Szene

Beyond the red mirror

Blind Guardian kommen nach Bamberg

veröffentlicht am 01.04.2015 | Lesezeit: ca. 11 Min.

Seit über 25 Jahren sind Blind Guardian die unangefochtenen Könige des Power Metal. Neben mehreren Albumprojekten findet die Truppe um Hansi Kürsch immer noch Zeit, auf Tour zu gehen - ab April 2015 auch in Deutschland. „Beyond The Red Mirror“, im Januar ausgekoppelte neue Scheibe der Rheinländer stellt dabei so etwas wie die Krönung der Schöpfung dar. Blind Guardian präsentierten der Öffentlichkeit eine Scheibe, die vor Experimenten nur so wuchert und bei Fans und Metal-Freunden gleichermaßen umstritten wie auch begeistert aufgenommen wurde. Nach einigen Phasen des Experimentierens in den letzten Jahren kehrte Blind Guardian wieder zu den Basics zurück. Zumindest in Sequenzen. Harter Powermetal, garniert mit orchestralen Elementen, sakral anmutenden Gesangsparts, insgesamt sehr episch definiert und opulent eingespielt. Im Vorfeld des am 26. April in der Bamberger brose ARENA stattfindenden Gigs stand Sänger Hans-Jürgen „Hansi“ Kürsch ART. 5|III für ein Gespräch zur Verfügung. Und verriet dabei einiges an überraschenden Tatsachen, die so bislang nicht an die Öffentlichkeit gedrungen sind.

Hansi, schön mit Dir zu plaudern. Wie geht‘s?

Hansi Kürsch: Sehr gut sogar. Der Tourvorbereitungsstress momentan ist so schön wie noch nie. Da unsere Platte im letzten Jahr richtig früh fertig geworden ist, hatten wir viele Freiräume. Seit Februar sind wir jetzt voll in der Tourvorbereitung und am Proben.

Lass uns doch einfach über ganz alte Zeiten reden. Ihr seid jetzt seit 30 Jahren im Geschäft. Zu einer Zeit als auch Venom, Kreator, Sodom und wie sie alle hießen, gerade Fuß im harten Metal-Geschäft gefasst hatten. Nur lebten die alle von purem Power- und Speedmetal. Blind Guardian dagegen ist recht schnell auf den – nennen wir es - Manowar-Zug aufgesprungen und hat mit einer Kombination aus Powermetal und orchestralen Elementen die Fachwelt schnell von sich überzeugen können. Wie kamt ihr denn damals auf die Idee? Das war ja alles andere als massenkompatibel.

Hansi Kürsch: Wir haben uns da gar nicht so viel Gedanken gemacht. Metal ist für mich eine Kunstform und muss expressiv sein. Anfangs haben wir das auf rein melodische Art und Weise definieren wollen, irgendwann war uns das nicht mehr genug. Ab 1990, das kann ich recht gut zeitlich eingrenzen, kamen dann verschiedene außermetallische Inspirationen hinzu. Da haben wir plötzlich wieder Queen gehört und unsere Passion für den 70er-Jahre Rock wiederentdeckt. Manowar war ja seit jeher eher bombast-melodisch ausgelegt. Ab dem Zeitpunkt haben wir uns dann frei Schnauze weiterentwickelt. Da kamen Einflüsse wie Jethro Tull dazu oder später dann modernere Geschichten wie System of a Down. So haben wir uns Stück für Stück immer wieder ein bisschen weiterentwickelt. Seit ungefähr zehn Jahren experimentieren wir nun auch stärker mit klassischer Musik. Das hört man auch auf dem neuen Album. Wir riskieren einfach immer ein wenig. So wollen wir das auch.

Der Metal-Hammer hat euch im Februar gleich einmal eine Titelgeschichte gewidmet. Mit salbungsvollen Worten garniert. „Keiner kann ihnen seit Jahren das Wasser reichen“ titelte die Metal-Bibel, sechs von sieben Punkten in der Album-Bewertung sind auch nicht zu verachten. Er schreibt auch, dass „Beyond The Red Mirror“ eure bislang progressivste Scheibe sei. Kannst du die Einschätzung so teilen?

Hansi Kürsch: Das würde ich so nicht stehen lassen. Die „Night of the opera“ hat das Level damals schon extrem hochgefahren. Man konnte damals schon den Anspruch erkennen. Es passiert viel auf dem Album, ist aber weniger rund als heute. Mit „Beyond the red mirror“ hat sich ein Kreis geschlossen, auch wenn die Scheibe in sich nicht so komplex wie ANatO ist. So viele Vertracktheiten hatten wir bislang auf keinem Album. Dennoch wirkt es linearer als bei anderen progressiven Bands. Kleine Verspieltheiten machen die Musik doch aus.

