Lewandowski feiert, Lewandowski geht
Die 33. Bayerischen Theatertage in Bamberg
veröffentlicht am 24.03.2015 | Lesezeit: ca. 13 Min.
Die 33. Bayerischen Theatertage in Bamberg
Als eine „Abschlussveranstaltung meiner Zeit hier in Bamberg“ will Rainer Lewandowski die 33. Bayerischen Theatertage verstanden wissen. Vom 3. Mai bis zum 23. Mai, über drei statt der sonst üblichen zwei Wochen hinweg, wird die Fete im E.T.A.-Hoffmann-Theater steigen. Dessen Intendant wird Lewandowski, Hannoveraner des Jahrgangs 1950 und ein Theatermann durch und durch, wenn er im Sommer von der Bühne abtritt, satte sechsundzwanzig Jahre lang gewesen sein.
Es sei eine „ganz besondere Veranstaltung in einer ganz besonderen Bedeutung“, eine „große Dank- und Abschiedsveranstaltung“. „Wir werden nicht punktuell tschüss sagen, sondern ein Theaterfest geben, mit welchem wir uns von Bamberg, von diesem Hause und voneinander verabschieden werden“, verkündete Lewandowski bei der Pressekonferenz Mitte März. Präsentiert werden in dem am Schillerplatz gelegenen Hause dreieinhalb Dutzend Produktionen, vom Klassiker über das Jugendtheaterstück und den Chansonabend bis hin zur Heavy-Metal-Oper, mithin ein so vielseitiges wie spannendes Programm.
Es ist bereits das sechste Mal, dass sich die Theater des Freistaates in Bamberg präsentieren, zum fünften Male, nach 1992, 1999, 2005 und 2011, innerhalb des Äons Lewandowski. Die Bayerischen Theatertage gehen letztlich zurück auf eine Idee von August Everding, der sich so etwas in München wünschte. In der Landeshauptstadt aber fand das Festival noch nie statt. Und das soll, nach den Worten von Michael Schmidt, Geschäftsführer des Landesverbandes Bayern im Deutschen Bühnenverein, auch so bleiben. Denn die Theatertage sollten die Bühnen des Freistaates nicht an einem zentralen Ort, sondern in der „bayerischen Landschaft“ zusammenführen. Premiere feierten sie anno 1983 in Nürnberg, im vergangen Jahr waren sie in Erlangen zu Gast.
Die 33. Bayerischen Theatertage starten am Sonntag, den 3. Mai (also vor der offiziellen Eröffnung am darauffolgenden Montag), mit einem sogenannten Warm-Up-Fest im Studio und im schönen, angrenzenden Harmoniegarten. Dort soll, zur Soul- und Blues- und Rock-Musik der (Sybille) Kreß Gang, ausgelassen getanzt und gefeiert werden. „Wie im Himmel“ heißt es dann am Montagabend im Großen Haus. Der Gastgeber zeigt sich in diesem bewegenden Stück nach dem gleichnamigen Streifen des schwedischen Regisseurs Kay Pollak, der 2005 als bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert war und Millionen Menschen in die Kinos lockte. Der begnadete Dirigent Daniel Daréus, auf der Suche nach dem vollkommenen Klang, erleidet einen Herzinfarkt.
Daraufhin zieht er die Notbremse und geht zurück in sein Heimatdorf, wo er gebeten wird, den Kirchenchor zu übernehmen (hier unter der Leitung der Dekanatskantorin Ingrid Kasper). Die – nur scheinbare – Idylle des Dorfes zerbricht, Eifersucht und Neid, Bigotterie, Hass und Gewalt treten zutage. In der Liebe findet Daréus schließlich die entscheidende Stimme, mit der er seine Partitur zum vollkommenen Klang komplettieren kann. Heidemarie Gohde inszeniert, Iris Hochberger, Aline Joers, Florian Walter, Eckhard Neuberg und andere spielen, Bamberger Chöre werden singen.
