Klassiker

Mäzenatin stiftet Städel bedeutendes Gemälde von Ribera

Zum 100. Geburtstag von Dagmar Westberg

veröffentlicht am 09.12.2014 | Lesezeit: ca. 13 Min.

Dagmar Westberg feierte am gestrigen Montag, den 8. Dezember, ihren 100. Geburtstag im Städel Museum. Aus diesem Anlass hat die langjährige Förderin des Städel und Gründerin der Dagmar-Westberg-Stiftung dem Frankfurter Museum ein äußerst kostbares und kunsthistorisch bedeutsames Werk für seine Altmeister-Sammlung gestiftet: das um 1615/16 entstandene Gemälde „Der Heilige Jakobus der Ältere“ von Jusepe de Ribera (1591–1652). Ribera zählt zu den wichtigsten Malern des 17. Jahrhunderts und vereint die künstlerischen Errungenschaften zweier europäischer Schulen in einer Person. In der Provinz Valencia geboren, kann er als der bedeutendste spanische Maler neben Diego Velázquez (1599–1660) gelten, doch verbrachte er sein ganzes Künstlerleben in Italien – zunächst in Rom, danach im spanischen Vizekönigtum Neapel – und gehört damit auch zu den einflussreichsten Malern des italienischen Barock. Im Städel Museum hängt das Meisterwerk ab sofort im großen Italiener-Saal und ist damit, nach vier Jahrhunderten in Privatbesitz, erstmalig und endgültig in einer öffentlichen Sammlung zu besichtigen.

„Seit nunmehr fast 200 Jahren lebt das Städel Museum vom Engagement einzelner Bürgerinnen und Bürger. Dieser Traditionslinie folgend ist Dagmar Westberg ein leuchtendes Vorbild und eine in jeder Hinsicht herausragende Persönlichkeit, der wir zu größtem Dank verpflichtet sind. Ihre Schenkung des ‚Heiligen Jakobus des Älteren‘ von Ribera kann ohne Zweifel als Meilenstein in der langen Sammlungsgeschichte des Hauses angesehen werden. Ein schöneres Geschenk – zumal aus dem besonderen Anlass ihres 100. Geburtstages – hätten wir uns nicht träumen lassen können. Wir sind glücklich und stolz, dass Frau Westberg ihren Ehrentag im und mit dem Städel feiert“, so Städel-Direktor Max Hollein.

Die 1914 in Hamburg geborene und in Frankfurt lebende Dagmar Westberg ist eine der bedeutendsten Mäzenatinnen des Frankfurter Städel Museums. Bereits in den vergangenen Jahren nahm die Förderin ihre Geburtstage zum Anlass, um das Städel mit Spenden und wichtigen Zuwendungen zu unterstützen. So stiftete Westberg unter anderem 2008 den Altar des „Meisters der von Grooteschen Anbetung“, ein Triptychon aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, das zu den bedeutendsten niederländischen Werken seiner Zeit zählt. 2013 ermöglichte Dagmar Westberg dem Museum die Erwerbung einer seltenen Lithographie von Francisco Goya sowie einer Druckgraphik von Edvard Munch. Darüber hinaus unterstützt sie mit Mitteln der Dagmar-Westberg-Stiftung regelmäßig wichtige Ankäufe für die Graphische Sammlung des Städel. In den vergangenen Jahren wurden u. a. Zeichnungen von Carl Spitzweg, Max Klinger, Henri Michaux und Almut Heise sowie druckgraphische Werke von Max Beckmann, Candida Höfer, Tacita Dean und Paul Morrison erworben. Ebenso setzt sich Frau Westberg für die allgemeinen Belange des Städel ein und hat eine immerwährende Patenschaft für einen Saal in der Altmeister-Abteilung übernommen.

