Doppel-Debüt in der Carnegie Hall
Seraphin Lutz an Klarinette und Klavier
veröffentlicht am 01.04.2015 | Lesezeit: ca. 9 Min.
Dass die Klarinette in den vergangenen Jahren zunehmend auch als Soloinstrument in den Konzertsaal Eingang gefunden hat, verdankt sie beispielsweise der Belgierin Annelien van Wauwe (die bereits in Bamberg konzertiert hat und am 13. April im Landestheater Coburg mit dem Philharmonischen Orchester Max Bruchs Doppelkonzert für Klarinette und Viola geben wird), dem Wiener Andreas Ottensamer, dem Hannoveraner Sebastian Manz, der Israelin Shirley Brill, deren Landsmännin Sharon Kam, dem Schweden Martin Fröst und naturgemäß dem grandiosen Italiener Alessandro Carbonare sowie der in Lübeck lehrenden, wie Carbonare im Lucerne Festival Orchestra musizierenden Sabine Meyer, obgleich diese beiden einer älteren Generation angehören.
Angesichts dessen, was der gerade einmal sechzehnjährige Stegauracher Seraphin Maurice Lutz, er ist im August 1998 in Bamberg geboren, bereits erreicht hat, ist man geneigt zu schreiben, dass die Chancen keinesfalls schlecht stehen, den oben Angeführten in einigen Jahren auch den Namen Lutz hinzufügen zu können. Seine Mutter ist Cellistin und war Mitglied in der Philharmonie der Nationen unter Justus Frantz, sein Vater Klarinettist. Die Eltern unterrichten beide an der Landkreismusikschule Bamberg. „Die ganze Zeit“ sei, erzählt Seraphin, „Musik im Haus“ gewesen. Der Papa habe „geübt und gespielt daheim. Das hat dann natürlich geprägt.“ Immer wenn dieser eine Pause gemacht habe und „die Klarinette für sich so stand, war ich interessiert und wollte die Klarinette schon gleich dann auch nehmen. Ich habe versucht, hineinzublasen und einen Ton herauszubekommen.“
Dieses frühe Interesse, und diesen Spaß, diese Freude, an dem Holzblasinstrument hat der Vater wahrgenommen und gefördert. Angefangen hat Seraphin mit etwa vier Jahren, auf einer C-Klarinette, die über eine kindgerechte Mechanik, kleine und nahe beieinanderliegende Tonlöcher verfügt, und schon bald mit Lutz Senior im Duett musiziert. Mit dem Klavier verhielt es sich ganz ähnlich. Es stand eines im Elternhaus (inzwischen besitzt man einen kleinen Flügel), und so habe er mit vier Jahren sich an „so Standards, so ganz kleinen Sachen“ versucht. „Die Stücke konnte ich mir schnell auswendig merken“, sagt der noch immer junge Musiker.
Mittlerweile ist Lutz mit beiden Instrumenten Jungstudent an der Münchner Musikhochschule, nicht unbedingt die schlechteste Adresse. Zuvor hatte er von 2009 an Klavierunterricht bei Gabriel Rosenberg (dem Bruder des Konzertmeisters der Bamberger Symphoniker), der ihn „sehr geprägt“ habe. Nämlich an der Nürnberger Musikhochschule, die eine Ausnahme hatte machen müssen, damit der damals Elfjährige überhaupt aufgenommen werden konnte, ehe er vor zwei Jahren zu Wolfram Schmitt-Leonardy, einem Schüler des Würzburgers Bernd Glemser, der „noch sehr enthusiastisch und frisch“ sei, in die bayerische Landeshauptstadt wechselte. Klarinettenunterricht erhält der Bundespreisträger von „Jugend musiziert“ 2012 (mit der Höchstpunktzahl: 25) seit eben jenem Jahr bei Ulf Rodenhäuser. Rodenhäuser, im Übrigen aus Nürnberg gebürtig, war von 1973 an eine Dekade lang unter Karajan Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker, dann beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
An den Wochenenden fährt der Stegauracher also nach München. Oft hat er dann freitags Klarinetten- und auch Klavierunterricht, bisweilen aber verteilen sich die Stunden auf zwei Tage, sodass er abends noch ins Konzert gehen kann. Was er überaus gern tut. So habe er kürzlich Evgeny Kissin gehört, der vor allem für seine überragenden Chopin-, Schumann- und Prokofjew-Interpretationen gefeiert wird. Das sei sehr beeindruckend gewesen, eine Bereicherung, zumal er ihn hernach noch persönlich habe kennenlernen und ein Photo habe machen dürfen. Auch in Bamberg zieht es Lutz zu Aufführungen. So haben ihn zuletzt das Rezital des polnischen Pianisten Piotr Anderszewski begeistert und der Abend mit dem Modigliani Quartett aus Frankreich, beides vom Musikverein Bamberg veranstaltete Konzerte: „Es ist toll, dass es so etwas hier gibt.“ In der Domstadt hat Seraphin zudem Jörg Widmann getroffen, ein weiteres Mal, der bis 2016 Residenzkomponist der Bayerischen Staatsphilharmonie sein wird, sich aber darüber hinaus einen vorzüglichen Namen als Klarinettist und Hochschullehrer gemacht hat.
Widmann kannte Lutz bereits aus dessen Heimatstadt München, wo er ihm vorspielte. Der Unterricht bei dem vielseitigen Widmann sei sehr interessant, denn als Komponist (und Klarinettist) denke er die Klarinette nicht als einzelne Linie, sondern als „harmonisches Instrument“, achte auf die Vorgänge im Orchester, auf Harmoniewechsel und Modulationen. Mit Widmann erarbeitete Seraphin das 1. Klarinettenkonzert in f-Moll von Carl Maria von Weber, mit welchem er am internationalen Rundfunkwettbewerb für junge Musiker, „Concertino Prag“, teilnahm. Er gewann den 2. Preis und durfte im Rudolfinum zusammen mit dem Prager Rundfunkorchester auftreten. Das Fernsehen schnitt mit.