Zahlreich vertreten sind die Klassiker, darunter beispielsweise Georg Büchners „Woyzeck“, mit dem das Münchner Volkstheater am 5. Mai an die Regnitz reist. Die Geschichte vom jungen, von Geldsorgen getriebenen Soldaten Franz Woyzeck und seiner Freundin Marie, die ihn mit dem Tambourmajor hintergeht, erzählt von gesellschaftlichen Strukturen und gruppendynamischen Prozessen. Die „Frage, die das Stück stellt“, schreibt Lukas Bärfuss, in diesem Sommersemester Inhaber der Poetikprofessur an der Otto-Friedrich-Universität, „ist die Frage nach dem Zustand des Menschen überhaupt. Was ihn auszeichnet, wie einzigartig er sei, und wie sehr er sich vom Tier unterscheide. Und selbstverständlich findet das Stück auf diese Frage so wenig eine Antwort wie die Wissenschaft.“ Büchner begann mit der Niederschrift des Fragment gebliebenen Dramas im späten Sommer 1836; uraufgeführt wurde es erst 1913, am Münchner Residenztheater. Eine Einführung und ein Nachgespräch werden die Inszenierung von Abdullah Kenan Karaca begleiten.
Den Klassikern, von denen Henry David Thoreau meinte, sie seien nichts anderes als die „erhabensten der uns überlieferten menschlichen Gedanken“, und von welchen Gilbert Keith Chesterton behauptete, es handele sich dabei um Dichter, die man loben könne, ohne sie gelesen zu haben, den Klassikern also zuzurechnen ist naturgemäß auch Schillers romantische Tragödie „Die Jungfrau von Orleans“, die im September 1801 in Leipzig Premiere feierte. Damit kommt das Theater Erlangen am Samstag, den16. Mai, ins Große Haus. Violetta Zupancic ist als Hirtenmädchen Johanna, das die Franzosen im Kampf gegen die Engländer zum Sieg führen soll, in der Hauptrolle zu erleben, Regie führt Thomas Krupa, der viel mit dem Licht spielt.
Zu Schillers Lebzeiten war die „Jungfrau“ eines der meistgespielten Stücke überhaupt. Populär ist sie noch heute. Auch hierzu wird es eine Einführung sowie ein Nach(t)gespräch geben. Und mit „Des Teufels General“ (1946) von Carl Zuckmayer ist auch ein moderner Klassiker vertreten. Inszeniert hat den Dreiakter die junge israelische Regisseurin Sapir Heller, die hier nur mit Männern arbeitet, um so den „männlichen Blick zurück in eine von Männern geprägte Zeit“ zu verdeutlichen. Es spielt das Theater Hof, und zwar am 10. Mai.
Beliebt auf bayerischen Bühnen sind in dieser Spielzeit literarische Adaptionen. Im Studio zeigt das Theater Augsburg, gleichfalls am 10. Mai, „Michael Kohlhaas“ nach der Novelle von Heinrich von Kleist. Ohne festgelegte Rollenzuweisung erzählen und improvisieren eine Schauspielerin (Helene Belchinger) und drei Schauspieler die Geschichte des Titelhelden, die auch eine ist von Korruption und Nepotismus, von Raub und Mord. Am 8. Mai gastiert das Landestheater Coburg mit „Fabian“, nach Erich Kästners Berlinroman. Torsten Schilling inszeniert, Dirk Olaf Hanke ist für die Dramaturgie, Gabriele Wasmuth für die Ausstattung zuständig. Dem Coburger Intendanten Bodo Busse zufolge handelt es sich um eine eigens für Bamberg eingerichtete Produktion, da man auf eine Drehbühne verzichten müsse. Dergleichen ist zwar am E.T.A.-Hoffmann-Theater vorhanden, doch reicht angesichts des dichtgedrängten Spielplans die Zeit nicht zu deren Einbau.
Vom 17. Mai bis zum 19. Mai liegt das Hauptaugenmerk auf Kinder- und Jugendstücken, und zwar, dessen ist sich Anja Simon, die, wie Stefan Dzierzawa, maßgeblich an der Vorbereitung und Organisation dieser Dreiwochenparty beteiligt war, „in einer Qualität, die dem Erwachsenentheater in nichts nachsteht, mit Professionalität auf die Bühne gebracht“. Die Altersgrenze der Zuschauer sei nach oben hin offen. Das Kinder- und Jugendtheater Chapeau Claque lockt mit „Das hässliche junge Entlein“ (nach Hans Christian Andersen), und zwar in seine angestammte Spielstätte, die in Bamberg in der Grafensteinstraße 16 zu finden ist. Die Bühnenfassung hat Martin Neubauer besorgt, Cornelia Morgenroth inszeniert.