Eines ist definitiv neu: Blind Guardian hat wieder einen festen Bassisten. Und was für einen. Mit Barend Courbois, vom Guitar-Player Magazin zum besten Metal- und Allround-Bassisten gekürt, habt ihr euch ein richtiges Brett ins Boot geholt. Wie kam es dann dazu? Schließlich ist der Holländer nicht gerade als Powermetaler bekannt, glänzte vielmehr in vielen eher „softeren“ Engagements - die bis hin zu Funkkönig Prince reichen. Ist er denn einer, der auch auf der Bühne die Power hervorbeschwört, die euer Sound benötigt?

Hansi Kürsch: Da muss ich komplett zurückrudern. Das war ein Missverständnis, dass der Eindruck entstand. Wir wollten einfach nur den neuen Bassisten vorstellen. Er ist Bassist von uns, aber kein vollwertiges Bandmitglied. Das ist aber auch okay so für ihn. Er hat schon ein paar Shows mit uns gespielt. Das hat uns allen sehr gut gefallen und viel Spaß gemacht.
Er ist ganz anders als Oli, der eine Präzisionsmaschine ist und zu 100 Prozent den Schlagzeuger supportet. Barend ist eher jazzig orientiert. Es ist richtig spannend zu sehen, wie zwei großartige Instrumentalisten die gleiche Musik vollkommen unterschiedlich interpretieren. Hier muss ich erwähnen, dass beide Musiker uns von Producer Charlie Bauerfeind wärmstens empfohlen worden sind – berechtigterweise. Charlie und Bear kennen sich seit mehr als 20 Jahren. Für uns ein echter Glückgriff.

Wie kommt es eigentlich, dass ihr euch scheinbar als Band immer neu definiert? Die Fans bekommt ihr ja immer wieder in Richtung Verzweiflung. Gerade hat man sich auf einen Blind-Guardian-Stil eingestellt, da kommt eine neue Scheibe. Und was passiert? Alles ist wieder komplett neu.

Hansi Kürsch: Vieles ist von uns erst mal gar nicht so anders gedacht. Jedes Album basiert für uns in erster Linie mal auf den Erfahrungswerten der letzten drei Scheiben. Von daher sind das aus unserer Sicht immer logische Engwicklungsschübe. Als Tipp an den Fan: Man sollte sich für BG Alben ein wenig Zeit nehmen.
Wir denken langfristig. Und Blind Guardian muss man nicht sofort kapieren. Aber ich denke, wir können beurteilen, ob irgendetwas komplett weg ist, vom dem was der Fan hören möchte, oder von ihm noch als Blind Guardian tauglich empfunden werden kann. Beim ersten Mal ist „Beyond the Red Mirror“ vielleicht schwer zu greifen. Beim vierten oder fünften Mal hören, hat man dann einen guten Eindruck. Man steht nicht nach dem vierten Mal anhören der Scheibe komplett im Wald. Das ist uns wichtig. Bei der Night of the opera hat es ein halbes Jahr gedauert, bis man sie wirklich kapiert hat. Jetzt kennt man die Eckdaten der Scheibe und kommt schnell damit klar.

Jetzt seid ihr also wieder etwas zurück zu den Wurzeln. Beyond the mirror erinnert ja schwer an frühere Zeiten und knüpft ja auch rein thematisch gesehen an „Imaginations From The Other Side“ aus dem Jahr 1995 an und spinnt das Ding thematisch weiter.

Hansi Kürsch: Nur ist es jetzt eher die Betrachtung der Dinge aus beiden Perspektiven des Spiegels, und das dann auch noch aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln innerhalb der jeweiligen Welten. Und grundsätzlich bekommen beide Welten etwas mehr Gesicht, sprich sie nehmen stärkere Konturen an. Es ist ein fixes, in sich geschlossenes Konzept, das trotzdem auf den vergangenen Ereignissen aufbaut. Die Musik ist von der Stimmung her der Damaligen sehr ähnlich. Daher war es naheliegend, den Kreis zu schließen.

Jetzt habt ihr euch auf der neuen Scheibe tatsächlich fast ein wenig selbst übertroffen. Zwei Orchester, drei Chöre. Hand aufs Herz. War euch das selber nicht einen Tick zu opulent? Das ist ja durchaus eine Menge Holz.

