Britannia in Bamberg
Roger Norrington am Pult der Bamberger Symphoniker
veröffentlicht am 15.03.2015 | Lesezeit: ca. 6 Min.
Britannia in Bamberg
Roger Norrington am Pult der Bamberger Symphoniker
Das fünfte Konzert innerhalb der Abonnementreihe B der Bamberger Symphoniker am Sonnabendabend im keinesfalls ausverkauften Joseph-Keilberth-Saal wies einige Besonderheiten auf. So waren ausschließlich Werke aus dem 20. Jahrhundert zu hören, ausschließlich Werke von der britischen Insel. Und dass der Dirigent sitzend (dabei aber überaus wach und munter und mit ausladender Gestik vor allem der Linken) agierte, war dessen recht hohem Alter und den damit verbundenen Malaisen geschuldet. Immerhin darf man am morgigen Montag Sir Roger Norrington, dem Gründer der London Classical Players, dem ehemaligen Chefdirigenten des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (von 1998 bis 2011; mit den Stuttgartern hat Norrington einen vielbeachteten Mahler-Zyklus und einen der Brahms-Symphonien vorgelegt, hat Schubert, Bruckner und Mendelssohn Bartholdy gemacht, zuletzt in diesem Januar bei hänssler CLASSIC „Ein Deutsches Requiem“ vorgelegt) und derzeitigen Chef des Zürcher Kammerorchesters, an dessen Pult er wieder am letzten Märzsamstag, in einem reinen Mozart-Abend (und mit der Münchner Geigerin Arabella Steinbacher), stehen wird, zu seinem Einundachtzigsten gratulieren.
Selbstverständlich ist Norrington, auch in Stuttgart, immer wieder für Musik aus seiner Heimat eingetreten, die hierzulande ja, völlig zu Unrecht, kaum gemacht (noch wirklich gemocht) wird. Ja, Elgars Cellokonzert ist bisweilen zu hören – fast nie aber eine seiner Symphonien – und, ja, natürlich „The Planets“ von Gustav Holst. Wenn im Orchester statt einer zwei oder gar zwölf Tuben besetzt wären, so gehörte das f-Moll-Tubakonzert (1954) von Ralph Vaughan Williams gewiss zu den meistgespielten Werken von der Insel, denn es ist bei jedem Probespiel Pflicht.
Vaughan Williams wurde auch im Keilberth-Saal geboten, nach der Pause, seine in lyrischem Ton gehaltene Fünfte (von insgesamt neun Symphonien) in D-Dur, uraufgeführt unter der Leitung des Komponisten im Juni 1943 bei den Proms in der Royal Albert Hall. Wie Meinhard Saremba in seiner klugen Einführung auch mittels Hörbeispielen verdeutlichte, finden sich darin Themen aus Vaughan Williams‘ Oper „The Pilgrim‘s Progress“ (nach John Bunyan, der das Erbauungsbuch während seiner zwölf Jahre im Gefängnis von Bedford, Bambergs Partnerstadt, geschrieben hatte).
Man kann die Fünfte, so wie Saremba es in seiner „Geschichte der britischen Musik in zwölf Portraits“ getan hat, sehr wohl als „Symbol des Schönen in den Kriegsjahren“ deuten. Sie ist ein stilles Opus, erfüllt von einem warm sich entfaltenden Streicherklang, das sich kaum einmal zu einem Forte oder gar Fortissimo versteigt. Und da ist ja auch, nach dem munter-verspielten Scherzo, der dritte Satz, die Romanze, mit einem elegischen Englischhorn-Solo (Yumi Kurihara galt ein verdienter Sonderapplaus, wie auch Konzertmeister Peter Rosenberg, der gleichfalls solistisch hervorgetreten war), das alsbald die Flöte (Ulrich Biersack) und die Oboe (Barbara Bode) aufnehmen und fortführen. Großer Beifall, vor allem auch von Seiten der Symphoniker für Sir Roger, der sich bei vielen von ihnen, bis hinauf zu den Fagotten und Klarinetten, mit einem Händedruck bedankte.
Der Abend begann mit Michael Tippetts dreisätzigem Concerto for Double String Orchestra, einem frühen Meisterwerk, geschrieben 1938/39: rhythmisch sehr diffizil und vertrackt, mit Anklängen an volkstümliche Melodien, auch an den Blues, etwa im Violinsolo des Adagio cantabile. Benjamin Brittens „Four Sea Interludes“ entstammen seiner Oper „Peter Grimes“ (Robin Ticciati hat sie zuletzt, mit dem Chor und Orchester der Scala, auf DVD herausgebracht), die in Suffolk, an der englischen Ostküste, wo Britten lebte, angesiedelt ist und von dem Fischer Peter Grimes handelt, einem Außenseiter – ganz wie es Britten und sein Lebensgefährte, der Tenor Peter Pears, in Aldeburgh selbst waren – der schließlich in den Suizid getrieben wird. In der „Morgendämmerung“ waren flirrende Streicher und gleißendes Holz ebenso zu bewundern wie sattes, tiefes, dunkles Blech; im „Sonntagmorgen“, der anfangs durchaus ein wenig an die Minimal music etwa eines Steve Reich erinnert, durften die Röhrenglocken nicht fehlen, und dem brachialen „Sturm“-Finale ging ein „Mondschein“ voraus, der Ruhe atmete und Schönklang (die Celli, das Fagott). Dergleichen, dachte man sich, kann nur ein Engländer komponiert haben.
Freunde britischer Musik durften sich an diesem langen Märzwochenende, beginnend mit einer Podiumsdiskussion am Donnerstagabend, an welcher auch Roger Norrington teilgenommen hatte, in der oberfränkischen Domstadt wie im Schlaraffenland fühlen. Zu danken war das „Britannia in Bamberg“, den Tagen der britischen Musik, für die Meinhard Saremba als künstlerischer Leiter verantwortlich zeichnete. Sie finden ihre Fortsetzung im April.
Wer sich sputet, kann an diesem Sonntagnachmittag von 17 Uhr an (unter gewissen Umständen gebe es, hatte Henry James im ersten Satz seines feinen Romans aus dem Jahre 1881, „The Portrait of a Lady“, bemerkt, wenige Stunden im Leben, die angenehmer seien als jene, die der Zeremonie des Nachmittagstees gewidmet sei) Chormusik britischer Komponisten, vom 16. Jahrhundert bis hinein ins Zwanzigste, hören. In der Johanniskapelle auf dem Stephansberg ist der Frankfurter Chor Vocalis, dirigiert von Robin Doveton, zu Gast. Und einen Steinwurf weit davon entfernt wird, ebenfalls zur Fünfuhrteezeit, Händels „Messias“ aufgeführt, von der Kantorei St. Stephan unter Ingrid Kasper. Auch dieses Oratorium zählt ja zu den Höhepunkten englischer Musik.
Fotos © Mykel Nicolaou (Boot am Strand von Aldeburgh, Manfred Esser (Roger Norrington) und Paul Bennett („Suffolk“, „Waterland“ und „Waterland, Blythburgh Cathedral“)