„Das Buch von allen Dingen“, nach einem Roman des gebürtigen Amsterdamers Guus Kuijer, setzt das Nürnberger Theater Pfütze, in Kooperation mit dem Staatstheater der mittelfränkischen Metropole, im Großen Haus in Szene. Es handelt von dem Jungen Thomas und seiner Welt, von tropischen Fischen im heimischen Bach, von den magischen Künsten der Nachbarin, von Jesus, mit dem Thomas per Du ist. Die Soundcollagen steuert Martin Zels bei, Beatrix Cameron die Kostüme, die Inszenierung Marcelo Diaz. Der 18. Mai beginnt bereits um 11 Uhr im Foyer mit einem Theaterzauber von Kathrin Lehmann (Stadttheater Ingolstadt), „rundgeradekrumm“ geheißen und für die Allerkleinsten gedacht, für Kleinkinder im Alter von zwei Jahren an. Joana Tscheinig spielt liebevoll umgesetzte Kleingeschichten, die mit erstaunlich einfachen Mitteln zu verzaubern wissen. Hände und Füße verselbstständigen sich und beginnen zu sprechen, zu tanzen.
Um 18 Uhr heißt es im Studio „Ausgebüxt“. Mit dieser Adaption nach Mark Twains „Tom Sawyer“ stellt sich das Theater Mummpitz aus Nürnberg vor. Dieses komödiantische Dreipersonenstück bietet viel Musik, denn die Darsteller agieren (auch) an Trompete, Tenorsaxophon und Gitarre. Die Musik hat Niklas Kammermeier geschrieben, Michael Schramm inszeniert, und ist, wie Kammermeier, einer der drei Schauspieler. Zwei Stunden später geht im Großen Haus „Tschick“ über die Bühne. Als Vorlage dient der überaus erfolgreiche, gleichnamige Roman von Wolfgang Herrndorf, den Robert Koall in eine Bühnenfassung gebracht hat.
Die Geschichte einer sommerlichen Reise durch so fremde wie vertraute deutsche Lande gibt, in einer Inszenierung von Thomas Klischke, das Fränkische Theater Schloss Maßbach, das es, nebenbei, pro Spielzeit auf rund 60 000 Zuschauer (bei 300 Aufführungen) bringt, während für das E.T.A.-Hoffmann-Theater bei 278 Vorstellungen 57 290 Zuschauer verzeichnet werden. Das Staatstheater am Gärtnerplatz ruft am 19. Mai Kinder von sechs Jahren an dazu auf, doch „mit ins Land Erfahrung“ zu kommen. „Ein Schaf fürs Leben“ nennt sich das Zweipersonenstück von Maritgen Matter. Frances Lucey und Holger Ohlmann spielen, die musikalische Leitung liegt in den Händen von Andreas Partilla.
Apropos Musik: Ein bitter-schönes Theatervergnügen verspricht das Landestheater Dinkelsbühl am 6. Mai im Studio. Marlene Dietrich (Franziska Ball) und Edith Piaf (Annette Ziellenbach) treffen aufeinander in „MarlenePiaf“, einem musikalischen Kammerspiel, angesiedelt zwischen Drama und Chanson-Abend, aus der Feder von Edzard Schoppmann. Dessen Conclusio heißt, dass am Ende nur eines bleibe – die Musik: „Komm, wir singen und tanzen und amüsieren uns, bis unser ganzen Leben in Schutt und Asche sinkt!“, oder auch: „Non, je ne regrette rien.“ Für die Choreografie zeichnet Katharina Felling verantwortlich, für die Arrangements Andreas Harwarth.
