Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich die drei Protagonisten, zwei Männer und eine Frau, in Fritz Hochwälders Stück „Der Flüchtling“ bewegen. Drei Menschen, namentlich nicht weiter benannt, treffen im Hochgebirge nahe einer Grenze aufeinander, einer davon ein Flüchtling, der sich vor den Machthabern in Sicherheit bringen muss. Er kommt zum Haus des Grenzwächters, wo ihn dessen Frau vor den Verfolgern versteckt. Als der Grenzwächter von seiner Runde zurückkehrt, gerät auch er in den Strudel der Ereignisse. Wie werden sich die drei verhalten, wer wird welche Entscheidung treffen, um sich aus der Bedrängnis zu befreien? Die Situation erscheint beinahe ausweglos.
Regisseur Uwe Reichwaldt inszeniert das Stück, Premiere ist am 27. September 2024, 19.30 Uhr, für das Theater Schloss Maßbach. Zeithistorische Stoffe, erzählt er, interessierten ihn sehr. Da sei gerade dieses Stück genau richtig gewesen. Interessant sei auch, dass der österreichische Dramatiker (1911 bis 1986), unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, selbst auf der Flucht gewesen sei. Als Jude emigrierte er 1938 über Vorarlberg in die Schweiz. Uraufgeführt war das Stück am 5. September 1945 im Theater Biel-Solothurn worden. „Bis heute entwickelt dieses Stück, in dem der Autor seine Erlebnisse reflektiert hat, sich mit den Täter:innen auseinandersetzt“, so Reichwaldt, „eine ungeheure Intensität.“ Der Regisseur findet allerdings, dass die Personen sehr positiv gezeichnet sind. Das sei überraschend und widerspreche schon den historischen Tatsachen, nicht alle seien so gewesen. „Man muss aber sehen“, so der Regisseur, „dass das Stück nicht klar darauf eingeht, wo und wann die Handlung spielt.“ Da sei alles sehr universell gehalten, was diese besondere Dreierkonstellation sowie die beschriebenen Geschehnisse auch heute noch aktuell erscheinen ließen. Menschen, die fliehen und auf ihrem Weg Grenzen überwinden müssen, gebe es auch heute. Bei genauem Hinsehen, sagt Reichwaldt, könne man durchaus Andeutungen, etwa auf eine faschistoide Diktatur oder auch einen Zeitraum um die 1940er-Jahre erahnen. Genau ausgeführt sei aber nichts. Auch junge Menschen, ergänzt er, könnten mit dem Thema etwas anfangen, die auf die drei Akteure reduzierte Grundkonstellation sei zu jeder Zeit aktuell. Je nach Alter und Lebenshintergrund werden alle im Publikum ihre eigene Sicht auf das Stück entwickeln. Zudem stünden grundsätzliche Fragen zur Disposition: Wie verhält man sich zu autoritären Systemen? Geht es nur darum, etwa als Mitläufer:in die eigene Haut zu retten oder auch darum, sich solchen Systemen zu widersetzen? „Fragen, die sich stellen“, sagt Reichwaldt, „sobald man nicht in einer freiheitlichen Demokratie lebt oder sie zumindest durch gesellschaftliche Entwicklungen als fragiles System wahrnimmt.“
Für seine Inszenierung möchte Reichwaldt an der universell gehaltenen Vorlage festhalten. Auch seine Hauptfiguren bekommen keine persönlichen Namen, werden danach bezeichnet, welche Rolle sie erfüllen. „Meine Version“, sagt er, „könnte in verschiedenen Epochen stattfinden, in den 30er- oder 40er-Jahren ebenso wie zeitgleich in einer dystopischen Zukunft.“ Zeit und Ort möchte der Regisseur nicht definieren. Auch die Kostüme bewegen sich in diesem Bereich. Für ihn kommt es bei der Entwicklung eines Stückes immer auf das Ensemble an, etwa wie es sich bei der Probenarbeit entwickelt. Klar, sagt er, habe er einen Masterplan, vorab ein genaues Konzept erarbeitet. Für die Proben versuche er, einen kreativen Raum zu schaffen, in dem er mit seinem Ensemble das Stück voranbringen kann. „Eine Inszenierung“, betont er, „wächst aus dem Ensemble heraus.“ Die beiden Schauspieler, Benjamin Jorns und Marc Marchand, sowie deren Kollegin Anna Schindlbeck könnten die jeweiligen Rollen aus sich heraus viel feinfühliger zeichnen, da lehne er sich gerne zurück, beobachte und lasse er sich einfach überraschen. Ein Regiekonzept müsse immer gut vorbereitet sein, könne aber auch abgeändert werden. Gut vorbereitet sein, bei der ersten Probe alles vergessen und schauen, was auf der Bühne passiert. „Manches“, sagt er, „muss man einfach ausprobieren, um zu sehen, ob es ausgeht.“ So an eine Regiearbeit heranzugehen, habe er schon während der Ausbildung am Max-Reinhard-Seminar in Wien gelernt. Kreative Freiheit sei da der Ansatz gewesen, ebenso eine „unangestrengte Probensituation.“ Noch liefen die Proben, da sei noch einiges an Veränderungen möglich. Derzeit bestehe auch die Überlegung, eventuell eine zusätzliche Ebene einzubauen, über die einzelne Dinge dann reflektiert werden könnten. Ob das funktioniere, sei noch offen, das müssten die weiteren Proben zeigen.
Gespielt wird im sogenannten Intimen Theater im Schloss Maßbach. Mit knapp 90 Plätzen schaffe der Saal für das Kammerspiel einen ganz besonderen Rahmen, der die Zuschauer:innen das Spiel noch intensiver miterleben lässt. Zusätzlich gibt es Gastspiele in Ebern, Lichtenfels, Schweinfurt, Haßfurt sowie Aschaffenburg.
Informationen zum Theater sowie den Terminen gibt es unter www.theater-massbach.de.