Mixtur

St. Michael II / Totentanz

veröffentlicht am 01.04.2015 | Lesezeit: ca. 11 Min.

Das Jubiläum „1000 Jahre Michaelsberg“ ist Bambergs prägendes Kulturthema des Jahres 2015. Auch art5drei wird dieses Jubiläum in den kommenden Ausgaben begleiten. Dabei sollen nach dem kurzen „Gesamtüberblick“ der letzten Ausgabe nun Höhepunkte der Innenausstattung ins Blickfeld rücken. Wir beginnen mit der berühmten Totentanzdarstellung in der seitlich angebauten Heilig-Grab-Kapelle, die leider ebenso wie das Kircheninnere für unabsehbare Zeit geschlossen bleiben wird. Ein Grund mehr, sich intensiver damit zu beschäftigen.

Das Thema „Totentanz“ ist in Bamberg bereits mit der Jahrtausendwende nachdrücklich ins Bewusstsein gerückt worden, da es seinerzeit von den wichtigsten Kultureinrichtungen der Stadt zum Kulturthema des Jahres ausgerufen wurde. Überdies wohnen gleich drei Persönlichkeiten, die sich besonders gut mit diesem Thema auskennen, in Bamberg: Bernhard Schemmel, der sich als vormaliger Direktor der Staatsbibliothek um Ausstellungsprojekte kümmerte, Uli Wunderlich, die der Totentanz-Vereinigung vorsteht, sowie Elfi Jemiller, die eine Untersuchung über die Totentanzdecke der Heilig-Grab-Kapelle veröffentlicht hat und dort Führungen anbot. Letztere baten wir um ein Interview, um Genaueres über Geschichte und Bedeutung des Kunstwerks in der an der Südseite der Michaelskirche angebauten Kapelle zu erfahren.

  • Frau Jemiller, worin besteht die Faszination des Themas Totentanz?

    EJ: Es ist wohl die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit, die einen besonderen Reiz ausübt, ja einem vielleicht einen „heiligen Schauer“ über den Rücken laufen lässt. Für mich kann ich das allerdings nicht sagen, denn meine Annäherung an diese Thematik geschah eher auf einer rationalen Ebene.

  • Was hat Sie dazu bewogen, sich intensiver mit der Totentanzdecke in der alten Sepulturkapelle zu befassen?

    EJ: Dass ich mich mit dem Bamberger Totentanz näher beschäftigte, hat sich eher zufällig ergeben durch meine berufliche Tätigkeit an der Universität Bamberg in den 1990er- und 2000er-Jahren, als es galt, Tagungsteilnehmern aus dem In- und Ausland Eindrücke aus der reichen Kulturlandschaft Bambergs mit nach Hause zu nehmen. Als Alternative zu den touristischen Highlights auf dem Domberg wählte ich eher verborgene Schätze, die nicht zu den Zielpunkten des Massentourismus gehören, und das war – neben dem Kreuzgang des Karmelitenklosters – eben die Heilig-Grab-Kapelle mit dem Totentanz.

    Übrigens kennen selbst viele Einheimische den Bamberger Totentanz nicht näher, und er wird auch von vielen Besuchern der Michaelskirche nicht so recht wahrgenommen. Sie werfen zwar einen Blick in die Heilig-Grab-Kapelle, übersehen jedoch (mangels eines entsprechenden Hinweises an gut sichtbarer Stelle) das theatralische Spektakel, das sich über ihren Köpfen ausbreitet.

    Einen nochmaligen Impuls zur Beschäftigung mit dem Totentanz gab es für mich, als ich erfuhr, dass der Name des bis dahin unbekannten Stuckators Johann Georg Leinberger (1685-1763) in archivalischen Quellen entdeckt worden sei. In Absprache mit Frau Christine Kippes-Bösche, Mitarbeiterin am Kunstdenkmälerband „Michelsberg und Abtsberg“, machte ich mich daran, Leben und Werk dieses fähigen Künstlers zu erforschen, was mich in die Archive von Erlangen und Nürnberg, Wiesbaden, Saarbrücken, Wolfenbüttel und sogar bis ins Reichsarchiv nach Kopenhagen führte. Es stellte sich nämlich bald heraus, dass Johann Georg Leinberger zu einer Künstlerfamilie gehörte, als deren prominentestes Mitglied sein Neffe, der Erlanger Maler, Zeichner und Geometer Christian Leinberger (1706-1770) gilt. Onkel und Neffe arbeiteten gelegentlich zusammen, etwa in der Pfarrkirche in Erlangen-Bruck, und der 300ste Geburtstag von Christian Leinberger war für das Stadtmuseum Erlangen Anlass, diesem eine Sonderausstellung zu widmen, bei deren Planung und Realisierung ich als Projektmitarbeiterin beteiligt war.