Das Theater Hof zieht vor dem Bamberger Hausherren und Prinzipal Rainer Lewandowski den Hut und bringt dessen „Stück Operette“ – „Rosen der Liebe“ – im Studio zur Aufführung, am 13. Mai, nur wenige Wochen nach der Premiere an der Saale. Versprochen wird nichts weniger als ein Bouquet der schönsten Arien und Duette von Emmerich Kálmán, von Carl Zeller, Franz Lehár und Johann Strauß. Rebecca Anne Hicks hat die musikalische Leitung inne, Lothar Krause inszeniert, Inga Lisa Lehr und Mathias Frey singen und spielen und lieben. Womöglich sogar einander. Es muss was wunderbares sein…
Die Zuschauer werden bei den Bayerischen Theatertagen insofern mit ins Geschehen eingebunden, als sie abstimmen und den Gewinner des Publikumspreises wählen dürfen. Jedem Stück, das man besucht hat, kann man eine Schulnote zwischen eins und sechs zuteilen. Schließlich werden sämtliche Stimmen ausgewertet und die drei Produktionen, die am besten ankamen, bei der Preisverleihung am 23. Mai von 14.30 Uhr an prämiert. Der Theaterverein Bamberg trägt sowohl für die korrekte Auszählung wie für ein verdientes Preisgeld Sorge. Darüber hinaus wird eine Jugendjury nach hitzigen Diskussionen, deren Kern tagesaktuell im Foyer aushängt, zum Finale ihren Sieger küren. Der Ausklang wird an jenem Samstag im Festzelt und im Foyer gefeiert werden. Für musikalischen Schwung wird die aus Niedersachsen anreisende Band Get Set sorgen, die so generationenübergreifend besetzt ist wie sich ihr Repertoire gibt, das sich von Stevie Wonder und Ray Charles, von den Beatles und Joe Cocker bis hin zu Eric Clapton und Adele erstreckt.
Hinzuweisen ist noch auf das feine Rahmenprogramm. Von montags bis donnerstags wird, jeweils um 22.30 Uhr, im Gewölbekeller „Kissengeflüster“ geboten, die tägliche Seifenoper der Improvisations-Gruppe des Hoffmann-Theaters, die sich Stargäste der gastierenden Ensembles sowie Impro-Veteranen aus der Domstadt in ihr Team holt. Ebenfalls zu später Stunde (22.30 Uhr) kommen Hanuta Gonzales alias Arnd Rühlmann und Ursula Gumbsch am 8. Mai in den Theater-Treff, um „Shades of Schmalz“ zu offerieren, die die beiden in Liebes-, Arzt- und Abenteuerromanen und in lyrischen Gefilden gefunden haben.
Längst legendär ist zur Mitte der Woche das Kneipenquiz im „Stilbruch“ in der Sandstraße. Quizmaster René Schmitz macht am 9. Mai um 15 Uhr Station im Festzelt, fragt nach Theater und dessen Geschichte, bietet Trivia aus Lust- und Trauer- und Singspiel auf. Den Gewinnern winken freie Getränke sowie Karten für die Bayerischen Theatertage. „Divertimenti“ ist schließlich eine musiksatte Reihe im Treff betitelt, die um 22.30 Uhr beginnt und beispielsweise am 17. Mai Uwe Gaasch und Waldi Bauer, also „Brand Old“, aufbietet und tags zuvor einen Italienischen Abend mit dem Ehe- und Musikerpaar Beate und Pieter Roux.
Es dürfte hinlänglich bekannt sein, wenn nicht, so sei es hier nochmals gesagt: Bamberg, dessen Bischof und Bewohner haben Eingang gefunden in den „Götz von Berlichingen“. Gleich in der ersten Szene des ersten Aktes – in einer Herberge wird dem Branntwein, „christlich gemessen“, zugesprochen – prügeln sich zwei Bamberger („Was tun d i e hier?“) Reiter mit den Anführern der rebellischen Bauern. Goethes Sturm-und-Drang-Drama steht bei den 33. Theatertagen nicht auf dem Programm, wohl aber die für die Bühne adaptierten „Leiden des jungen Werther“ in einer Produktion des Theaters Erlangen und der „Faust“ als Einpersonenstück (Kai Christian Moritz spielt) vom Würzburger Mainfranken Theater: „Der Worte sind genug gewechselt“. Und geschrieben. Wir wünschen viel Vergnügen und den dreißig Bühnen aus dem Freistaat toi, toi, toi.
Copyright Fotos:
Warten auf Godot, Theater Ansbach, Foto © Jim Albright
Andine Pfrepper, bash, Theater Regensburg, Foto © Jochen Quast
Pressekonferenz Bayerische Theatertage, Foto @ 2mcon, Bamberg