Singin’ in the rain
Operette und Musical - Die fränkischen Theater sind dabei!
veröffentlicht am 03.02.2015 | Lesezeit: ca. 10 Min.
Ab dem 14. Februar geht in der Nürnberger Staatsoper der Vorhang hoch für einen Evergreen der ganz besonderen Art: „Singin’ in the rain“, das Musical von Betty Comden und Adolph Green mit der Musik Nacio Herb Browns, dessen Songs sich für immer in den Ohren einnisten, wenn man sie einmal gehört hat. Am Hofer Theater laufen gleich drei Musicals und zudem Jacques Offenbachs Operettenklassiker „Pariser Leben“. In Würzburg bietet das Mainfrankentheater den „Zigeunerbaron“ von Johann Strauß, in Coburg hatte „My fair Lady“ kürzlich Premiere und wird damit auch in Bamberg gastieren. Im März wird das Musical „Thrill me“ herauskommen, während das Landestheater im Operettenfach mit Carl Zellers „Der Vogelhändler“ aufwarten wird, ein Klassiker, der nicht nur wegen des unsterblichen Ohrwurms „Ich bin die Christel von der Post“ seit seiner Uraufführung 1891 ununterbrochen auf den Spielplänen steht. Nicht fehlen sollte der Hinweis darauf, dass auch in Bamberg, wo sich das E.T.A.-Hoffmann-Theater bis Jahresanfang mit der selbstgestrickten Offenbachiade „Palmbülbül und Wundersylphe“ blamierte, ein weiteres Musicalprojekt ansteht: „Spamalot“, nach der Kokosnussklamotte der Monty-Python-Truppe. Operette und Musical sind also auch in Franken en vogue, ein Grund, genauer hinzuschauen. Fangen wir an mit der Operette.
Warum eigentlich wird dieses Genre, an dessen Entstehung mit Jacques Offenbach einer der originellsten Komponisten der Musikgeschichte beteiligt war, oft noch belächelt? An kleineren Stadttheatern kommt die Operette allenfalls als Gastspiel vor, obwohl das Haus dann stets voll ist, während größere Dreispartenhäuser, die sich aus Renomméegründen dem großen Opernrepertoire widmen, ihr eine mehr oder minder feste Quote einräumen, quasi nach dem Motto: Wir brauchen auch etwas für das Volk. Natürlich gibt es die weltstädtischen Ausnahmen wie in Berlin (Komische Oper), Wien (Theater an der Wien und Volkstheater), München (Gärtnerplatztheater) oder Paris (Opéra Comique), wo sich neben den jeweiligen Staatstheatern spezialisierte Operettentheater mit eigenen Ensembles etabliert haben. Aber paradoxerweise wildern gerade diese Häuser mittlerweile kräftig im „seriösen“ Opernrepertoire der angestammten Platzhalter. Kaum eine Komische Oper, die sich nicht längst auch an Verdi oder sogar Wagner wagt - man hält etwas auf sich! Andererseits findet auch kein Landes- oder Staatstheater mehr etwas dabei, eine „Gala-Nacht der Operette“ anzubieten oder sich gleich dem Musical zuzuwenden, diesem artverwandten Nachfolger des Genres aus dem 20. Jahrhundert. Und das mit großem Erfolg, wie die Anzahl der Produktionen und Aufführungen ebenso beweist wie die imposanten Buchungszahlen.
