Das Mainfranken Theater im Porträt
Uraufführung von Gerhard Stäbler und viel Ballett
veröffentlicht am 24.03.2015 | Lesezeit: ca. 10 Min.
Ein Blick zurück: An Franz Hauser, Regisseur am Leipziger Theater, der es abgelehnt hatte, seinen Erstling „Die Feen“ zur Uraufführung zu bringen, schrieb Richard Wagner im März 1834, er habe es, wenn auch „aus Gefälligkeit“ (wohl seinem Bruder Albert gegenüber), übernommen, „im Würzburger Theater die Chöre einzustudiren“. Dabei habe er „oft mit auf das Studiren der ganzen Oper gewirkt“, etwa auf Heinrich Marschners „Hans Heiling“ und Giacomo Meyerbeers „Robert le diable“. Gegründet worden war das damals Würzburger Stadttheater geheißene Haus ein Jahrzehnt zuvor, von dem mit E. T. A. Hoffmann befreundeten Julius von Soden, einem gebürtigen Ansbacher.
Der Name Wagner blieb dem Mainfranken Theater verbunden. Die Urenkelin Katharina Wagner (und Ur-Urenkelin von Liszt) gab mit „Der fliegende Holländer“ 2002 ihr Debüt als Regisseurin, und zwei Jahre hernach wurden „Die Feen“ gemacht. Das Musiktheater gehört zu den Stärken des Dreispartenhauses, das seit bald fünf Dekaden in einem Neubau in der Ludwigstraße zuhause ist. Intendant ist, seit der Spielzeit 2004/2005, Hermann Schneider, der das Mainfranken Theater in einer von Turbulenzen geprägten Zeit übernommen hat.
Längst hat sich das Haus erholt, längst leistet es – im Schauspiel, im Ballett, in Oper und Konzert – wieder eine Arbeit, die sich sehen lassen kann und auch von der überregionalen Presse wahrgenommen wird. Zu den Höhepunkten der laufenden Spielzeit, die unter dem Leitmotiv „Krieg und Frieden“ steht, dürfte eine Uraufführung gehören: „The Colour“, aus der arg und angenehm unkonventionellen, innovativen Feder von Gerhard Stäbler, darf innerhalb der Reihe „Oper konzertant“ am Freitag, den 24. April, Premiere feiern. Den Text dazu hat Hermann Schneider geschrieben, nach einer Vorlage von H. P. Lovecraft, einem der fraglos bedeutendsten Schriftsteller von phantastischer und Horror-Literatur (mit großem Einfluss, beispielsweise, auf Stephen King, Michel Houellebecq und H. C. Artmann, der ihn auch ins Deutsche brachte).
Lovecraft hat auch, und zwar ganz immens, auf die Musik gewirkt. So hat sich beispielsweise eine 1967 in Chicago gegründete Psychedelic-Rock-Band nach ihm benannt, so beziehen sich die Arctic Monkeys in „You‘re So Dark“ auf ihn, so haben die Österreicherin Olga Neuwirth und der in München lehrende Moritz Eggert Lovecraft vertont, und jetzt eben Gerhard Stäbler. „Die Farbe aus dem All“, eine Kurzgeschichte aus dem Jahre 1927, erzählt von einem Meteoriteneinschlag in Massachusetts, in dessen Innern sich Kugeln mit einem auf der Erde nicht gekannten Farbspektrum befinden.
Stäbler ist dem Würzburger Haus inzwischen sehr verbunden. „Es ist schön, dass man kontinuierlich etwas machen kann“, sagt der 1949 in der Nähe von Ravensburg geborene Schüler von Nicolaus A. Huber (Komposition) und Gerd Zacher (Orgel), der längst am Niederrhein zuhause ist. So wurde schon 2007 „Letzte Dinge“, eine konzertante Aktion zu einem Libretto von Hermann Schneider und Alexander Jansen nach Paul Austers Roman „Im Land der letzten Dinge“ für drei Stimmen, Schlagzeug und Zuspielung begeistert aufgenommen. Zu denken ist aber auch an „... vom Anfang im Ende ...“, eine Musik für Sopran, Countertenor, Bass, Schlagzeug solo, Orgel, Chor und Orchester, in Auftrag gegeben vom Bistum Würzburg und im Oktober 2010 uraufgeführt. Aktuell arbeitet Stäbler an einem Konzert für Orchester, das Generalmusikdirektor Enrico Calesso, der sich „immer sehr intensiv um die Partituren, um die Realisierung“ kümmere, und seinen Philharmonikern auf den Leib geschrieben sein wird. Jede Instrumentengruppe solle „etwas Besonderes“ bekommen.
