Dass es mitunter ein ganzes Jahrhundert dauern kann, bis ein zu Unrecht vergessenes Werk wiederentdeckt wird, ist schwer zu begreifen. Aber besser spät als nie. Fast zeitgleich haben die Opernhäuser in Meiningen und Karlsruhe die bedeutende Oper „The Wreckers“ von Ethel Smyth auf’s Programm der neuen Spielzeit gesetzt und ihr gelungene Inszenierungen gegönnt. Die Meininger können für sich beanspruchen, die szenische Erstaufführung der Urfassung in deutscher Sprache realisiert zu haben.
Die Komponistin (1858-1944) war zu ihrer Zeit hoch geschätzt, obwohl sie ihrerzeit der fast durchgehenden Missbilligung seitens der männlichen Kollegen ausgesetzt war. „Frauen können nicht komponieren“ war auch im 19. Jahrhundert noch die durchgehende Meinung von Tonsetzern wie Johannes Brahms und Gustav Mahler, zuvor sowieso.
Die Geschichte ist ziemlich skurril und lautet in einer Kurzfassung: Eine fromme Dorfgemeinschaft an der Küste Cornwalls bringt durch das Auslöschen der Leuchtfeuer Schiffe zum Kentern, tötet die Besatzung und stiehlt das Strandgut. Sie tut das, weil sie sich als von Gott auserwählt fühlt. Dieses verbrecherische Tun wird sabotiert durch ein Liebespaar, das dafür mit dem Tod büßen muss. Thurza ist die Außenseiterin, die durch heimliches Anzünden des Feuers auf dem Leuchtturm die Schiffe warnt. Sie will mit dem bigotten Gehabe der Dörfler nichts zu tun haben und lehnt es ab, alle Geschehnisse, selbst das Abschlachten von Menschen, mit der Behauptung zu tolerieren, alles sei „von Gott gegeben“.
Am Meininger Staatstheater haben Jochen Biganzoli und die Dramaturgin Julia Terwald mit Alexandre Corazzola (Bühne und Kostüme) einen halbtransparenten Kubus als zentrales und multifunktionales Element auf die Bühne gestellt. Das symbolisiert die hermetisch abgeriegelte Welt des Dorfes – man ist entweder drinnen oder draußen. Manchmal hebt sich dieser Kubus auch bedrohlich. Viele Graffiti sind auf seinen Wänden und später auch auf Schildern zu sehen, manche davon mit sehr deutlichen Anspielungen auf die Gegenwart, zumal auch auf die Thüringer Gegenwart: „Recht/Wut/Wir/Volk/Lügen/Überfremdung/Wir zuerst“ u.ä.
Ethel Smyth hat sich für diesen bizarren Plot eine aufregende Musik ausgedacht, deren Stil schwer einzuordnen ist. Natürlich ist es naheliegend, an Richard Strauss zu denken, vielleicht auch den jüngeren Alexander von Zemlinsky, doch die Analogien drängen sich nicht auf, zumal Smyth noch sehr von Brahms beeinflusst ist. Ihre musikalische Sprache ist sehr eigenständig und wagt auch manche Modernismen, die schon an Strawinsky denken lassen. Die Musik ist stets sehr nah dran am Geschehen, bisweilen auch deutlich lautmalerisch, und kommentiert das Ganze auf beklemmende Weise.
Der noch ziemlich neue Generalmusikdirektor Killian Farrell dirigierte die Meininger Hofkapelle am Premierenabend so furios wie beherrscht. Er hatte zuvor bei der Einführung in das Werk eine Darbietung im besten Korrepetitor-Stil gegeben, sekundiert von Julia Terwald. Unter den Solisten ist zunächst die durchwegs erstklassige Besetzung der Männerrollen zu erwähnen, allen voran natürlich die Protagonisten Tomasz Wija als geistlicher Führer der Gemeinde und Alexander Geller als Marc, der mit dessen Frau zu den Abtrünnigen gehört.
Selbst die kleineren Rollen sind mit Mark Hightower (Leuchturmwärter Laurent), Selcuk Hakan Tirasoglu (als dessen Schwager) und Tobias Glagau (ein Wirt) trefflich besetzt. Emma McNairy liefert mit ihrem kraftvollen Sopran eine schneidige Avis ab, was zu ihrer Rolle als Böse im Spiel bestens passt. Karis Tucker als Thurza besticht stimmlich nicht nur in der Höhe, sondern steuert auch runde tiefere Register bei. Ganz wichtig ist bei dieser Oper ein verlässlicher Chor, zumal das Werk in mancher Hinsicht an Wagners „Holländer“ erinnert, der ja eine Choroper ist.
Welche Botschaft nimmt man nach diesem außergewöhnlichen Opernerlebnis mit nach Hause? Es gibt ja auf der Erde mehr als nur ein Volk, das sich durch irgendeine höhere Macht für auserwählt hält und deshalb glaubt, sich alles erlauben zu können. „Hütet Euch vor den sich auserwählt Wähnenden“, so scheint die Moral von dieser Geschicht zu sein – wie wahr und wie aktuell!