Von der Kunst, Kunst zu retten
Im Gespräch mit Sibylle Wulff, Erfurts neuer Chefrestauratorin
veröffentlicht am 29.07.2024 | Lesezeit: ca. 12 Min. | von Nele Wicher
Sie ist gebürtige Würzburgerin, hat in Stuttgart und Newcastle upon Tyne (UK) „Konservierung und Restaurierung von Gemälden und polychrom gefassten Skulpturen“ studiert, siebzehn Jahre lang in Leipzig als Restauratorin der Kunstsammlung der Universität gearbeitet und leitet nun seit Anfang Mai als neue Chefrestauratorin die Zentralen Restaurierungswerkstätten in Erfurt: Sibylle Wulff. Wir haben uns mit ihr getroffen, um den Blick für und auf die Kunst zu schärfen und um über ihre neuen Projekte für die thüringische Landeshauptstadt zu sprechen.
Metall, Gemälde, Papier, Holz, Textil und Stein, das sind die Fachbereiche der Zentralen Restaurierungswerkstätten am Hospitalplatz 1 in Erfurt, in denen derzeit sieben Restaurator:innen tätig sind. Das Team um die Chefrestauratorin komplettieren ein Fotograf, ein Techniker, ein Tischler und ein „Bufdi“, ein junger Mensch, welcher den Bundesfreiwilligendienst absolviert. Die Sekretariatsstelle wird derzeit neu besetzt.
Es ist etwas Besonderes, dass es einen Gebäudekomplex gibt, in welchem alle Restaurator:innen gemeinsam arbeiten, denn üblicherweise werden diese in den jeweiligen Einrichtungen separat untergebracht. Die Arbeit Tür an Tür ermöglicht, dass an den Objekten auf kurzem Wege und interdisziplinär zusammengearbeitet werden kann, zum Beispiel, wenn ein Objekt restauriert werden muss, welches sich aus verschiedenen Materialgruppen zusammensetzt. Gearbeitet wird nach Anforderung: Je nach Wechselausstellung und Leihanfragen werden die Objekte gesichtet und dann entschieden, welche eine Behandlung benötigen. Danach geht es in die Feinplanung.
Die Chefrestauratorin Sibylle Wulff stellt sich direkt mit Arbeitsbeginn großen Herausforderungen: Neben einem neuen Team und einem breitem Aufgabenfeld soll im Rahmen des Museumsentwicklungskonzeptes auch die Depotsituation in Erfurt neu geordnet werden. Dafür müssen die Sammlungen, die derzeit noch an verschiedenen Standorten verwahrt werden, an einem neuen, zentralen Depot untergebracht werden.
Wir nutzen den Moment der Neugestaltung, um mit Frau Wullf ins Gespräch zu kommen.
Es ist zuallererst einmal eine große Verantwortung und eine große Aufgabe, denn wir haben einiges vor: Neben kurz- und mittelfristigen Projekten ist im Rahmen des Museumsentwicklungskonzepts ein Depot-Neubau mit integrierten Restaurierungswerkstätten an einem zentralen Standort hier in Erfurt geplant. Aktuell sind die Kunst- und Kulturobjekte der städtischen Museen an einzelnen Standorten untergebracht, das soll sich mit einer neuen Depotsituation ändern. Auch das Thema Datenbank beschäftigt uns: Es soll ein einheitliches, digitales und sammlungsübergreifendes System entstehen, das nicht nur wesentlich für die Bestandserfassung insgesamt ist, sondern auch der Forschung dienen könnte, wenn Informationen, Bearbeitungen und Untersuchungsergebnisse zur Technologie der Objekte über bestimmte Objekte künftig auch von außerhalb abrufbar wären. Es steht also eine spannende Zeit bevor.