Aus einer baltisch-hamburgischen Unternehmerfamilie stammend arbeitete Dagmar Westberg mehrere Jahrzehnte für die amerikanischen Generalkonsulate in Hamburg, Berlin und seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Frankfurt am Main. Bereits ihr Großonkel Oskar Troplowitz, Erfinder von Produkten wie Leukoplast, Hansaplast, Tesa-Klebeband und Nivea, der die Firma Beiersdorf zum Erfolg führte, war ein großer Kunstmäzen und vermachte der Hamburger Kunsthalle 26 Gemälde, darunter Hauptwerke französischer und deutscher Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts wie Auguste Renoir, Alfred Sisley, Pablo Picasso oder Max Liebermann. Seine Großnichte Dagmar Westberg setzt diese Tradition fort. Neben dem Städel Museum unterstützt die Mäzenatin mit großem persönlichem Engagement zahlreiche weitere soziale, kulturelle und Bildungsprojekte. Zu den von ihr geförderten Einrichtungen und Stiftungen zählen das Frankfurter Mädchenhaus FeM, die Cronstetten-Stiftung, das „German Summer Work Program“ an der Princeton University sowie die Goethe-Universität Frankfurt am Main. 2008 wurde ihr Engagement durch die Verleihung der Georg-August-Zinn-Medaille des Landes Hessen ausgezeichnet.

JUSEPE DE RIBERA (JÁTIVA 1591 – 1652 NEAPEL)
DER HEILIGE JAKOBUS DER ÄLTERE, UM 1615/16

DATEN UND FAKTEN
Das für das Städel Museum erworbene Gemälde zeigt den Apostel Jakobus den Älteren im stattlichen Format von 133,1 x 99,1 cm, das den für die römische Malerei charakteristischen Maßen einer sog. tela d’imperatore („Kaiserleinwand“) entspricht. In dem Werk tritt dem Betrachter eine monumentale Halbfigur von geradezu skulpturaler Präsenz entgegen. Der Apostel steht vor einer dunklen Wand und wird durch einen sich darauf markant abzeichnenden Lichtkegel von links oben beleuchtet – eine Lichtsituation, wie sie für Caravaggio und seine Nachfolger typisch ist. In der Rechten hält er mit fester Hand sein Attribut, den langen Pilgerstab, mit der vor den Körper gehaltenen linken Hand umklammert er ein Buch. Auf sein Pilgertum verweist auch das im Licht aufglänzende Abzeichen aus zwei kleinen, sich überkreuzenden Pilgerstäben, das er sich oberhalb der Brust ans Gewand geheftet hat. Die von Wetter und Arbeit gegerbten, im Wortsinne zupackenden Hände des Jakobus sind in einem geradezu provozierenden Naturalismus wiedergegeben, den Caravaggio kurz zuvor in die Kunst eingeführt hat. Sein Gewand, eine hellgraue Tunika und darüber ein leuchtend roter Mantel, ist nicht reich an Verzierung, wohl aber an Volumen. In einer großen Bahn hat Jakobus den Mantel über die linke Schulter gelegt und rafft ihn mit der linken Hand, sodass der kräftige Stoff ein aufwendig geformtes Gebirge von Falten ausbildet. Durch Licht und Schatten gewinnt das beinahe abstrakte Faltenmuster des Stoffes an wuchtiger Plastizität. Die leichte, aber merkliche Drehung des Körpers mit der Wendung der linken Schulter zum Betrachter und die Gegenläufigkeit der Arme und Hände verleihen der Figur ein dynamisches Moment. Die Monumentalität der Haltung, der wie schützend vor den Körper gelegte Arm und das dem Betrachter plastisch entgegendrängende Faltenwerk verstärken die Präsenz des Apostels bei seinem Auftritt auf der Bühne des Bildes.

Die besondere Kunst Riberas zeigt sich in der Art und Weise, wie er diese Wucht in der Figur selbst wieder relativiert. Es ist das sanft zur Seite geneigte Haupt des Jakobus, das noch eine andere Facette des Heiligen ins Spiel bringt. Ribera setzt den Kopf besonders in Szene, indem er ihn als einzigen Teil der Figur direkt im Lichtkegel platziert und zusätzlich noch mit einer Lichtaureole hinterfängt. Frontal blickt der Apostel aus tiefdunklen, glänzenden Augen auf den Betrachter, den Mund leicht geöffnet. Alles an diesem Antlitz ist fein, edel und elegant – der Schwung der Lippen, die Konturen der Ohren und die bewegten Strähnen des braun gelockten Haares. Die Sanftheit des Gesichtes steht in subtilem Kontrast zum kraftvollen Ausdruck des Körpers. Diese Ambivalenz zwischen Auftritt und Erscheinung, zwischen Präsenz und Entrückung kennzeichnet das Gemälde als ein feinsinnig durchdachtes Meisterwerk des frühen Ribera. Das Gemälde ist gegen Ende seines Aufenthalts in Rom in den Jahren um 1615/16 entstanden, kurz bevor Ribera nach Neapel aufbrach und sich dort für den Rest seines Lebens niederließ.

