufführungen aufwartet.
Bodo Busse:
In Jan Geigers „Kow Loon“ und Ruth Johanna Benraths „Klassenkämpfe“, einem Preisträgerstück des Coburger Forums für junge Autoren, werden brennende Fragen unserer Zeit thematisiert. Das gilt aber ebenso für die Uraufführung von „Babo“, einer Stückentwicklung für die mobile Klassenzimmerproduktion...
Art5/III:
...für die Sie sogar eine „Klassenzimmeroper“ in Planung haben.
Bodo Busse:
Ja, unter dem Titel „Ritter Odilo und der strenge Winter“. Um die Jugendlichen und Kleinen in Schule und Familie bemühen wir uns besonders und hoffen auf die nachhaltige Wirkung dieser Anstrengungen. Wer jetzt nicht sät...
Art5/III:
Sie wagen sich auch selber an die Regiefront, haben mit großem Erfolg die Uraufführung der Musical-Opera „Dorian Gray“ inszeniert und die viel beachtete Regiearbeit zu Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ beigesteuert. Jetzt inszenieren Sie unter dem vielsagenden Titel „Der Welt abhanden gekommen“ eine szenische Collage mit Werken von Claude Vivier und Gustav Mahler.
Bodo Busse:
Wie schon beim doppelten „Lohengrin“ setzen wir bei diesem Projekt auf den Zeitsprung, aber zugleich auf den Kontrast zwischen Lokalem und Globalem. Friedrich Rückert, dessen Gedichte dank Komponisten wie Gustav Mahler auch in die Musikgeschichte eingegangen sind, wohnte in Coburg unweit des Landestheaters. Er beschäftigte sich ebenso mit fernöstlicher Literatur, wie der 1983 in Paris ermordete kanadische Komponist Claude Vivier. Dessen musikdramatischen Werken stellen wir die erstmals inszenierten Rückert-Texte gegenüber.
Art5/III:
Was wir bislang besprochen haben, klingt alles sehr nach heiler Welt. Haben Sie eigentlich überhaupt keine Sorgen?
Bodo Busse:
Nun, über unsere Aktivitäten und deren messbare Ergebnisse, z.B. eine Auslastung von ca. 80%, lässt sich mit großer Zuversicht reden. Aber unser Zuhause, das altehrwürdige, immer noch stolze Landestheater mit seinem morbiden Charme vertrüge baldigst eine Generalsanierung, denn es bröckelt unaufhörlich. Den widrigen Umständen setzen wir eine gehörige Portion Optimismus entgegen.
Art5/III:
Fällt Ihnen spontan ein Highlight der kommenden Saison ein, das Sie uns abschließend noch nennen möchten?
Bodo Busse:
Na ja, prominente Namen nennt man natürlich immer sehr gerne. Und da sind wir verständlicherweise stolz darauf, dass Brigitte Fassbaender nach Coburg zurückkommt und Puccinis „La Bohème“ inszeniert.
Art5/III:
Ein Schlussbonmot?
Bodo Busse:
Gerne, aber das muss dann schon von Shakespeare sein:
„Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler“.
Copyright Foto © Andrea Kremper