Klassiker

Herzgewächse, schwungvoll, mit großem Ton

„Enuma elisch“ – Hans Wollschläger zum Achtzigsten

veröffentlicht am 17.03.2015 | Lesezeit: ca. 5 Min.

Es habe, hat der, um den es hier gehen soll – Hans Wollschläger (äußerer Anlass ist sein Achtzigster, innerer eine tiefe Achtung vor dem Menschen und dem Werk, das er uns geschenkt hat) – auf einem nachgelassenen, nicht näher datierten Zettel festgehalten, ihm niemand die „Größe des Menschlichen“ so „vor Augen (ja!) gebracht wie Bach, die Menschlichkeit des Menschlichen niemand so wie Mahler“.

Wie schön, sollte man meinen, dass Wollschläger sich seinen Todestag mit Mahler (und mit dem großen Mahler-Sänger Dietrich Fischer-Dieskau) teilt. Sofern man in Betracht zieht, dass es 1911, anders als 2007, noch keine Sommerzeit gab. Neben Mahler, dessen fragmentarische Zehnte er in den Fünfzigern zu komplettieren gedachte und von der er, der Komposition bei Wolfgang Fortner und Dirigieren bei Hermann Scherchen studiert hatte, im August 1964 schrieb, sie sei die „Totenmaske der tonalen Musik“, ist mit dem Namen Wollschlägers auch derjenige von Karl May verbunden. Diesem widmete er 1965 eine wegweisende Biographie, im Untertitel „Grundriß eines gebrochenen Lebens“ geheißen, zu deren Lektüre Arno Schmidt aufgrund der „ununterdrückbaren Fähigkeit des Verfassers zu eleganten Formulierungen“ dringend riet.

Mit Arno Schmidt zusammen hat Wollschläger Edgar Allan Poe übertragen. Raymond Chandler und Dashiell Hammett sollten folgen und, natürlich, James Joyce. Oben auf dem Bamberger Jakobsberg hat Hans Wollschläger in den frühen siebziger Jahren „das schier Unglaubliche zustandegebracht“, nämlich den Jahrhundertroman „Ulysses“ (1922) in ein „Kunstwerk deutscher Sprache zu übertragen, das gleichzeitig allen Anforderungen an die höchstmögliche Genauigkeit und Angleichung an das Original erfüllt“. Allein damit habe sich Wollschläger, so Wulf Segebrecht, der inzwischen emeritierte Lehrstuhlinhaber für Neuere deutsche Literatur an der Otto-Friedrich-Universität, weiter in seiner Laudatio auf den Träger des E.T.A.-Hoffmann-Preises von 1989, „nach dem einhelligen internationalen Urteil in die Geschichte der Literatur des 20. Jahrhunderts eingeschrieben“.

Und als im November 2005 dem Bamberger Übersetzer, Schriftsteller, Polemiker und genialischen Mahler-Exegeten der Friedrich-Baur-Preis in der Sparte Literatur verliehen wurde, sollte der Erlanger Literaturwissenschaftler Peter Horst Neumann – wie Wollschläger selbst ein Mahler- und Rückert-Kenner – dessen „Ulysses“-Übertragung als „eine der bedeutendsten Übersetzungstaten der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts“ würdigen. Die Preisverleihung fand im Großen Haus des E.T.A.-Hoffmann-Theaters statt. Dort hatte Wollschläger am 1. Dezember 2004 die drei Kapitel „Hades“, „Helios“ und „Ithaka“ vorgetragen, dort hatte er gemeinsam mit Bernd Schramm das Schlusskapitel des „Ulysses“ in Szene gesetzt, „Penelope“. Molly Blooms finalen Monolog sprach und spielte, in der Saison 2004/05, Gudrun Eiselen.

Wollschäger, aus Minden gebürtig, war 1957 an die Regnitz gekommen, um (bis 1970) für den Karl-May-Verlag zu arbeiten. Seine letzten Jahre verbrachte Wollschläger in Dörflis, einem bei Königsberg gelegenen Weiler, in den Haßbergen. Verdient gemacht hat er sich um Friedrich Rückert, dessen historisch-kritische Ausgabe bei Wallstein in Göttingen, die sogenannte „Schweinfurter Edition“, er begründete. Und da ist selbstverständlich auch der Roman „Herzgewächse oder Der Fall Adams“, zumindest dessen erstes Buch. Die „Fragmentarische Biographik in unzufälligen Makulaturblättern“ ist anno 1982 bei Haffmans in Zürich herausgekommen; eine Art Polyphonie des Schreibens, vergleichbar etwa Arno Schmidts „Zettel’s Traum“ und James Joyces „Finnegans Wake“ (und wie diese beiden eine ebenso diffizile wie erfüllende Lektüre), die ohne Mahler, aber auch ohne Bach und Goethe, Schopenhauer und Karl Kraus nicht zu denken ist. Und auch nicht ohne Bamberg.

Darin heißt es beispielsweise, auf Seite 69: „zur Langen Straße : Messerschmitt – die Banken : der graue Taumel bürgerlicher Beflissenheit –: taubstumme Lemuren an den Haltestellen – auch seidig kleiderne Geschäftshalbwelt“. „Ich finde es immer noch seltsam“, schreibt der Bamberger Autor Rolf-Bernhard Essig, dass „die Stadt mit dem Pfund ‚Herzgewächse‘ so gar nicht wuchert, denn welche Stadt hat schon einen eigenen Roman, der ähnlich kunstvoll wie ‚Ulysses‘ für Dublin ist.“

Heute feierte Hans Wollschläger seinen Achtzigsten. Daher gilt ihm, von 18 Uhr an, im Dientzenhofer-Saal der Städtischen Musikschule Bamberg, die Konzert-Lesung „Enuma elisch“. Für Bach, für Wollschäger, für Mahler engagieren sich Clara Siegle am Flügel, Dietmar Reschel (Rezitation), die Sopranistin Monika Teepe und deren Mahler-Leidbegleiter Burkhard Rempe. Wir verneigen uns und gratulieren. Und lauschen. Lesen.

Fotos © Brigitte Friedrich; privat; Popmuseum

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