Klassiker

Doppeldebüt: Zukerman und Gatti in Bamberg

Opus 77 und Opus 68, Beethoven und Brahms, im Keilberth-Saal

veröffentlicht am 22.12.2014 | Lesezeit: ca. 7 Min.

„Pictures of Fidelman“ nennt sich die dritte, 1969 herausgekommene Kurzgeschichtensammlung aus der Feder von Bernard Malamud. „Bilder einer Ausstellung“ ist die deutsche Übertragung durch Anja Hegemann, sechs Jahre nach dem Original in Köln bei Kiepenheuer und Witsch erschienen, betitelt. Zwar standen weder Modest Mussorgsky noch Maurice Ravel, weder Walter Goehr noch Leonard Slatkin, die wie Ravel Mussorgskys Klavierzyklus für Orchester bearbeiteten, am Samstagabend bei den Bamberger Symphonikern auf dem Programm, ein Bild von einem „fiedelnden“ Manne aber konnte man sich durchaus machen. Und was für eines!

Nur, dass er nicht fiedelte, denn dieses Wort ist ja negativ konnotiert, („[ohne große Kunstfertigkeit, schlecht] auf der Geige spielen“, erläutert der Duden), sondern zauberte, auf seiner Guaneri del Gesù von 1742. Zukerman, Pinchas Zukerman, wurde bei seinem Debut im so gut wie ausverkauften Joseph-Keilberth-Saal völlig zu Recht gefeiert. Für die Ovationen, die dem sechsundsechzigjährigen Geiger (der auch, darin dem unvergessenen Flesch-Schüler Max Rostal ähnlich, auf der Bratsche und längst als Dirigent Erfolge feiert) am Samstagabend entgegenschlugen, dankte er mit „Guten Abend, gut‘ Nacht“ und bat das Publikum, doch bitte mitzusingen. Nach dieser durch Brahms vertonten weihnachtlichen Volksweise, die er vom linken Bühnenrand aus musizierte, sagte Zukerman mit einem „Bis nächstes Mal!“ adieu.

Brahms‘ „Wiegenlied“ schloss sich an an das Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77, gleichfalls von Brahms. Diesen Klassiker haben die Bamberger Symphoniker bereits über hundertmal aufgeführt, nie noch aber mit Zukerman, noch nie auch unter Daniele Gatti. Der designierte Chefdirigent des Concertgebouw-Orchesters feierte am Samstagabend ebenfalls sein Bamberg-Debut. Gatti setzte auf einen satten Klang, ließ einzelne Instrumente und Instrumentengruppen, wie etwa das prächtige Holz und die Celli, aufleuchten, bewahrte in der dichten Partitur den Überblick und sorgte für eine feine Zwiesprache zwischen den Symphonikern und ihrem Solisten. Zukerman nämlich spielte in sich gekehrt, völlig versunken und in der Musik aufgehend, die er mit einer inneren Glut ausfüllte, die auch nach über vier Jahrzehnten auf den großen internationalen Bühnen noch zu lodern vermag.

Was für ein Klang, was für ein Ton, der selbst dann noch präsent ist, wenn Zukerman, was er gern macht, plötzlich ins vielfache Piano zurückfällt. Zukermans (und Gattis) Lesart dieses hochvirtuosen D-Dur-Bravourstücks aus dem späteren 19. Jahrhundert, das Brahms für Joseph Joachim schrieb, fehlte es keineswegs an Energie. Durch feine Agogik, durch ein leichtes Innehalten etwa bei der Punktierung des Rondo-Finales gewann die packende Interpretation noch an Verve und Vitalität. Das Allegro giocoso, ma non troppo vivace hatte Zukerman im Übrigen fast attacca, ohne Pause, auf das melodienselige F-Dur-Adagio folgen lassen.