Das Spielzeitthema „Krieg und Frieden“ wird in unterschiedlichsten Facetten – gesellschaftspolitisch, historisch, ästhetisch – vorgestellt. Vor sieben Dekaden wurde Würzburg zerstört, so sehr, dass man sich überlegte, es an anderer Stelle neu zu gründen. So kam Schneider auf den Gedanken, eine Parabel sich vorzunehmen, bei der die kosmische Zerstörung, in deren Folge die Welt nie mehr so sein wird, wie sie einmal war, thematisiert wird, und fand diese bei Lovecraft. Bei der Umsetzung in Musik dachte Gerhard Stäbler an (Klang-)Farben als strukturbildendes Element, auch an Montage, Passacaglia und Volkslieder, die er aufgreift und verändert. Stäbler bezieht sich auf Schönbergs op. 16, die fünf Orchesterstücke, deren drittes „Farben“ betitelt ist.
Geschrieben ist „The Colour“ für großes Orchester, Chor und Solisten, in Szene gesetzt in einer Art Installation, bei der viel mit Video gearbeitet wird, mit realen Filmaufnahmen und mit Zeichentrick. Schneider, der in Personalunion Intendant, Regisseur und Librettist ist, nennt die Eckdaten der künstlerischen Aufführungspraxis: „Was kann das Haus, was dürfen wir? Und umgekehrt: Was muss es können, und was wollen wir?“ Man merke sich den 24. April vor. Spannend dürfte es auf jeden Fall werden, denn Stäbler durchbricht oft den Rahmen des gewohnten. Erinnert sei nur an „demnach“, ein „entfaltetes Quartett“ für Horn solo und Aktionsgruppen mit Skateboards, Betonmischmaschinen und Staubsauger, das 2011 in Nürnberg erstmals erklang.
Im April bittet das Philharmonische Orchester zudem zum 5. Sinfoniekonzert (im Vogel Convention Center), an dessen Beginn Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Niccolo Paganini steht. Bernd Glemser, der sich bestens auf Rachmaninow verstehende Würzburger Hochschulprofessor, wird den Solopart übernehmen. Es folgt Rachmaninows Tondichtung Die Toteninsel, die – ähnlich wie Max Reger vier Jahre später – Arnold Böcklins bekanntestes Gemälde 1909 in Musik transponiert. Mit Ludwig van Beethovens Fünfter setzt das vielleicht bekannteste Opus der klassischen Musik den Schlusspunkt. Zum 6. Sinfoniekonzert am 21. und 22. Mai zieht man in die Kirche St. Johannis. Avo Pärts auf einem kirchenslawischen Hymnus fußendes, sich durch metrische Wechsel auszeichnendes „Trisagion“ (1992/1994) für Streichorchester macht den Auftakt. Es folgen sechs frühe Lieder Gustav Mahlers mit der Sopranistin Karen Leiber (am Pult: Daniel Huppert), von Luciano Berio orchestriert, und zum Finale Berios „Rendering“, worin er auf Skizzen Franz Schuberts zu einer Zehnten Symphonie zurückgreift.