KUNSTHISTORISCHE EINORDNUNG
Zunächst war das Gemälde dem sogenannten „Meister des Salomourteils“ zugewiesen worden, der sich inzwischen als Fiktion der Forschung entpuppt hat. Seit 1978 wird es in der Literatur überzeugend und einhellig als Frühwerk Riberas geführt und hat Eingang in alle einschlägigen Werkverzeichnisse gefunden. Die Qualität von Konzeption und malerischer Ausführung des in sehr gutem Erhaltungszustand überkommenen Bildes ist herausragend. Die Autorschaft Riberas belegt insbesondere der stilistische Vergleich mit für Ribera gesicherten Werken wie den „Heiligen Petrus und Paulus“ in Straßburg, dem „Heiligen Sebastian“ in Osuna und dem „Reuigen Petrus“ in New York, die in Gesichtsbildung und Faltenmodellierung dem Apostel Jakobus bis ins handschriftliche Detail äußerst nahestehen. Eine um 1630 entstandene Darstellung desselben Heiligen im Prado zeigt eindrucksvoll, wie Ribera etwa 15 Jahre später in einer anderen Stilphase auf sein Frühwerk zurückgegriffen hat. Eine bedeutsame Stellung kommt dem Bild jedoch nicht nur innerhalb des Œuvres des spanischen Meisters zu, sondern auch bezüglich seiner Rezeption durch die Zeitgenossen. Sogar der acht Jahre jüngere Diego Velázquez dürfte für seinen im Musée des Beaux-Arts in Orléans bewahrten „Heiligen Thomas“, der nur wenige Jahre später entstand, wesentliche Anregungen von Riberas Gemälde empfangen haben.

PROVENIENZ
In Rom führte der junge Maler nach Ausweis der Quellen ein bohemienhaftes Leben und machte sich mit seiner Kunst rasch einen Namen. So sind Riberas Bilder in Inventaren einiger der vermögendsten römischen Sammler nachweisbar. Der als Mäzen Caravaggios bekannte Vincenzo Giustiniani etwa besaß allein 13 Werke des Spaniers. Giustiniani muss demnach mit Ribera in engem Kontakt gestanden und ihn ähnlich hoch geschätzt haben wie Caravaggio, dessen Bilder am zahlreichsten im Inventar vertreten sind. Besagtes Inventar erwähnt auch einen Heiligen Jakobus den Älteren von der Hand Riberas im Format der tela d’imperatore, der mit dem Frankfurter Bild identisch sein könnte. Im 20. Jahrhundert wurde der Jakobus durch eine Reihe von Besitzerwechseln sammlungsgeschichtlich aktenkundig. 1924 auf einer Auktion bei Leo Schidlof in Wien angeboten, ist er im Katalog erstmals bezeugt. 1927 wurde er in Berlin im Rahmen einer Ausstellung des Antiquitätenhauses Wertheim gezeigt; als Besitzer gibt der Katalog Ernst Lang an. Aus der Sammlung des in Asch ansässigen Ernst Adler erwarb der Privatsammler Ernst Seifert das Bild 1929 in Berlin auf einer Auktion bei Rudolph Lepke. Seifert behielt es über die Kriegsjahre fast drei Jahrzehnte und verkaufte es 1958 an den Münchener Kunsthändler Julius Harry Böhler. Dieser veräußerte es 1964 an eine Familie, aus deren Sammlung es die Kunsthandlung Bernheimer-Colnaghi kürzlich übernahm. Dort erwarb 2014 schließlich die Frankfurter Mäzenatin Dagmar Westberg das Gemälde, um es dem Städel Museum am 8. Dezember als Schenkung aus Anlass ihres 100. Geburtstages zu übergeben.