Die größte Herausforderung momentan ist, zu schauen, was getan werden muss und was alles notwendig ist, um die Projekte voranzubringen. Und natürlich auch klarzumachen, dass sowohl die Depot-Neuplanung als auch die Arbeit im Bestand mit viel Geld-Ausgeben verbunden sein wird. Sie sehen, es handelt sich wirklich um eine Mammutaufgabe und noch dazu eine, die uns einige Jahre beschäftigen wird: Wir reden hier von einem zeitlichen Horizont von bis zu zehn Jahren. Daher ist es umso wichtiger, die Depot-Neuplanung gerade jetzt mit voller Energie und Elan anzugehen. In der Zwischenzeit müssen wir natürlich aber auch schauen, dass wir im Hier und Jetzt für die uns anvertrauten Objekte die beste Arbeit leisten. Denn auch innerhalb der bestehenden Depots, in denen unser Kunst- und Kulturgut bis zum Umzug in das neue Depot bestmöglich aufbewahrt werden muss, besteht teils weitreichender Handlungsbedarf.
Ich glaube, genau das ist die Fähigkeit, die uns Restauratorinnen und Restauratoren auszeichnet: Einerseits den Blick durch das Mikroskop zu wagen und andererseits ein Auge für das große Ganze zu haben. Wir achten in unserer Arbeit an den Objekten auf die noch so kleinsten Details. Genauso wichtig ist es jedoch, irgendwann die Scheuklappen abzulegen und den Gesamtbestand in den Blick zu nehmen. Es ist ein Balanceakt, der viel Reflektiertheit und Besonnenheit benötigt und ich glaube, dass gerade Restauratorinnen und Restauratoren diese Gabe haben. Für mich ist das ganz grundlegend, auch in der Bewältigung meiner neuen beruflichen Aufgaben.
Ja, auf jeden Fall (lacht). Dabei stehe ich mir manchmal auch selbst im Weg. Es ist wichtig, irgendwann einfach einen Schritt zurückzutreten und damit zufrieden sein, was man erreicht hat!
Dafür muss man sich einmal die Frage „Was bedeutet Kunst für uns und für unsere Gesellschaft?“ stellen und schon hat man ganz viele Antworten. In dem Buch, das in Zusammenarbeit mit Dr. Fabienne Meyer und Martina Leykamm entstanden ist, haben wir der Beantwortung dieser Frage eine ganze Doppelseite gewidmet, ich möchte gerne eine zitieren:
„Kunstwerke sind einmalig und unersetzlich, keine Kopie ist so gut wie das Original. In jedem Kunstwerk stecken so viele Gedanken, ein Werkprozess und eine Geschichte. Eine Kopie bleibt meisten seelenlos, auch wenn sie oberflächlich genauso aussieht wie das Original. Daher ist es wichtig unser kulturelles Gedächtnis im Original zu bewahren.“
Kunst gibt uns so viel, egal ob jung oder alt. Jede und jeder zieht etwas anderes aus ihr und ich kenne niemanden, der in ein Museum geht und dort nicht mindestens einen besonderen Moment für sich erlebt. Kunst ist so vielschichtig, allein schon das macht sie so wertvoll.
Ich finde eine sehr große! Indem wir die Objekte erhalten, tradieren wir die Geschichte der Gesellschaft und letztlich auch die der Menschheit. Diese Werke erzählen aus der Vergangenheit: Wie haben unsere Städte ausgesehen? Wie haben die Menschen sich gekleidet? Was hatten und konnten sie bereits, was hatten sie noch nicht? Welcher Materialien und Werktechniken haben sie sich bedient? Wie sah die Landschaft zu einer bestimmten Zeit aus? Würden wir die Kunst- und Kulturobjekte über die Jahrhunderte hinweg nicht mehr erhalten können, würde uns auch ein großes Stück Geschichtswissen wegfallen. Daher ist es auch so wichtig, dass wir nichts an den Werken verändern. In dem Moment, in dem wir anfangen würden etwas zu ändern, würden wir auch die Geschichte selbst neu interpretieren wollen.
Bei einer aktiven Restaurierung und Arbeit mit dem Kunstwerk eigentlich nichts. Restauratorinnen und Restauratoren müssen sich dem Objekt und vor allem der Intention der Künstlerin oder des Künstlers komplett unterordnen. Das ist auch eine Eigenschaft, die man als Restauratorin oder Restaurator braucht: Das absolute Sich-Selbst zurücknehmen. Das Werk ist schon da, es ist schon fertig – ich habe dem nichts hinzuzufügen. Schaut man jedoch auf die Umsetzung der Restaurierung, also auf die Art und Weise, wie man an ein Objekt herantritt, fließt tatsächlich sehr viel von einem selbst ein: Wie löse ich ein Problem? Wie gehe ich an bestimmte Schadensbilder heran? Wie kann ich das Objekt bestmöglich und langfristig sichern und erhalten? Da muss man teilweise sehr kreativ sein, neue Wege gehen, Methoden adaptieren und versuchen, die optimale Lösung für das Problem zu finden.
Das ist wirklich eine schwierige Frage. Ich glaube, die schlimmsten Fehler, die man sich ausmalen könnte, passieren einfach nicht, weil man mit einer gewissen Professionalität an die Arbeit geht. Das ist ein bisschen wie bei einer Chirurgin oder einem Chirurgen, die vermutlich nie das falsche Bein amputieren würden. Ich denke, der schlimmste Fehler für mich wäre, wenn ich einen Schaden vorhersehe, aber in dem Moment nicht rechtzeitig reagieren kann und dann doch was passiert. Wir haben aber gefühlt eine ständige innere Alarmglocke für solche Dinge (lacht). Vielleicht ist das auch der Grund, dass zum Glück nicht so häufig etwas schief geht: Restauratorinnen und Restauratoren ticken einfach so. Sie wollen immer alles vorhersehen.
Ich denke, die meisten wären überrascht darüber, wie wenig wir eigentlich am Original sitzen und wie viel Zeit wir tatsächlich in Aufgaben wie präventive Konservierung, Objekte beobachten, Schäden erfassen, aber auch Protokollieren und Computerarbeit stecken. Manchmal legt man am Ende des Tages sein Tagwerk nieder und ist selbst überrascht davon, wie viel Zeit man dann doch wieder hinter dem Schreibtisch statt am Objekt selbst verbracht hat. Das wird natürlich auch gerade mit meiner neuen Stelle als Leiterin der Restaurierungswerkstätten etwas mehr. Ich hoffe sehr, dass wenn sich der Anfangstrubel etwas beruhigt hat, sich auch für mich wieder mehr Zeitfenster ergeben, wo ich an die Objekte kann.
Für die Beantwortung dieser Frage würde ich gerne Herrn Dr. Christian Horn, Erfurts Kulturdirektor dazu bitten, der die Konzepte federführend erarbeitet hat.
Herr Horn: Das Museumskonzept sieht die Transformation bestehender Geschichtsmuseen in ein gemeinsames neues kulturhistorisches Museum vor. Zudem soll das Naturkundemuseum baulich und konzeptionell in die Zukunft geführt werden. Die Situation der Depots der Stadt Erfurt ist stark defizitär; einschlägige Gutachten haben dies nachdrücklich unterstrichen. Erfurterinnen und Erfurter können erwarten, dass hinter den Kulissen Sammlungen professionell neu aufgestellt werden und vor den Kulissen Ausstellungen neu inszeniert werden. Für ein solches Gesamtpaket sind nun Masterpläne aufzustellen, Machbarkeitsstudien durchzuführen und Finanzkulissen zu erarbeiten. Mindestens zehn Jahre gründliche Arbeit stehen uns für diese Wege vor.
Dass wir die Depotsituation möglichst schnell optimieren und die Planungen des neuen Depotzentrums umsetzen können. Wenn eine Stelle neu besetzt wird, kommt ja auch immer noch mal neuer Schwung ins Getriebe – ich hoffe sehr, dass wir diesen Schwung gut nutzen können. Ich habe wirklich ein Idealbild vor Augen: Ein Depot, das so konzipiert ist, dass Sicherheit und konservatorische Ansprüche eingehalten werden können, welches die Forschung voranbringt und gleichzeitig auch die Neugierde der interessierten Bevölkerung befriedigen kann, also Einblicke gibt, was die Zentralen Restaurierungswerkstätten alles leisten. Ganz persönlich würde ich mir natürlich wünschen, dass möglichst viele der Objekte, die in den Depots schlummern, gezeigt werden können. Die Bandbreite der Kunst- und Kulturobjekte und der Ausstellungen in den Erfurter Museen ist riesig. Es gibt regelmäßige Wechselausstellungen und eine große Fluktuation an Präsentationen. Das ist wirklich toll.