    Ursprünglich erlernte der im oberpfälzischen Weiden geborene Stuckator die Hafnerei. Wann er das Metier wechselte, ist ebenso wenig bekannt wie die Frage nach Lehrmeistern, die ihn in die Geheimnisse der Herstellung von Stuckdekorationen einweihten. Der Bamberger Totentanz beschäftigte ihn von 1729 bis 1731, um 1734 wohl auch die dekorativen Stuckierungen in einigen Repräsentationsräumen des Neuen Schlosses in Küps (bei Kronach). In den 1740er-Jahren war er dann im Residenzschloss in Saarbrücken sowie im Hochfürstlichen Schloss in Biebrich (bei Wiesbaden) tätig. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Leinberger in der bedeutenden und bis auf den heutigen Tag bestehenden Porzellanmanufaktur Fürstenberg an der Weser, wo er auch starb.

    Sehr beeindruckt bin ich immer wieder von den großen Stuckskeletten im Bamberger Totentanz, die neben den Ovalbildern angeordnet sind und das Dargestellte mit ihren Attributen, Mienen und Gesten und durchaus ironischem Unterton kommentieren – hier zeigt sich ein fähiger Meister der es verstand, die Skelette gleichsam „lebendig“ werden zu lassen.

  • Was sind die Besonderheiten der hiesigen Ausführung als Stuckdecke?

    EF: Schon die Ausführung der meisten Szenen in vorwiegend qualitätvollem Stuck ist eine große Besonderheit, denn es gibt insgesamt nur sehr wenige Totentänze, die ganz oder teilweise aus diesem plastischen Material geschaffen wurden. Ein von uns räumlich wie auch vom inhaltlichen Konzept her nicht allzu weit entferntes Beispiel wäre der Totentanz in der Friedhofskapelle von Breitenwang in der Nähe von Reutte in Tirol.

    Weit über die Grundidee der mittelalterlichen Totentänze hinaus, den Tod als allgegenwärtige und jedermann betreffende Gegebenheit vor Augen zu führen, wird die Bedrohung beim Bamberger Totentanz nicht nur auf individuelle Schicksale bezogen (Eremit und Greis, Soldat und Baumeister, Kardinal, Handelsherr, Maler, Gelehrter), sondern es werden zusätzlich eher anonyme Größen wie die Jahreszeiten und die Erdteile, ja sogar der abstrakte Begriff „Zeit“ (verkörpert durch den Zeitgott Chronos) einbezogen.

    Bei einzelnen Motiven des Bamberger Totentanzes kann man durchaus die Anregung aus Darstellungen älterer Totentänze erkennen, ganz und gar einmalig ist jedoch die Kombination eines Totentanzes mit einem Heiligen Grab; das gibt es außer in Bamberg auf dem Michelsberg sonst nirgendwo!

  • Auf welches Weltbild lässt die allegorische Darstellung von vier Kontinenten schließen?

    EF: Hier ist ganz deutlich das im 18. Jahrhundert vorherrschende Selbstbild der Europäer zu erkennen, den Menschen und Zivilisationen anderer Kontinente überlegen zu sein.

    Augenscheinlich wird dies beim Vergleich der in den vier Eckfeldern durch typische Herrscherfiguren vorgeführten Erdteile, denn deren Körperhaltung spiegelt die ihnen zugebilligte hierarchische Stellung wider. Einzig der Herrscher Europas, der mit Toga, Schulterpanzer und Riemensandalen wie ein römischer Kaiser aussieht, thront auf einem Sessel vor seinem Palast, während der Indianerhäuptling (Amerika) und ein Stammesführer (Afrika) auf dem Boden sitzen, der Asien repräsentierende Sultan begegnet stehend dem Unglück verheißenden Todesboten.

    Wichtig ist dann noch die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung des betreffenden Kontinents für die Europäer, die durch die direkte Zuordnung zu einem Standesvertreter verdeutlicht wird. An jedes Eckfelder schließt sich ja ein ovaler Stuckrahmen mit einem Gemälde an, das einen Kardinal, einen Handelsherrn, einen Maler und einen Gelehrten in einer typischen Lebenssituation zeigt. Diese genrehaften Szenen wurden von dem vielbeschäftigten Bamberger Hofmaler Johann Jacob Gebhard geschaffen. Dem Kardinal ist Amerika zugeordnet und zwar deshalb, weil sich im 18. Jahrhundert die Mission vor allem auf den amerikanischen Doppelkontinent konzentrierte. Afrika galt als sehr reicher Kontinent, worauf die Kombination mit dem Handelsherrn anspielt, und der Maler repräsentiert die Künste, als deren Schirmherrin sich die Europäer verstanden. Schließlich verweist die Kombination von Asien und dem Gelehrten auf den starken Einfluss arabischer Gelehrsamkeit auf die europäische Kulturentwicklung.