Bekanntermaßen hatte sich seinerzeit Pablo Sarasate geweigert, das Opus 77 zu spielen, weil ihm nicht danach war, auf dem Podium zu stehen, eine seiner beiden Stradivari in der Hand, und „der Oboe zu lauschen, wie sie [im Adagio eben] die einzig wirklich wahre Melodie des ganzen Werkes“ spielt. Eine Melodie, die die Solo-Violine nach der langen, nur von Holz (famos: die beiden Fagotte) und Horn begleiteten Einleitung – hochmusikalisch und kantabel: Ivan Podyomov, der im Januar Kai Frömbgen auf das Pult der ersten Oboe nachgefolgt war – aufnimmt, variiert und in höchste Lagen führt. Ganz entgegen des kolportierten melodiearmen Sarasate-Satzes hat Brahms, der sein Violinkonzert 1878 am Wörthersee in Pörtschach zu komponieren begann, über die ihm „allerliebste“ Sommerfrische („See, Wald, darüber blauer Bergebogen, schimmerndes Weiß im reinen Schnee“) festgehalten: „Der Wörthersee ist ein jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, dass man sich hüten muss, keine zu treten.“

Kleines Intermezzo zwischen den beiden Programmteilen: Pausengespräche, solche während der Konzert-, nicht der Generalpause (wo sie nur störten), sind bisweilen interessant und durchaus erhellend, bieten Anregungen und Aufhänger. „Eine Sternstunde!“, konstatierte kurz und knapp eine Besucherin gegenüber einer zweiten über das zuvor Gehörte. Dem stimmen wir vorbehaltlos zu, denn so oft uns das Brahms-Konzert im Konzertsaal, auf CD und im Radio bereits begegnet ist, haben wir es doch selten, wenn nicht noch nie, derart mitreißend musiziert vernommen wie von Pinchas Zukerman und Daniele Gatti.

Das war pure „Magie im Mondlicht“, nur ganz ohne Mond und weit besser als das Drehbuch des neuen Films aus der Werkstatt des unermüdlichen Woody Allen. Zukermans Feuer brennt nach wie vor, viereinhalb Jahrzehnte nach seinem sensationellen Deutschlanddebut, als er im April 1969 für Nathan Milstein einsprang und im Münchner Herkulessaal das Tschaikowsky-Konzert machte. Am Pult des BR-Sinfonieorchesters stand damals Rafael Kubelik.

Zweimal häufiger noch als das Violinkonzert von Brahms haben die Bamberger Symphoniker Beethovens fünfsätzige Sechste in F-Dur op. 68 gegeben, die sogenannte Pastorale, die gemeinsam mit der Fünften Symphonie am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien unter der Leitung des Komponisten selbst ihre Premiere erlebte. Die Aufführung am Sonnabend war die hundertzehnte in der bald sieben Dekaden währenden Geschichte des bayerischen Spitzenorchesters.

Wieder war es vor allem das Holz (und Christoph Eß am Horn, das ja, obgleich Blechblasinstrument, bisweilen durchaus auch den Holzbläsern zugerechnet werden kann, man denke an die Bezeichnung „Holzbläserquintett“), das sich gut gelaunt in Szene setzte. So etwa im Andante molto mosso, in welchem Flöte (wunderbar: Ulrich Biersack), Oboe (abermals grandios: Ivan Podyomov) und Klarinette (kernig im Ton: Günther Forstmaier) die Rufe von Kuckuck, Wachtel und Nachtigall nachahmen. An die vier Holzbläser, am Fagott mit dabei war der superbe Alexei Tkachuk, leitete Gatti denn auch den kräftigen Applaus weiter, am Blumenstrauß durfte sich Lois Landsverk (Viola) erfreuen.

Über Beethovens „Erinnerungen an das Landleben“ schrieb der wie E.T.A. Hoffmann, dessen Zeitgenosse er war, aus Königsberg gebürtige Komponist und Kritiker Johann Friedrich Reichardt aus Anlass der Uraufführung, jede Nummer sei „ein sehr langer, vollkommen ausgeführter Satz voll lebhafter Malereien und glänzender Figuren“ gewesen. Auf seine Art vollkommen war auch dieser Konzertabend der Bamberger Symphoniker. Der BR schnitt mit. Und wer am heutigen Montag in München ist, kann an diesem Klang gewordenen Wunder mit Gatti am Pult, Zukerman an der Violine und der Bayerischen Staatsphilharmonie auf der Bühne der Philharmonie im Gasteig (ein weiteres Mal) teilhaben. Konzertbeginn ist um 20 Uhr.

Foto © Pioneer Press: Ben Garvin

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