Ein Romantiker des Cellospiels auf Tournee
Mischa Maiskys Rückkehr an die Regnitz
veröffentlicht am 26.11.2014 | Lesezeit: ca. 6 Min.
Die Annehmlichkeiten, die Kalifornien – der im Westen an den Pazifik grenzende „Golden State“ – selbst dann zu bieten hat, wenn der Himmel grau, die Blätter braun gehalten sind, haben 1965 The Mamas & the Papas besungen. Sogar an einem Wintertag, heißt es in „California Dreamin‘“, fühlt man sich in Los Angeles „safe and warm“, behütet und wohlig. Von Kalifornien zu träumen ist mithin legitim, und verbreitet. Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts taten das beispielsweise die „Forty-niners“, auf der Suche nach Gold und schnellem Reichtum.
Auch Mischa Maisky, der Meister des romantischen Cellospiels, träumte einst von Kalifornien. Knapp eine Dekade nach der Erstveröffentlichung des psychedelischen Ohrwurms der Mamas & Papas ließ der Cellist den Träumen Taten folgen und ging nach Los Angeles, um an der University of Southern California zu studieren. Bei seinem Idol Gregor Piatigorsky, der im Berlin der Goldenen Zwanziger unter Furtwängler bei den Berliner Philharmonikern im Orchester saß. Maisky sollte der letzte Schüler von dem liebevoll „Grischa“ Gerufenen werden, einem „Gentleman der alten Schule, sehr gebildet und höflich“, so Maisky, bei dem er täglich Unterricht nahm, mit dem er Schach spielte und lange Spaziergänge machte. Piatigorsky starb im August 1976 an Lungenkrebs.
Maisky ist somit der einzige Cellist weltweit, der sowohl bei Piatigorsky als auch bei Mstislaw Rostropowitsch studierte. Denn der wohl bedeutendste Violoncellist des 20. Jahrhunderts, eine Art Übervater, hatte schon den Fünfzehnjährigen in seine Meisterklasse am Moskauer Konservatorium aufgenommen und sofort vom Spiel „eines der herausragendsten Talente der jüngeren Cellisten-Generation“ geschwärmt. Maisky verbinde „Poetik und hervorragendes Feingefühl mit viel Temperament und brillanter Technik“.
Zwar hat Maisky oft schon mit den Bamberger Symphonikern musiziert, ist seit 1981 mehrfach mit dem Orchester durch Deutschland getourt. Insgesamt dreiunddreißig Konzerte hat man gemeinsam absolviert. In Bamberg selbst aber ist der gefeierte Cellist zuletzt 1991 zu Gast gewesen. Das heimische Publikum (und das in Schweinfurt, im Festspielhaus Baden-Baden, in der Düsseldorfer Tonhalle) darf sich im Januar auf Maiskys Retour freuen. Im Gepäck hat er dann Edward Elgars Cellokonzert, am Pult steht Jonathan Nott.
Mit acht Jahren bekam der 1948 in Riga geborene Maisky erste Anweisungen am Cello. Sein Weg führte ihn über die Konservatorien seiner Heimatstadt und Leningrads in die legendäre Moskauer Meisterklasse. Als Maisky mit den Leningradern Philharmonikern debütierte, nannte man ihn sogleich den „Rostropowitsch der Zukunft“. Später folgte er seiner Schwester, die sich 1969 abgesetzt hatte, nach Israel, ging dann nach Kalifornien und hat inzwischen seinen Lebensmittelpunkt in der Nähe von Brüssel.
Maisky versteht sich als Weltbürger: „Ich spiele ein italienisches Cello [aus der venezianischen Werkstatt von Domenico Montagnana], mit französischen und deutschen Bögen, österreichischen und deutschen Saiten, meine Tochter [die Pianistin Lily Maisky] wurde in Paris geboren, mein ältester Sohn [Sascha, ein Geiger] in Brüssel, mein mittlerer in Italien und mein jüngster in der Schweiz, ich trage eine schweizerische Uhr und eine indische Halskette – kurz gesagt, ich sehe mich als Kosmopolit und fühle mich da zuhause, wo die Leute klassische Musik schätzen und genießen.” Seit einem Vierteljahrhundert nimmt Maisky exklusiv für die Deutsche Grammophon auf, zuletzt etwa populäre Lieder und Tänze aus Spanien, darunter ein Tango von Isaac Albéniz, am Flügel begleitet von Tochter Lily.
Von Anbeginn seiner Karriere zählt Maisky zu den ganz Großen. Er ist auf den Podien der Welt zuhause, konzertiert mit den Berliner und Wiener Philharmonikern, spielt unter Bernstein, Metha, Maazel und Giulini, macht Kammermusik mit Martha Argerich, mit Gidon Kremer und Radu Lupu. Eine stupende Technik, ein feurig-engagiertes Spiel, ein ausgesprochen romantischer, ja poetischer Ton und, auch das, eine (inzwischen schlohweiße) Löwenmähne nebst gepflegtem Bart, bisweilen bunte Hemden: dies sind Maiskys Markenzeichen.
Kritisch ließe sich anmerken, dass der Lette mit russischen Wurzeln nur ganz wenige Ausflüge in die Moderne und so gut wie gar keine ins zeitgenössische Repertoire macht. Er ist auf der Suche nach purem Melos, das er in der Romantik bei Schumann und Dvorák findet, in den Kantilenen kleiner Preziosen wie der Vocalise und der Elegie von Rachmaninow. Manch einem ist Maiskys Dauervibrato zu dick aufgetragen, sein Schwelgen im Schönklang zu manieristisch.
Maisky aber, dem Meister, ist das schnuppe. Ihm geht es um Emotion, er hält es mit Vladimir Horowitz, der einmal sagte, alle Musik sei romantisch. Also füllt er sogar Bachs Solo-Suiten mit dichtem Vibrato aus, weit entfernt von einer historisch orientierten Aufführungspraxis. Bach sei, hat Maisky einmal gesagt, der „größte Romantiker seiner Zeit“ gewesen. Sowieso spiele er nicht (nur) für Kenner, sondern für Menschen, die diesem Musikkosmos vielleicht zum ersten Mal gegenübertreten.
Und genau die will und wird Maisky im Herzen unmittelbar rühren. Auch in Edward Elgars Cellokonzert e-Moll von 1919. Schon die grüblerisch-melancholische Einleitung, ein kurzes Rezitativ für das Solo-Instrument, scheint Maisky und dessen hochexpressiven Stil auf den Leib geschrieben. Elgars Opus 85 wird am 24. Januar im Keilberth-Saal der Konzerthalle Bamberg gerahmt von Wolfgang Rihms „Verwandlung 5“ und Dvoráks Achter. Ein feines Programm, fürwahr!
Copyright Foto Mischa Maisky und Tochter Lily, Pianistin © Bernard Rosenberg / DGG