  • Welchen Zusammenhang mit – oder gar Hinführung zu – der Ikonologie des Heiligen Grabes, das ja hier zentral ausgestellt ist, sehen Sie?

    EF: Der Bamberger Totentanz ist ein Teil der Gesamtausstattung der Heilig-Grab-Kapelle, und seine Bedeutung und Funktion erschließt sich erst in Verbindung mit den anderen Ausstattungsstücken: dem Heiligen Grab im Zentrum, den sechs großformatigen Passionsgemälden des Bamberger Hofmalers Johann Joseph Scheubel d. Ä. und der trauernden Muttergottes, die in einer Nische an der südlichen Außenwand aufgestellt ist. Bei der Heilig-Grab-Anlage selbst handelt es sich wiederum um ein mehrteiliges Ensemble, das in der Entstehungszeit um 1730 aus dem Grabchristus unter einer altarartigen Deckplatte, der darüber schwebenden Weltkugel mit der Schlange des Sündenfalls und den flankierenden Engeln sowie einer umgebenden Balustrade bestand. Die übrigen Teile der Anlage (Pyramiden mit Leuchterengeln, der zürnende Gottvater, die Scharwächter) kamen erst in den 1780er-Jahren hinzu.

    Übrigens sind der Grabchristus, die Weltkugel mit den beiden anmutigen Engeln und die trauernde Muttergottes ebenfalls Werke des Stuckators Johann Georg Leinberger.

    Salopp gesagt könnte man „Sünde und Erlösung“ als das übergreifende Thema über die „Geschichte“ schreiben, die in der Heilig-Grab-Kapelle visualisiert wird.

    Diese Geschichte zu entschlüsseln hilft eine an der Deckplatte in goldenen Lettern eingravierte Sentenz aus der Weissagung des Propheten Jesaja: ERIT SEPULCHRUM EJUS GLORIOSUM (Seine Ruhestätte wird herrlich sein). Aus der Sicht des Neuen Testamentes bedeutet dieser Vers, dass die durch den Sündenfall verhängte Strafe des Todes durch das Sühneopfer Jesu überwunden und der Eingang in ein paradiesisches „Ewiges Leben“ – ins „Himmlische Jerusalem“ – ermöglicht wird.

    Der Sündenfall, symbolisch gegenwärtig durch die Schlange mit dem Apfel im Maul, ist die Ursache für die allumfassende Herrschaft des Todes, die als „großes Theater“ mit Hilfe des Totentanzes in Szene gesetzt wird.

    In den Passionsbildern (Christus am Ölberg, Verrat des Judas, Geißelung, Dornenkrönung, Christus vor Pilatus, einer der Fälle unter dem Kreuz) wird der Leidensweg Christi und sein Opfertod geschildert, der gemäß dem Erlösungsglauben die Macht des Todes über die ganze Welt in ihrer räumlichen wie zeitlichen Dimension bricht, somit über Alte (Eremit, Greis) und Junge (Soldat, Baumeister), über Repräsentanten der Gesellschaft wie Kirche (Kardinal), Ökonomie (Handelsherr), Kunst (Maler) und Wissenschaft (Gelehrter), über die gesamte Menschheit (Erdteile) sowie über die Natur und die Zeit (Allegorien der Jahreszeiten, der Zeitgott Chronos).

    Sünde und Erlösung, dieses Pendant findet sich ein weiteres Mal im Nebeneinander von Eva und der trauernden, durch das „Schwert des Leidens“ verwundeten Maria, durch die der Heiland in die Welt kam: „Mors per Evam, vita per Mariam“ (Tod durch Eva, Leben durch Maria).

Hinweise:

Vermutlich ab Ende Juni wird es im Diözesanmuseum eine Ausstellung zum Thema geben; zur erwähnten Leinberger-Ausstellung in Erlangen gibt es einen reich dokumentierten Katalog. Literatur (u.a.): Uli Wunderlich, Der Bamberger Totentanz, Regensburg 2009.

Copyright Fotos:

„Afrika“ in der Kirche St. Michael in Bamberg, Foto © Dieter Morcinek

Heilig-Grab-Kapelle, Foto © Elfie Jemiller

Philosophenskelett, Foto © D. Morcinek

Eine grafische Skizze zur Erläuterung von Frau Jemiller, © Elfie Jemiller

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