Hansi Kürsch: Das war eher eine Pressegeschichte. Es war ja nie so, dass die Orchester und Chöre gemeinsam bei den Songs zu hören sind. Das ist lediglich bei „Ninth wave“ der Fall – da war es aus der Komposition heraus notwendig. Sonst sind die Orchester und die Chöre auf die einzelnen Songs verteilt. Ich hätte kein Problem mit weniger gehabt. Aber warum kleckern, wenn man auch klotzen kann.

Weißt du eigentlich, dass ich euer Paradiesvogelimage vermisse? Früher war klar. Kommen Papageien auf die Bühne und spielen Metal. Dann kann das nur Blind Guardian sein. Heute seid ihr so angepasst. Warum eigentlich die Wende?

Hansi Kürsch: Heutzutage kann ich darüber nur lachen. Manches war nicht immer so klar. Unser Auftreten hat halt unserem damaligen Zeitgeist entsprochen. Wir haben Gigs vor unseren Kumpels gespielt. Da war Fashion scheißegal. Dann haben wir größere Konzerte gespielt. Wir sind dann auf die Bühne, wie wir auch geprobt hatten. Jogginghose, Shirt und Jeansjacke. Uns war das egal. Wir haben uns da immer etwas als Punks gefühlt, nicht wie Motorhead und Co. mit Nieten und so. Irgendwann kam einer und hat gesagt, dass das Scheiße aussieht. 1998 wurde dann alles anders und seitdem kommen wir in Schwarz auf die Bühne. Das ist aber auch unsere einzige Regel.

Wie sieht es denn in diesem Jahr auf der Bühne aus? Was dürfen die Leute erwarten? Straighten Metal, psychedelisch angehauchte Sphären oder dann doch ein episch, orchestraler Trip durch die Jahrzehnte?

Hansi Kürsch: Auf ein systematisches Setup aus neuem und altem Material. Wenn alles klappt, wird es einige Überraschungen zu erleben geben. Es wird ein schöner Flow entstehen, der durch das musikalische Miteinander auf der Bühne noch verstärkt werden wird. Es wird auf jeden Fall ein Trip durch die Jahrzehnte, umgesetzt im Stil des neuen Albums. Sonst sind wir noch viel am basteln. Es wird Neuerungen geben, auch beim Bühnenbild. Ungefähr 2 Stunden werden wir wohl auf der Bühne stehen. Noch wird an allen Ecken und Enden daran gearbeitet, das Konzept zu perfektionieren. Das Hauptaugenmerk wird aber auf jeden Fall auf „Beyond the red mirror“ liegen. Ich bin selber gespannt.

Und wie schafft ihr es, das Feeling des Studioalbums in so einem Fall auf die Bühnen der Republik zu zaubern? Der Aufwand ist ja fast nicht machbar. Oder?

Hansi Kürsch: Wo ein Wille, da ist auch ein Weg….

Dann noch etwas ganz spezielles. Zu Oberfranken habt ihr ja einen besonderen Bezug. Nur zu gerne erinnere ich mich an das Blind Guardian Festival in Coburg. Gibt es da noch Chancen, dass das noch einmal zum Leben erweckt wird oder ist das Vergangenheit?

Hansi Kürsch: Die Chancen stehen sogar sehr gut, dass so etwas noch einmal kommt. Wir brauchen nur einen Aufhänger dazu. Das könnte zum Beispiel unser seit 20 Jahren diskutiertes Orchesterprojekt sein. 2017 oder 2018 könnte das dann – ob in Franken oder in unserer Heimat – Realität werden. Das wäre dann ein schöner Abschluss und zu gleich Anfang einer Neuausrichtung, die wir dann definitiv brauchen.

Zum Abschluss noch eines. Meine Lieblingsfrage. Ich gestehe. Was würde Hansi Kürsch denn dazu bewegen, ein Blind Guardian Konzert zu besuchen, wäre er nicht Hansi Kürsch und Sänger der Band?

Hansi Kürsch: Das Kontroverse. Und auch die Presseberichte. Der eine liebt das von uns transportierte, der nächste empfindet es als kreative Meisterleistung, der dritte sieht es als Schuss in den Ofen. Das hört sich für mich spannend an. Außerdem ist die Band auch noch relativ klischeefrei und wird häufig fehlinterpretiert. Das würde mein Interesse auf jeden Fall wecken. Ich freue mich jedenfalls!

Die Freude ist ganz unsererseits.

Copyright Foto: © Pressefoto

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