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Chemnitz – die Kulturhauptstadt Europas 2025

veröffentlicht am 01.01.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Oliver Will

Chemnitz Theaterplatz mit (v.l.n.r.) Städtische Kunstsammlungen Chemnitz, Opernhaus der Städtischen Theater, St. Petrikirche und Hotel Chemnitzer Hof

Chemnitz Theaterplatz mit (v.l.n.r.) Städtische Kunstsammlungen Chemnitz, Opernhaus der Städtischen Theater, St. Petrikirche und Hotel Chemnitzer Hof, Foto © Nasser Hashemi

Von Bad Ischl-Salzkammergut (Österreich), Tartu (Estland) und Bodø (Norwegen) war nur bedingt zu hören. Die Kulturhauptstädte 2024 sind, zumindest in der Außenwahrnehmung, wenig auffällig geworden. Chemnitz und Nova Gorica mit Gorizia (Slowenien/Italien) übernehmen nun die Zepter ihrer Vorgängerinnen. Und die drittgrößte Stadt Sachsens hat sich ihre Sichtbarkeit ganz explizit und dick auf die Fahnen geschrieben: „C the unseen“. So lauten Auftrag und Versprechen gleichermaßen. Und meinen den reflexiven, partizipativen Binnenblick auf sich selbst ebenso wie die Perspektive Richtung Europa und umgekehrt. Kultur und Industrie sind seit Deutschlands letzter Kulturhauptstadt Essen ein bekanntes Paar für gezielte Wechselwirkungen. Doch mehr denn je ist der Kulturhauptstadt-Auftrag zur Aufgabe geworden, Kultur und Demokratie in Personalunion für die gesellschaftliche Stadt- und Regionalentwicklung einzusetzen. Chemnitz, als diesbezüglicher Brennpunkt auffällig geworden, birgt hierin großes Potenzial – stellvertretend für die aktuellen Herausforderungen an unsere Demokratien weltweit. Die Entscheidung der Kulturhauptstadtjury fiel nicht ohne Grund auf die vermeintlich unscheinbare Stadt und ihre Bedürfnisse, aber vor allem auch Möglichkeiten.

Und ein kleiner Ritterschlag war es dann schon, als sich die Bundesrepublik Deutschland dafür entschieden hat, Chemnitz als Kandidatin für die Kulturhauptstadt Europas zu benennen. Allerdings einer, der die Stadt in Zugzwang bringt. Denn es werden sich in 2025 viele Augen auf die sächsische Metropole richten und neugierig genauer hinsehen, was Chemnitz und die Region ausmacht – und was Chemnitz und die Region daraus machen. Ob eine dynamische Transformation des Unscheinbaren zu einer selbstbewussten und gerne besuchten Region stattfinden wird, ist noch zu beweisen. Die Agenda der Kulturhauptstadt Europas 2025 ist entsprechend vielversprechend: „Die europäische Kulturhauptstadt Chemnitz soll für alle ein besonderes Erlebnis werden, und zwar in einer bunten, weltoffenen und angstfreien Stadt.“ Aufkleber mit dem Slogan „Hier findest du Verbündete“ sollen Läden, Büros, Kneipen, Vereinen und anderen Orten bekennendes Aushängeschild werden lassen. Zahlreiche „Demokratiestützpunkte“ dem Extremismus gemeinschaftlich Paroli bieten.

Denn bei aller Exzellenz in einigen Projekten (Edvard Munch-Ausstellung, Henry Van de Velde, Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Ludwig Kirchner und andere Exponate der klassischen Moderne, John Cage, Erik Satie, Olga Tokarczuk) ist der Großteil dessen, was Bewerbungsbücher und Projektkataloge vorwegnehmen, eine tiefe soziokulturelle Durchdringung der Stadt und Region, eine nie dagewesene Politur dessen, was bereits da ist und offenkundig bereit ist, mehr Aufmerksamkeit zu genießen. Beleuchtet werden beispielsweise wichtige Phänomene wie der traditionsreiche Bergbau der Region – das erinnert ein wenig an Essen und ihre Zeche Zollverein – oder die Garagenkultur, die sich in über 30.000 Garagen ausdrückt und die vermutlich größte Sammlung von mentalitätsgeschichtlichen Zeugnissen der Chemnitzer Bevölkerung und ihrer Umland-Bewohnerschaft birgt. Die Standard-Formate von Chemnitz 2025 reichen somit weit in die Felder Sport, Handwerk, Industriekultur, Industrieerbe, Unternehmensgeschichte und Zivilgesellschaft hinein. Sie zielen natürlich auch auf Kunst und künstlerische Programmatik ab, haben allerdings vor allem Narrative, Talente, Biografien, Menschen, Traditionen, Innovationen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Visier. Befördern idealerweise Macher:innen, Initiativen, Menschen, Nachbarschaft, Helfer:innen und Minderheiten. Die Vision und Intention einer aktivierten, aufbrechenden und stolzen Gesellschaft wird darin greifbar. Und von künstlerischen Interventionen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene unterstrichen. Tango, Graffiti, Skulptur, Musik, Tanz, Kirche und Theater, Architektur und Werkstatt. Das Besteck der Chemnitzer Kulturlandschaft ist vielfältig. Die kulturfrohe Kommode ist angerichtet. Die Botschaft klar. Der Aufruf zum Mitmachen und Verändern auch. Chemnitz will und wird Gesicht zeigen, von ihrer besten Seite. Die „Industriestadt mit Herz, Charme und Verstand“, so der Slogan der Chemnitzer Schokolade, kann damit beides gleichzeitig schaffen: Prominenter Kunststandort mit Willkommenskultur UND Kulturhauptstadt der Herzen sein. Dies gilt für Chemnitz als Herzstück der Region ebenso, wie für den 38 Städte und Gemeinden fassenden Ballungsraum Europas mit rund einer halben Million Einwohnerinnen und Einwohnern. Dabei sind die Nuancen und Eigenheiten jeder Kommune bereits jetzt deutlich erkennbar. Zwickau beispielsweise geht mit seinem Motto „ungeahnt sehenswert“ in das Kulturhauptstadtjahr und unterstreicht den Chemnitzer Slogan auf eigenständige Weise.

Am 18. Januar 2025 feiert die Kulturhauptstadtregion ihren offiziellen Auftakt in das Kulturhauptstadtjahr. Knapp 900 Initiatoren und Initiativen stellen in 2025 mehr als 1.000 Veranstaltungen auf die Beine. Orientierung gibt der gigantische Vorbote, die Esse, das mit 302 Metern vermutlich höchste Kunstwerk der Welt. Der von Daniel Buren gestaltete Heizkraftwerk-Schornstein in Chemnitz weist mit seinen 168 LED-Leuchten von Aquamarin bis Verkehrsgelb prominent und bunt den Weg in die deutsche Kulturhauptstadt Europas 2025 – Chemnitz.

Mehr Informationen finden Interessierte unter www.chemnitz2025.de.

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