Wagen wir nun im Sauseschritt einen kurzen Einblick in die Gattung Operette und fragen dann, wie dieses Genre aus der Sicht eines renommierten Theaterintendanten eingeschätzt wird. Die Operette verdankt ihren Namen dem italienischen Diminutiv von Oper und bezeichnet ein musikalisches Bühnenstück mit lockerer, heiterer Handlung, gesprochenem Dialog, Gesang und Tanz. Die Wurzeln der Operette liegen in den Parodien auf die ernste Oper, in der Opéra comique, im Singspiel und in der Gesangsposse. In Paris wurde Jacques Offenbach entscheidend für ihre Entwicklung, in Wien baute Franz von Suppé die einheimische Posse nach dem Vorbild von Offenbachs Frühwerken aus. Der klassischen Wiener Operette gaben der österreichische Volksliedton und der Wiener Walzer das Gepräge, ihr unbestrittener Meister wurde Johann Strauß (Sohn). Die jüngere Wiener Operette mit den Hauptvertretern Franz Lehàr und Oscar Straus übernahm opernhafte Ausdrucksmittel und ausländische Tanzformen. Emmerich Kálmán schuf den Typ der „ungarischen Operette“ mit ihren typischen Csardasmelodien. In Berlin pflegten Paul Lincke und Walter Kollo um die Jahrhundertwende eine mehr der Posse und der Ausstattungsrevue zugeneigte Richtung, der auch der Österreicher Ralph Benatzky und der Ungar Paul Abraham zugerechnet werden. Funktion und Wirkungsweise der Operette hat heute weitgehend das Musical übernommen.
Das Nürnberger Opernhaus, Schlachtschiff unter den fränkischen Theatern, war seit jeher vom Operetten-Bazillus infiziert. Dort schlugen schon früh „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“, besuchte der „Vetter aus Dingsda“ die ferne Verwandtschaft oder brillierte der „Zigeunerbaron“. Auch heute Unbekannteres wurde geboten, z.B. „Die Frau ohne Kuss“, „Die keusche Susanne“, „Prinzessin Nofretete“ oder das „Wachauer Mädel“. Selbst Uraufführungen erlebte Nürnberg; erwähnen wir nur Nico Dostals „Doktor Eisenbart“ (1952), Julius Bittners „Der liebe Augustin“ (1917!) oder die posthum aufgeführte Urfassung von Karl Millöckers „Diana“ (1959).
Staatsintendant Peter Theiler vom Nürnberger Opernhaus, auf sein Verhältnis zur Operette angesprochen, fängt mit einem klaren Bekenntnis an: „Ich persönlich liebe die Operette“. Was die Aufführbarkeit betrifft, macht er jedoch eine Einschränkung, denn es sei festzustellen, dass man heute nicht mehr alle Stücke des Genres spielen könne, da die Operetten häufig stark in ihrer Entstehungszeit verhaftet seien. Operette sei ursprünglich nicht nur ein Unterhaltungsgenre, sie hätte auch immer die Funktion gehabt, gesellschaftliche Vorgänge satirisch zu kommentieren. Das könne sie aber heutzutage kaum noch leisten.
- Art5drei: Was bleibt dann vom Repertoire noch übrig?
Peter Theiler: Heute eignen sich vor allem die Operetten mit einer Wendung, Werke also, die anhand der menschlichen Verstrickungen ihrer Protagonisten eine zeitunabhängige Deutung zulassen.
- Art5drei: Beispiele?
Peter Theiler: Nehmen wir z.B. Franz Lehàrs „Lustige Witwe“, die eine zeitlose Gültigkeit hat, weil es hier um Gier und Verschwendung geht, also allgemein menschliche Züge. Genau so kann man an Johann Strauß’ „Fledermaus“ denken oder an andere Lehàr- und Kálmán-Operetten, die man immer noch spielen kann, da deren Beschreibung menschlicher Charakterzüge nichts an Relevanz verloren hat.
- Art5drei: Wie steht es mit der Interpretation von Offenbachs Werken?
Peter Theiler: Dessen Operetten sind schwierig zu übertragen, fast alle beziehen ganz konkret Position zur Gesellschaft und lebenden Personen des 2. Kaiserreichs. Die Zeitsatire in Werken wie „La Périchole“ oder „Die Banditen“ lässt sich nicht einfach ins 20. Jahrhundert übertragen. Da muss man heute schon andere Chiffren finden, wenn die Stücke wieder auf die Bühne gebracht werden sollen. Auch bei den Vertretern der Wiener Operette hat man häufig das Problem der Übertragung, vor allem, wo sie sich auf den gesellschaftlichen Machtumbruch zwischen Adel und Bürgertum beziehen. Die Operette hat da ihre Kernfunktion, aktuelles Zeitgeschehen kritisch zu kommentieren, weitgehend verloren.
