Mit Heimweh in die Ferne tanzen
Die Nürnberger Choreografin Eva Borrmann kommt mit ihrem Tanzprojekt „Nostalgia“ in die Tafelhalle
veröffentlicht am 08.01.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Elke Walter
Ob Menschen Heimweh oder Fernweh empfinden, hängt von ihrer momentanen Lage sowie vielen anderen Faktoren ab. In Ihrem Tanzprojekt „Nostalgia“, was gleichzeitig der medizinische Fachbegriff für Heimweh ist, setzt sich die Nürnberger Choreografin und Tänzerin Eva Borrmann, Leiterin der Plan Mee – Tanzcompagnie, mit diesen sehr persönlich empfundenen Gefühlen auseinander. In der Performance spürt ein vierköpfiges Ensemble tänzerisch der Bedeutung von Fern- und Heimweh nach, und gestaltet mit Sprache, Bewegung und Sound einen Raum des inneren Dialogs zwischen beiden Polen. Das Publikum sitzt im Kreis rundherum um die Bühnenfläche in der Mitte. Dieser Bereich dient dann als zentraler Ort der sozialen Verhandlung. Die Zuschauerschaft wird so auch Teil des Geschehens. „So eine ungewohnte Choreografie muss man anders denken“, sagt die Choreografin, „als in der üblichen Frontalsituation der meisten Theater.“ Wichtig sei dabei auch, zu beachten, dass der „Raum mitspricht“. Für ihr kulturelles Engagement und ihre besonderen Projekte wurde die Tanzspezialistin erst im September zur Künstlerin der Metropolregion gekürt. Mit ihren Projekten geht Borrmann im Kern immer sozialen und kulturellen Phänomenen in ihren Auswirkungen auf den Körper und seine Bewegungen nach.
Eine ausführliche Recherche zum Thema und Gespräche mit Menschen unterschiedlichen Alters und kulturellen Hintergründen ging der späteren Umsetzung voraus. Die zentrale Frage an die ausgewählten Personen war: „Wenn du dich entscheiden müsstest, würdest du dich für Fernweh oder Heimweh entscheiden?“ Die Gesprächsbeteiligten waren zwischen 8 und 75 Jahren, die einzelnen Ausgangslagen ganz verschieden. Entscheidend dabei, ob die Betroffenen etwa gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen oder freiwillig gegangen waren. So etwa ein Flugbegleiter, der aus beruflichen Gründen viel und gerne unterwegs ist, den aber parallel immer das Heimweh begleitet. Oder der 8-Jährige, der die Urlaubsreise eher als Abenteuer sieht, für den Fern- oder Heimweh noch keine definierten Begriffe sind, vielleicht nur daran denkt, wie schön es im eigenen Bett wäre. Oder auch die Endfünfzigerin, deren Fernweh in Gedanken nach dem Jenseits schielt, aus der Sehnsucht nach ihrer verstorbenen Mutter heraus gespeist wird. Ganz anders fühlt sich das für Menschen an, die etwa aus Kriegsgründen fliehen mussten. Aus dem umfangreichen Gesprächsmaterial hat die Choreografin Eva Borrmann gemeinsam mit dem Autor Robert Krupar und der Szenografin Daina Kasperowitsch einen Geschichtenteppich erstellt, der das Publikum einladen soll, auch selbst über das eigene Empfinden zwischen Heim- und Fernweh nachzudenken. Musik und Klänge von Florian Kenner runden die Produktion ab. Das Live-Erlebnis ermöglicht ganz besondere Theatermomente, um unterschiedliche Vorstellungen zu überdenken, aber auch dazu einladen, menschliche Vielfalt zu schätzen.
Was bedeuten diese beiden Begriffe nun für einzelne Menschen? Fernweh etwa, als Sehnsucht, Gewohntes zu verlassen, in der Fremde vielleicht Freiheit zu finden? Dem gegenüber Heimweh, das Menschen in der Fremde empfinden, sich nach der heimatlichen Gemeinschaft, etwa den vertrauten Menschen, einer Region, bestimmten kulturellen Elementen sehnen? Dazu gehört vielleicht auch eine besondere Speise, die ein vertrautes Gefühl vermittelt. Es geht immer auch um Zugehörigkeit und Identität, in ihren ganz persönlichen Ausprägungen. Die tänzerische Auseinandersetzung steht eng im Dialog mit diesen Erzählungen.
Aus den Aufzeichnungen der Gespräche, so Borrmann, höre man einzelne Passagen, parallel zur Musik sowie dem Soundkonzept, die dann mit Bewegung und Tanz in eine sichtbare Sprache übersetzt werden. Die vier Performer dienen dabei als eine Art Medium für die Emotionen, die unter dem Gesprochenen verborgen scheinen oder eben nur körperlich verhandelt werden können. Wobei auch die vier Ensemblemitglieder, das sind Aylar Ardalani, Francesca Imoda, Mio Selter sowie Julian Sturz, jede:r für sich auch ganz unterschiedliche Aspekte und kulturelle Bezüge mitbringen.
„Wir halten durchgehend an einer gleichbleibenden Lichtstimmung fest“, betont die Choreografin, „um nicht vom Kerngedanken abzulenken. Es geht um die Menschen und ihre Empfindungen, nicht um ein showmäßiges Event!“
Borrmann, 1988 in Würzburg geboren, hat ihre Ausbildung in klassischem wie auch zeitgenössischem Tanz absolviert, begann ihre Karriere am Staatstheater Nürnberg, bevor sie dann mit erst 27 Jahren ihre eigene Tanzcompagnie (Plan Mee) gründete. Sie arbeitet als freiberufliche Tänzerin, möchte „selbst Autorin ihres Körpers sein“ und Neues entwickeln, die Traditionen aber nicht verlieren. Ihre tänzerischen Projekte legt sie bevorzugt jenseits der kodierten, klassischen Tanztechniken an.
Premiere hat diese außergewöhnliche Tanzproduktion am 17. Januar 2025, Beginn 20 Uhr, in der Nürnberger Tafelhalle. Informationen dazu unter www.kulturquartier.de oder auch www.planmee.de.