EINORDNUNG IN DIE STÄDELSCHE SAMMLUNG UND REZEPTION
Im Städel schließt die Schenkung eine Lücke in der Altmeister-Sammlung. Gerade die Ursprünge der europäischen Barockmalerei, die in Italien in den Jahrzehnten um 1600 liegen, waren in der bürgerlichen Sammlung nur unzureichend vertreten. Einen ersten wichtigen Schritt bedeutete die Schenkung einer Madonna des Guercino (um 1621/22) aus der Sammlung Beaucamp 2010. Vielfältige Verbindungen lassen sich auch zu Guido Renis caravaggeskem „Christus an der Geißelsäule“ (1604), Dirck van Baburens „Singendem jungen Mann“ (1622) und Massimo Stanziones „Susanna und die beiden Alten“ (um 1630/35) knüpfen.

„Mit Riberas Jakobus ist ein herausragendes Beispiel der frühen Caravaggio-Rezeption in die Sammlung gelangt, das einen eindrucksvollen Akzent im großen Italiener-Saal setzt. Ein Bild, vor dem man stehenbleibt“, kommentiert Bastian Eclercy, Sammlungsleiter für italienische, französische und spanische Malerei vor 1800 im Städel Museum, die Schenkung.

Die großen Museen der Welt bewahren Riberas Werke, allen voran der Prado in Madrid und das Museo di Capodimonte in Neapel. Im Frankfurter Städel bedeutete das Fehlen eines Gemäldes des Künstlers bislang eine schmerzliche Lücke. Besonders vermisst wurde ein frühes Werk Riberas aus der stark von seiner Begegnung mit der Kunst Caravaggios geprägten Periode. Mindestens vier Jahre lang, von etwa 1612 bis 1616, hielt sich der Anfang Zwanzigjährige in Rom auf und geriet dort in den Bann jenes Meisters der Hell-Dunkel-Malerei und des Naturstudiums. Nur wenige Schriftquellen erhellen diese Werkphase Riberas, die erst in jüngster Zeit die verdiente Aufmerksamkeit der Forschung und des Publikums gefunden hat, insbesondere durch eine große Ausstellung in Madrid und Neapel 2011/12. Die Forschung erhielt dadurch einen regelrechten Schub, und so ist Riberas Frühwerk derzeit eines der am intensivsten diskutierten Themen in der Literatur zum italienischen Barock. Für Aufmerksamkeit sorgten dabei unter anderem im Jahr 2012 die Erwerbung eines großformatigen Ribera-Leinwandbildes des „Reuigen Petrus“ (um 1612/13) durch das Metropolitan Museum in New York und im selben Jahr der Ankauf von Riberas „Johannes Evangelista“ (um 1608) durch den Louvre in Paris. Mit dem Neuzugang durch die Schenkung von Dagmar Westberg ist das Städel jetzt in der glücklichen Lage, sich an dieser ganz aktuellen Diskussion mit einem gewichtigen Beitrag beteiligen zu können.

BILDANGABEN:
Jusepe de Ribera (Játiva 1591 – 1652 Neapel)
Der Heilige Jakobus der Ältere, um 1615/16
Öl auf Leinwand, 133,1 x 99,1 cm
Frankfurt am Main, Städel Museum
Gestiftet 2014 von Frau Dagmar Westberg, Frankfurt am Main

STÄDEL MUSEUM
INFORMATION: www.staedelmuseum.de, info@staedelmuseum.de,
Telefon +49(0)69-605098-0, Fax +49(0)69-605098-111
BESUCHERDIENST: +49(0)69-605098-232, besucherdienst@staedelmuseum.de
ORT: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
ÖFFNUNGSZEITEN: Di, Mi, Sa und So 10.00–18.00 Uhr, Do und Fr 10.00–21.00 Uhr
SONDERÖFFNUNGSZEITEN: 24.12.2014 geschlossen, 25.12. und 26.12.2014 10.00–18.00 Uhr, 31.12.2014 geschlossen, 1.1.2015 11.00–18.00 Uhr

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