- Art5drei: Was haben Sie in der letzten Zeit an Ihrem Haus für diese Gattung getan?
Peter Theiler: Wir haben in Nürnberg in den letzten Jahren nicht so viele Operetten gemacht, denn wir sind ein großer Musiktheaterbetrieb, der viele unterschiedliche Aspekte des Repertoires bedienen muss. Wir können uns nicht spezialisieren, wie das z.B. in München das Gärtnerplatz-Theater oder in Berlin die Komische Oper tun kann. Ich finde es aber schon interessant, was Barrie Kosky (der Generalintendant der Komischen Oper Berlin, die Red.) gerade für ein Repertoire ausgräbt, die Berliner Operette der zwanziger Jahre, die eine starke politische Dimension hat. Im Nürnberger Spielplan erfüllt die Operette vor allem die Funktion der gut gemachten Unterhaltung, so sind hier „Die Csárdásfürstin“, „Die Fledermaus“, „Orpheus in der Unterwelt“ und die Revue-Operette „Im weißen Rössl“ in den letzten Jahren entstanden. Von Aktualisierungen der Stoffe halte ich aus den oben genannten Gründen nicht viel.
- Art5drei: Was leistet das Musical in dieser Hinsicht?
Peter Theiler: Das Musical hat die Operette hierin in weiten Teilen abgelöst, es ist die heutigere, zeitgemäßere Form, um gesellschaftliche Vorgänge zu kommentieren und zu bewerten. Letztlich ist das Musical auch aus der Operette geboren. Sieht man sich heute ein amerikanisches Musical-Handbuch an, so findet man in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert Titel wie „Die lustige Witwe“ und „Show Boat“, später „My fair Lady“ oder „Brigadoon“, die in Europa der Operette zugeordnet werden bzw. deren musikalische Formen sich noch näher an der Operette als am Musical bewegen.
Soweit die Sicht eines Staatsopernintendanten, der die Operette offenkundig nicht, wie andernorts bereits üblich, den Zumutungen des Regietheaters ausliefern will. Postskriptum: Wie es der Zufall will, ist vor wenigen Tagen ein Buch zur Gattung der Operette erschienen, das schon bald zu einem Standardwerk werden könnte und zudem aus der Feder eines Bamberger Professors stammt. Albert Gier, Professor für Romanische Philologie, der bereits ein grundlegendes Werk zum Libretto vorgelegt hat und an der Universität Bamberg eine Libretto-Forschungsstelle betreibt, veröffentlichte unter dem Motto „Wär’ es auch nur ein Augenblick“ ein Buch mit dem Titel „Poetik und Dramaturgie der komischen Operette“. Darauf wird in der nächsten Ausgabe von art5drei zurückzukommen sein. Vor allem aber werden wir jene musikalische Bühnengattung ins Visier nehmen, die im 20. Jahrhundert quasi zur natürlichen Erbin der Operette geworden ist: das Musical. Was könnte als Einstimmung dafür besser taugen als jene musikalische Liebeserklärung an das Regenwetter, die 1952 unter dem Titel „Singin’ in the rain“ zunächst als Film in die Welt kam und dann ab 1983 in der Bühnenadaptation das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss – ab Mitte Februar in Nürnberg!
"Der Zigeunerbaron" - Theater Würzburg, Foto (c) Falk von Traubenberg / "Pariser Leben" - Theater Hof, Foto (c) SFF Fotodesign / "Die Fledermaus": Sybille Witkowski (Rosalinde), Jochen Kupfer (Eisenstein) und Martin Nyvall (Dr. Blind), Foto (c) Jutta Missbach / "Orpheus in der Unterwelt": Leila Pfister (die öffentliche Meinung), Martin Plath (Orpheus) und Opernchor, Foto (c) Ludwig Olah