Jüngst war Seraphin beim internationalen Wettbewerb „Amercian Protégé“ in New York erfolgreich, aus dem er nicht nur als 1. Preisträger hervorging, sondern auch als absoluter Gewinner, als höchstbewerteter Holzbläser überhaupt. Und so kann man am ersten Aprilsonntag um 11.30 Uhr Seraphin Maurice Lutz bei seinem Debüt in der Carnegie Hall erleben. Ausgesucht hat er sich die Arthur Honegger zugeeignete Sonate für Klarinette und Klavier von Francis Poulenc, die Benny Goodman und Leonard Bernstein 1963 ebendort, in der Carnegie Hall, zur Uraufführung brachten. Damit nicht genug. Am Abend wird Seraphin abermals zu hören sein, dann am Flügel, mit den 32 Variationen über ein eigenes Thema in c-Moll von Ludwig van Beethoven. Ein überaus anspruchsvolles Programm, für die Klarinette wie für das Klavier. Auch in dieser Kategorie ging ein 1. Preis an Lutz.
Seraphin spielt eine vom Vater übernommene, mithin bereits eingeblasene Wurlitzer-Klarinette (die arg renommierte Firma hat ihren Stammsitz in Neustadt an der Aisch). Ob er sich eine Laufbahn als Mitglied eines (sehr) guten Orchesters vorstellen könne? „Ich weiß es noch nicht so ganz, würde aber natürlich gern etwas mit Musik machen“, antwortet das Talent. Eine Orchesterstelle, „das wäre schön, aber natürlich auch solo“. Und er möchte gern sowohl Klavier als auch Klarinette als Hauptfach studieren, beiden Instrumenten treubleiben. Das habe bislang ja auch gut geklappt. Er könne sich auch gut vorstellen, Klavier und Klarinette, ähnlich wie demnächst in New York, im Rezital miteinander zu verbinden, wie es Julia Fischer etwa mit der Geige und dem Klavier hält.
Ob denn ausreichend Zeit für die Schule bleibe? Doch, doch, versichert der Elftklässler des Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Gymnasiums. „Ich will unbedingt Abitur machen. Das ist total wichtig, weil ich mir die Option offenhalten möchte, auch noch etwas anderes als Musik studieren zu können“, sagt Seraphin, und schiebt nach, er sei „nicht nur auf die Musik fixiert“. Zu seinen Lieblingsfächern zählen die Sprachen (Englisch, Latein), dann Wirtschaft und Recht, weiters Biologie. „Das wird jetzt vertieft und hat auch ein wenig mit Medizin zu tun. Das ist sehr interessant.“
„Die Zeit wird immer enger und knapper, vor allem jetzt in der Abiturphase“, weiß Seraphin zu berichten. Man müsse sich schon einen geregelten Zeitplan schaffen. Aber selbstverständlich habe er auch Hobbies. „Ich fahre gern Rad, spiele gern Badminton und Basketball. Natürlich alles nicht so häufig, aber ich mache es sehr gern.“ Und auch für die Photographie finde er „ein bisschen Zeit“. Ein Luxus seien die Ferien, da könne er dann „durchgehend üben“. Je nachdem, was für Wettbewerbe und Konzerte nahen, steht mal die Klarinette, mal das Klavier im Vordergrund.
Auf seine Vorbilder angesprochen, meint Seraphin: „Ich habe mehrere, hole mir von allen ein bisschen was. Wenn ich ein neues Stück angehe, höre ich mir erst einmal verschiedene Interpretationen an.“ Sabine Meyer etwa, deren Schüler Sebastian Manz, Martin Fröst. „Aus jeder Interpretation ziehe ich mir dann etwas raus und vermische dies und versuche natürlich auch mein Eigenes hineinzubringen.“ Jeder spiele anders, jeder Ton (also jede Klangfarbe, nicht Note) sei interessant.
Auf seine Zukunftspläne angesprochen, erwähnt Lutz einen Meisterkurs bei Meyer, den er zu machen gedenke. Dergleichen sei wichtig, um sehen zu können, wie andere Lehrer seien. „Vielleicht wechsele ich einmal“, sinniert Seraphin, zumal Rodenhäuser nicht mehr so lange an der Musikhochschule unterrichten werde. „Es schadet ja nicht, auch andere Lehrer zu haben und frische Anregungen zu erfahren.“ Wie auch immer. Schon jetzt sind die Erfolge des Sechzehnjährigen, der seit einem Dutzend Jahre Musik macht, mehr als beachtlich. Das gilt gleichfalls für sein Repertoire.
Auch die Modernen, auch die Zeitgenossen, spielen darin eine nicht zu unterschätzende Rolle. So hat er beispielsweise Schönbergs op. 19 studiert, die Sechs kleinen Klavierstücke, deren letztes, gerade mal neun Takte lang, dem Andenken Gustav Mahlers gewidmet ist, oder von Igor Strawinsky die Drei Stücke für Klarinette (1919). Und auch Hans Werner Henze („Der Menschenfresser“ und „Menschenfressers Traum“ von 1980) oder Karlheinz Stockhausen, den man vom „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“-Cover her kennt, dem der frühere Villa-Concordia-Stipendiat Ulrich Holbein in seinem wahrlich famosen „Narratorium“ (2008) ein Lebensbild gewidmet und der Kadenzen für Mozarts Klarinettenkonzert komponiert hat – an welchem Seraphin gerade arbeitet – sind diesem so jungen wie begabten Pianisten und Klarinettisten nicht fremd.
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