Hintergrund

Jahrhundertelanger Kulturtransfer im ewigen Grenzland

Interview mit Dr. Fabian Müller-Nittel, dem neuen Chef der Miltenberger Museen

veröffentlicht am 07.08.2024 | Lesezeit: ca. 10 Min. | von Marc Peschke

Dr. Fabian Müller-Nittel ist neuer Chef der Museen in Miltenberg

Dr. Fabian Müller-Nittel ist neuer Chef der Museen in Miltenberg, Foto © Katharina Nittel

„Miltenberg – Ganz schön junges Mittelalter“. Der Slogan des Stadtmarketings deutet es schon an: In der idyllischen Altstadt will man sich jung geben. Doch das meiste hier ist alt und wunderschön. „Die Perle am Main“, das „mainfränkische Juwel“ – ein schmuckes Mainstädtchen zwischen Aschaffenburg und Würzburg.

Oben, auf der Mildenburg, residiert eines der Museen der Stadt Miltenberg: das „Museum Burg Miltenberg“. Ikonen und moderne Kunst gibt es hier im Dialog zu bewundern. Unten dagegen, in der Altstadt, wird im „Museum Stadt Miltenberg“ die Geschichte des Ortes präsentiert. Beide Museen in der Stadt am südlichsten Punkt des Mainvierecks haben einen neuen, jungen Direktor, der sich ebenfalls dafür einsetzt, das Mittelalter in Miltenberg markant zu verjüngen.

Dr. Fabian Müller-Nittel ist gebürtiger Karlsruher, seit Januar 2023 Direktor der Museen Miltenberg und zudem Abteilungsleiter Kultur der Stadt am Main. Zuvor war er Sammlungsleiter des Bereichs „Kunst- und Kulturgeschichte bis 1918“ bei den oberösterreichischen Landesmuseen und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum der Bildenden Künste in Leipzig und auch im Martin-von-Wagner-Museum in Würzburg beschäftigt, wo er an der Julius-Maximilians-Universität Kunstgeschichte studiert hat. Wir sprachen mit ihm über seinen Lebensweg und seine Arbeit in Miltenberg …

Von der Donau zurück an den Main: Wie sehr unterscheidet sich das Leben in Linz und Miltenberg?

Fundamental – in Größe, Virilität, Kunstszene – eigentlich in allem. Aber entscheidend waren für mich weder in Linz noch bislang in Miltenberg das jeweilige Leben in der Stadt. Mein beruflicher Lebensmittelpunkt in Miltenberg sind die Museen und die dort anstehenden Aufgaben. Mein privater Lebensmittelpunkt ist Würzburg, wo meine Familie wohnt.

Betrachtet man Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte, so ist man erstaunt. Sie interessieren sich gleichermaßen für Malerei und Skulptur des Mittelalters wie für DDR-Underground-Kunst oder Crypto Art. Können Sie diesen Vorlieben denn in Miltenberg gleichermaßen nachgehen?

Ja und nein. Inhaltlich kann ich natürlich einige dieser Vorlieben nicht mehr weiterverfolgen, da wir dazu keine Museumsbestände haben. Was mich allerdings immer am meisten interessiert hat, waren die methodischen Herausforderungen. Jedes Thema bedingt eine ganz eigene kuratorische Herangehensweise, eine spezifische Objektauswahl, eigene Szenografien, Vermittlungsmethoden und Begleitformate. Auf die Erfahrungswerte, die mir die thematische Breite meiner bisherigen Laufbahn diesbezüglich beschert hat, baue ich hier in Miltenberg in allen musealen Bereichen, insbesondere aber den Neukonzeptionen für die Dauerausstellungen der beiden Häuser auf.

Das „Museum Stadt Miltenberg“ mit seinem Haupthaus aus dem Jahr 1541 zeigt das Werden Miltenbergs und seiner Region – seit der Römerzeit. Auch die jüdische Geschichte und Miltenberger Künstler wie Rudolf Hirth du Frênes und Philipp Wirth werden hier präsentiert. Und der Alltagskultur räumt das Museum Platz ein. Was fasziniert sie an der Geschichte Miltenbergs und wie wollen Sie in diesem traditionsreichen Haus neue Akzente setzen?