Der aus Treviso gebürtige Enrico Calesso, dessen Lieblingsautor Thomas Mann ist, kam 2010 als Erster Kapellmeister an den Main und wurde im darauffolgenden Jahr Generalmusikdirektor. „Wir kennen die musikalische Sprache von Gerhard Stäbler mittlerweile sehr gut“, sagt Calesso, auf „The Colour“ angesprochen. Überhaupt spielt das Philharmonische Orchester, das sich unter Calesso weiterentwickelt hat und beim Publikum großen Zuspruch findet, erstaunlich viel moderne und zeitgenössische Musik. Wichtig ist dem Italiener auch die pädagogische Arbeit. Jugend- und Familienkonzerte werden angeboten und, von der Spielzeit 2015/2016 an, Babykonzerte für Schwangere und Kinder „zwischen null und drei Jahren“. (Calesso wird im Juni zum zweiten Male Vater.)
Für das Tanztheater zeichnet an dem Dreispartenhaus seit 2004/2005 Anna Vita verantwortlich. Damals gab sie mit dem Ballettabend „Der Welten Lohn / Carmina Burana“ ihren erfolgreichen Einstieg. Gefeiert wird aktuell „Schneewittchen – Breaking Out“ (mit Musik von Vivaldi und Arvo Pärt), das Ende Februar zur Uraufführung kam. Die Vorstellungen am 6. und am 16. April sind bereits ausverkauft, für den 21. April sind noch Karten zu haben. Die Mischung aus Klassik und Hip Hop, Spitzentanz und Breakdance steht noch bis in den Juli hinein auf dem Spielplan. Mitte Juli darf man sich auf die Ballett-Tage freuen, bei welchen unter anderem Vitas „Der Fall Carmen“ nach Prosper Mérimée in den Kammerspielen gezeigt wird. Beim Schultanztag am 17. Juli präsentieren Schulgruppen und Tanzschulen ihre Arbeit im Großen Haus. Anderntags lockt eine Ballettgala. Und in der kommenden Spielzeit nimmt sich Anna Vita der „Scheherazade“ an. Premiere ist am 23. Januar.
Stephan Suschke, den mit Heiner Müller eine langjährige Zusammenarbeit verband, ist seit 2013/2014 Schauspieldirektor. In Ludwig van Beethovens „Fidelio“ führt er derzeit Regie, inszeniert „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Brecht und „Café Rewue“, eine Zeitreise durch ein Jahrhundert Würzburger Geschichte: Von Joseph Goebbels, der sich an der Universität in Germanistik einschreibt, über die Eröffnung der deutschlandweit ersten Pizzeria in der Elefantengasse im März 1952 und den „Ball der einsamen Herzen“ im Café Michel bis hin zu Adenauers Eintrag im Goldenen Buch und weit darüber hinaus. Erzählt wird aus der Perspektive von Margot, der „Zuckerpuppe von der Kloputztruppe“, und der Wirtin Luise. Am 23. Mai feiert die Revue im Großen Haus Premiere.
Zur Spielzeit 2016/2017 wechselt Noch-Intendant Hermann Schneider an das Landestheater Linz. Zu seiner Zeit am Main sagt er: „Ich habe das Haus in einer sehr schwierigen Phase übernommen, da es nach mehreren Interimsintendanten keine grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung kannte. Zudem war der Strukturwandel durch die politisch verordneten Einsparungen in siebenstelliger Höhe ein Wagnis, da wir alle den Ehrgeiz hatten, trotz dieser massiven Reduzierungen das Mainfranken Theater als Dreispartenhaus zu erhalten. Ohne das sensationelle Engagement aller Kolleginnen und Kollegen am Haus und ohne die Unterstützung aus der Bürgerschaft (insbesondere seitens des Fördervereins, der Rosenkavaliere) wäre das nicht gelungen.“
Und mit Blick auf die inhaltliche Ausrichtung ergänzt Schneider: „Glücklich bin ich auch darüber, dass wir trotz der wirtschaftlichen Problematik das Haus künstlerisch haben deutlich profilieren können durch kontinuierliche Vernetzung mit anderen Institutionen und durch programmatische Setzungen wie Ur- und Erstaufführungen im Musiktheater und Schauspiel (Stichwort: Leonhard-Frank-Preis).“
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Aleksey Zagorulko, Sebastian Schick (vorn), Davit Bassénz, Louis Buß, Kevin Benning, Foto © Mainfranken Theater