Klassiker

Naturmensch, Kraftstrotz, Urbayer, Musikgenie

Ein persönlich gefärbter Blick auf Max Reger und dessen Wertschätzung in Bamberg

veröffentlicht am 26.11.2014 | Lesezeit: ca. 6 Min.

Wer in seiner musikalischen Ausbildung frühzeitig mit den Werken Max Regers konfrontiert wird, hat es später einmal leichter. Das hat einen einfachen Grund: Die nicht unkomplizierte Welt der Harmonien liegt einem danach quasi zu Füßen, denn die äußersten tonalen Möglichkeiten seiner Zeit hat dieser Komponist nicht nur in seinem umfangreichen Oeuvre erschlossen, sondern sie auch lehrhaft dargestellt. Gerne würde man dasselbe auch von der Kontrapunktik sagen, gäbe es da keinen J.S. Bach, den übergroßen Vorläufer. Wer im Klavierunterricht mit Regers wunderbaren Sonatinen groß wurde, im Chor die genialen Motetten op. 110 oder den 100. Psalm mitsingen durfte und später seine Orgelwerke studierte, ist musikalisch fit für’s Leben. So erging es jedenfalls mir, aber das hatte eine besondere Bewandtnis, denn mein Klavierlehrer, Adolf Wieber, war ein Enkelschüler Max Regers.

Der, weiland Stadtorganist von Wittenberg, logierte nach dem Krieg im Schloss einer kleinen mittelhessischen Residenzstadt. Hatte man sich durch das alte Gemäuer bis zu seinem Wohnzimmer hinaufgearbeitet, so wurde man vom dekadenten Charme des 19. Jahrhunderts empfangen. Und von einem riesengroßen schwarzen Kater, der vorzugsweise gleich hinter dem Notenbrett lag und der sich auch durch eine Brahms-Rhapsodie nicht aus der Ruhe bringen ließ. Der Flügeldeckel blieb stets geschlossen, aber das lag nicht nur am Kater, sondern ebenso an den zentnerschweren Notenbergen, die auf ihm lasteten. Zu spielen gab es neben Reger vor allem dessen beide großen Vorbilder, Bach und Brahms.

Ein Studium, ein Auslandsjahr und ein Referendariat später – und im Fränkischen angekommen! – durfte ich erfreut feststellen, dass Max Reger auch in Bamberg eine vorzügliche Heimstatt besitzt. Das lag natürlich – neben den allzeit Reger-affinen Organisten und dem sich um die Kammermusik kümmernden Musikverein – vor allem an den Bamberger Symphonikern.

Das Orchester hat sich schon bald nach seiner Gründung Reger gewidmet und dessen Werke allein bis ins Jahr 2000 weit über 100 Mal in den Programmen seiner diversen Abonnementreihen (Orgelkonzerte inklusive) berücksichtigt. Von den famosen Variationen nach Mozart und Hiller hat Joseph Keilberth schon Ende der fünziger Jahre eine Plattenaufnahme gemacht, die noch heute als Referenz gelten darf. Die Mozartvariationen, Regers vielleicht schönstes Orchesterwerk überhaupt, erklangen bereits 1948 unter der Leitung Rolf Agops im Zentralsaal und machten anschließend die nachhaltigste Aufführungskarriere. Die intensivste Blütezeit von Regers Werken in Bamberg ist natürlich dem Wirken Joseph Keilberths geschuldet. 43 Mal, so die symphonische Statistik, hat der legendäre Chefdirigent den Komponisten in seinen Konzertprogrammen platziert.

Dem steht die Ära Horst Steins nur wenig nach. Der Chefdirigent (von 1985 bis 1996) führte gleich zu Beginn seiner Tätigkeit in Bamberg die Tondichtungen nach Arnold Böcklin zum zweiten Male auf (Erstaufführung 1949 durch Keilberth). Er widmete sich selbstredend auch den Variationswerken (Hiller 1990, Mozart 1991) und wagte sich an die beiden anspruchsvollen, aber etwas schwermütigen Solokonzerte (Klavierkonzert 1993 mit Gerhard Opitz, Violinkonzert 1991 mit Walter Forchert). Bemerkenswert sind die geradezu pionierhaften Aufführungen der geistlich-oratorischen Spätwerke: Die Requiemvertonung nach Texten Friedrich Hebbels (op. 144) erklang im Jahre 1988, Die Nonnen op. 112 wurden 1996 in Regers Heimatstadt Weiden anlässlich der dortigen Musiktage aufgeführt.

Hohe Verdienste und große Anerkennung erwarb sich Stein durch die Tonaufnahmen aus jener Zeit, die von Koch/Schwann in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk realisiert wurden. Nennen wir nur die ingeniöse Sinfonietta, die Suite im alten Stil, das Scherzino, die Beethoven-Variationen, die Orchesterlieder oder Die Weihe der Nacht op. 119. Namhafte Solistinnen wie Lioba Braun oder Marie-Luise Neunecker wurden hierfür verpflichtet. Eine Einspielung des Violinkonzertes mit dem damaligen Konzertmeister Walter Forchert erschien 1991. Man kann nur hoffen, dass diese Schätze dermaleinst wieder zugänglich gemacht werden.

Max Regers Vita bewegte sich längere Zeit an der Peripherie Frankens, aber der Oberpfälzer ist von Herkunft und Wesen her eher ein Bayer. Geboren 1873 im fichtelgebirgischen Brand (bei Kemnath), knapp an Ostoberfrankens Grenze, wuchs er in Weiden auf und entschied sich nach dem Erlebnis einer Parsifal-Aufführung 1888 im nahen Bayreuth, Musiker zu werden. Hugo Riemann, der scharfsinnigste Harmonietheoretiker und Musikgelehrte seiner Zeit, wurde zu seinem wichtigsten Mentor – und Reger dessen Nachfolger, freilich ohne Festanstellung. Darüber, und wegen der Folgen einer einjährigen Militärzeit verbittert, fing er das Trinken an, wurde sogar depressiv und kehrte 1898 ins Elternhaus nach Weiden zurück. Dort begann jedoch eine kompositorisch sehr produktive Phase, die den späteren Ruhm begründete.

Es folgte eine zweijährige, von Intrigen und Ablehnung durch die Kritik geprägte Zwischenstation in München. 1907 wurde er als Universitätsmusikdirektor und Theorielehrer nach Leipzig berufen, 1911 zum Meininger Hofkapellmeister ernannt. Dort machte er Hans von Bülows Orchester zum idealen Interpreten der eigenen Werke. Ein weiterer Zusammenbruch als Folge seines rastlosen Lebens und der Ausbruch des I. Weltkriegs ließen ihn nach Jena ziehen mit dem Ziel einer verpflichtungsfreien, nur dem Schaffen gewidmeten Existenz. Längst berühmt geworden und mit allen nur erdenklichen Ehren bedacht, blieb er jedoch sehr gefragt und nahm deshalb seine anstrengende Reisetätigkeit wieder auf. Mit nur 43 Jahren starb er im Mai 1916 im Leipziger Hotel Hentschel - weshalb es in anderthalb Jahren, anlässlich seines 100. Todestages, einen triftigen Grund geben wird, auf dieses urbayerische, vor Kraft und Phantasie sprühende Musikgenie zurückzukommen.

Copyright Fotos: © Max Reger Sammlung Weiden

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