Das Spannende und immer wieder aufs Neue Faszinierende ist die besondere Prägung des Miltenberger Raums durch den jahrhundertelangen Kulturtransfer, der hier, in diesem ewigen Grenzland stattgefunden hat. Seien es die Kelten oder die Römer, heidnische, christliche oder jüdische Bevölkerungsgruppen, Handwerker, Händler, Künstler – alle haben ihre kulturellen Einflüsse mitgebracht. Und diese ganz spezifische Mischung, die die Miltenberger Kulturgeschichte ausmacht, möchte ich in Zukunft noch stärker herausarbeiten, vor allem die gegenseitigen Wechselwirkungen. Eine leichte Akzentverschiebung wird dabei nicht ausbleiben können. Daneben möchte ich vor allem die Lücke zur Innovations- und Technikgeschichte der jüngsten Vergangenheit schließen, die Themen der Dauerausstellungen noch näher an die Lebenswirklichkeiten der Besucher*innen anknüpfen und an den Vermittlungsformaten innerhalb der Dauerausstellungen arbeiten.

Das „Museum Burg Miltenberg“ hingegen präsentiert Ikonen und moderne Kunst in historischen Burgmauern. In welcher Weise kann man Ikonenkunst und die Kunst der Moderne miteinander vergleichen?

Beziehen wir das „Kunst der Moderne“ auf die dort gezeigte religiöse Kunst, kann man sagen: Das Verbindende ist die Spiritualität als entscheidendes Movens. In der bildenden Kunst, gerade in der Malerei, sucht man ja generell nach Verbildlichung. Hier sind die Themen nun aber keine Porträts, Landschaften oder Historien, sondern Sinnbilder des Glaubens, Denkens und Strebens der Menschheit.

Im Museum sind russische und griechischen Ikonen sowie rumänische Hinterglas-Ikonen aus der Sammlung Dr. Joachim und Marianne Nentwig zu erleben. Und eben Kunstwerke des 20. und 21. Jh. aus der Sammlung des Domkapitulars Dr. Jürgen Lenssen. Der Presse war zu entnehmen, dass Ihre Ideen einer Neuausrichtung des Museums nicht die Zustimmung des Leihgebers fanden. Wo lag der Konflikt und ist eine Lösung in Sicht?

Das derzeitige Konzept von Dr. Lenssen – orthodoxe Ikonen und moderne religiöse Malerei in einen Dialog zu spirituellen Sinnsprüchen zu stellen – mag in sich schlüssig sein, funktioniert aber aus fachlicher Sicht nicht. Langfristig kann mit einem solchen überintellektuellen und ohne weitere Vermittlung präsentierten Konzept keine museale Dauerausstellung getragen werden. Und erwiesenermaßen, Zahlen lügen nicht, wird die Dauerausstellung im Museum Burg Miltenberg von den Besucherinnen und Besuchern nicht angenommen.

Was war Ihr Vorschlag?

Im November 2023 habe ich meine ersten Überlegungen zu einem Neukonzept für die Dauerausstellung in der Mildenburg präsentiert, das nicht nur auf den Standort und unsere museale Verantwortung, sondern auch auf die Erwartungshaltung und die Interessen des potentiellen Publikums eingeht. Dass ich dazu im Vorfeld nicht um Erlaubnis bei den Altbürgermeistern oder dem ehemaligen Kunstreferenten der Diözese Würzburg gebeten habe, hat aufgezeigt, dass deren Verantwortlichkeit vorbei ist. Aus Bauherrentätigkeit, Leihgeberschaft und Konzeptautorschaft folgt allerdings keine die Amtszeiten überdauernde inhaltliche Zuständigkeit oder das Recht auf weitere Mitsprache – insbesondere nicht, wenn damit in die Kernkompetenz einer Museumsleitung hineingewirkt werden würde.

Wie ging es weiter?

Eine inhaltliche Diskussion wird seitdem gescheut, obwohl ich meinerseits die Bereitschaft kommuniziert habe und immer noch bereit dazu bin. Es geht leider zu oft nur um meine Person und meine Kompetenz und das in absolut indiskutabler Weise – so versuchte man etwa politischen und privaten Druck aufzubauen. Doch der politische Rückhalt bei unserem 1. Bürgermeister Bernd Kahlert und beim Stadtrat ist stark, mit dem amtierenden Kulturreferenten der Diözese Würzburg, Dr. Jürgen Emmert, arbeite ich außerordentlich gut und vertrauensvoll zusammen, die Kolleginnen und Kollegen aus dem Kulturbereich stehen hinter mir und viele, auch einflussreiche Bürgerinnen und Bürger begrüßen die Aussicht auf Neuerung. Das reicht mir, um konzentriert an der Neukonzeption zu arbeiten. Eine Lösung wird automatisch in Sicht kommen, wenn mein Konzept fertig ist und die zuständigen Entscheidungsträger, später auch die Besucherinnen und Besucher, überzeugt hat.

Welche Ideen haben Sie, die Sichtbarkeit der beiden Miltenberger Museen zu erhöhen?

Wichtig sind mir eine zeitgemäße Gestaltung und Typografie bei allen Drucksorten, Social-Media-Aktivitäten, personelle Vermittlungsformate, die Beschilderung der Häuser und das externe Leitsystem. In weiterer Zukunft wird auch unsere Sonderausstellungsaktivität öffentlichkeitswirksam eingesetzt werden.

Ist die Nähe zur Kunstmetropole Frankfurt eher ein Vorteil oder ein Nachteil?

Ich glaube, weder noch. Die spezifische Identität unserer Museen und unseres Zielpublikums ist eine so andere wie die der Frankfurter Museen, dass wir uns – wenn überhaupt – ergänzen. Wir haben auf der einen Seite einen regen Touristenstrom, der auch aus anderen Gründen nach Miltenberg kommt und für den wir ein passendes museales Angebot bereithalten müssen; auf der anderen Seite haben wir eine Stadtbevölkerung, für die wir unsere Museen wieder neu und attraktiv gestalten müssen.

Werden Sie in Zukunft mehr auf Sonderausstellungen setzen?

Zunächst nicht. Im Fokus müssen die Dauerausstellungen stehen. Diese entscheiden über Erfolg oder Misserfolg unserer Museen. Wenn sie zukunftsfähig aufgestellt sind, kann über eine Neuausrichtung unserer Sonderausstellungsaktivitäten nachgedacht werden. Bis dahin werden wir ein regelmäßiges, sehr bewusst gesetztes, aber eher sparsames Programm fahren.

Welche anderen Projekte stehen für Sie an?

Unseren Leitbildprozess haben wir vor Kurzem abgeschlossen, das war sehr wichtig, um unser Selbstverständnis, unsere Aufgaben, Werte und Visionen nach außen kommunizieren können. Neben der Weiterentwicklung unserer personellen Vermittlungsformate und der Ausrichtung unserer Ausstellungen vor allem auf Kinder und Familien steht nun die von der Landesstelle für nichtstaatliche Museen unterstützte Entwicklung einer Museumsapp im Vordergrund. Sie soll Multimedia- und Audioguides, thematische Führungen, Vermittlungsformate und Kinderangebote gebündelt zur Verfügung stellen.

Und was bei allem nicht vergessen werden darf: Wir haben ein fantastisches Team und tolle Kooperationspartner. Nur dadurch werden alle diese Projekte überhaupt möglich.

Sie sind ja auch Abteilungsleiter Kultur der Stadt Miltenberg. Mit welchen Aufgaben sind Sie hier betraut? Und was haben Sie hier für Hoffnungen und Pläne?

Hier handelt es sich vor allem auch um eine kommunikative Schnittstelle. Es ist wichtig, dass der Kulturbereich Augen, Ohren und einen Mund in den kommunalen Strukturen hat. Als solche verstehe ich mich. Wenn die vertrauensvolle Zusammenarbeit so weitergeht wie bisher, bin ich guter Dinge, dass der Kulturbereich alle Aufgaben und Herausforderungen meistern wird.

Sie sind seit Ihrer Studienzeit in Würzburg mit der Region vertraut. Planen Sie Kooperationen mit anderen Museen und Institutionen?

Ich würde gerne, es laufen auch schon fruchtbare Gespräche. Aber noch sind die internen Baustellen drängender.

Gibt es Kunst-Projekte, Künstler, Kunstorte oder Initiativen aus der Region, die Ihnen besonders am Herz liegen und die Sie empfehlen möchten?

Die Neukonzeption des Museums für Franken in Würzburg beobachte ich natürlich mit großem Interesse. Jan Soldin macht im Museum Otto Schäfer in Schweinfurt sehr spannende Kooperationen mit dem Theater, die angenehm ausreizen, was Museum heute sein kann. Und mit Marcus Andrew Hurttig ist am Würzburger Kulturspeicher seit Kurzem jemand, der der Kultur- und Museumsszene ganz Frankens sehr gut tun wird.

Informationen zu den Museen finden Sie unter www.museen-miltenberg.de.

Schlagworte:

Ähnliche Artikel: