Vorhang auf!

Bruderliebe und göttliche Einsicht

Das Staatstheater Meiningen wagt sich mit Jean-Philippe Rameaus „Castor et Pollux“ an eines der beliebtesten Werke des barocken Opernrepertoires

veröffentlicht am 11.02.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Martin Köhl

Skulpturenanlieferung bei „Castor et Pollux“

Skulpturenanlieferung bei „Castor et Pollux“, Foto © Christina Iberl

In Meiningen ist im neuen Jahr Barockoper angesagt: „Castor et Pollux“, die dritte Oper von Jean-Philippe Rameau aus dem Jahre 1737, hat am 21. Februar Premiere am dortigen Staatstheater. Das Werk um die beiden Jupitersöhne handelt von unverbrüchlicher Bruderliebe und göttlicher Einsicht. Mit der in Zagreb geborenen, aber in Italien und Deutschland aufgewachsenen Adriana Altaras hat das Staatstheater Meiningen eine Regisseurin mit einem ebenso ungewöhnlichen wie vielfältigen Werdegang für die Inszenierung von „Castor et Pollux“ gewinnen können.

Die Musikalische Leitung obliegt Christopher Moulds, der sich international vor allem einen Namen gemacht hat mit Dirigaten von Werken aus dem 18. Jahrhundert. Für die Dramaturgie sorgt Matthias Heilmann. Den Castor singt der russische Tenor Aleksej Kursanov, der seit Januar fest am Haus engagiert ist, auch alle anderen Protagonistenrollen sind mit Ensemblemitgliedern besetzt. Tomasz Wija als Pollux, Emma McNairy als Télaire und Sara-Maria Saalmann als Phébé. ART. 5|III stellte dem Intendanten und Operndirektor Jens Neundorff von Enzberg einige Fragen zur Inszenierung.

Welche Motive gab es für die Wahl dieses Stückes?

Es war relativ leicht, Jean-Philippe Rameau zu wählen. Er ist DER Protagonist des französischen Barocks, der seinerzeit auch sehr in die Diskussion gekommen ist im Streit zwischen den konservativen Lullisten und den ihn zugetanen avantgardistischen Ramisten. Aber in Meiningen war Rameau tatsächlich noch nie auf der Opernbühne zu erleben. „Castor et Pollux“ ist ein spannendes Werk – inhaltlich und musikalisch sowieso. Und wir können es am Haus sehr gut besetzen.

Gibt es Bezüge, die über die mythologische Erzählung hinaus auf das Hier und Heute verweisen?

Unbedingt! Das Stück ist sehr aktuell: Es geht um Freundschaft, es geht um Bruderliebe, es geht um Liebe überhaupt und um die Frage, wie groß das Verzeihen sein kann. Die Regisseurin Adriana Altaras arbeitet zudem die Perspektive der Frauen stark heraus.

Wird in Meiningen die erste Fassung gespielt oder die zweite Fassung von 1754, die den zeitgebundenen Prolog nicht enthält?

In Meiningen wird weder die erste, noch die zweite Fassung der Oper gespielt. Es ist eine Fassung, die ich für die Oper Bonn im Jahr 2001 erstellt habe. Sie legt den Schwerpunkt auf die Hauptprotagonisten und reduziert die mythologischen Bezüge, um die Handlung zu konkretisieren. Die Fassung ist sehr kompakt und umfasst inklusive Pause zwei Stunden.

Wie steht es um die Frage nach barocker Spielweise des Orchesters und entsprechender stimmlicher bzw. gesanglicher Anpassung?

Wir merken jetzt schon, dass französischer Barock komplett anders ist als deutscher Barock oder auch englischer Barock. Die Art des Musizierens, die Art der Phrasierungen und die Art der Orchestrierung sind besonders. Christopher Moulds probiert sehr sorgfältig und gewissenhaft mit unseren Sängerinnen und Sängern wie auch der Meininger Hofkapelle.

Sie versprechen bezüglich der Ausstattung Sensationelles. Die Skulpturen des höchst renommierten britisch-deutschen Künstlers Sir Antony Cragg scheinen architekturale Assoziationen hervorrufen zu sollen. Wie sind Sie auf ihn als Bühnenbildner gekommen?

In dieser Spielzeit haben wir gleich drei Musiktheaterproduktionen in Meiningen, deren Ausstattung von bekannten zeitgenössischen bildenden Künstlern verantwortet wird: „Una cosa rara“ durch Markus Lüpertz, „Don Carlos“ durch Achim Freyer und „Castor et Pollux“ durch Sir Tony Cragg. Sie alle kenne ich aus anderen Zusammenhängen. Ich habe über acht Jahre in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn eine Reihe mit zeitgenössischem Musiktheater geleitet. Der Ansatz war, zeitgenössische Oper, im Idealfall Uraufführungen, mit bildender Kunst zu kombinieren. In diesem Kontext habe ich alle drei genannten Künstler kennengelernt. Die aktuellen Inszenierungen in Meiningen sind sozusagen ein Zurückgreifen auf diesen Ansatz, aber mit dem Unterschied, dass wir nun auch ausprobieren, wie barocke Oper im Ausstattungsgewand eines zeitgenössischen Künstlers wirken kann. Das alles geschieht in bester Meininger Tradition, denn hier wurde zu Zeiten des „Theaterherzogs“ Georg II. durch die Bühnenbilder der Gebrüder Brückner aus Coburg ein Schwerpunkt auf Visuelles gelegt. Diesen artifiziellen-visuellen Ausdruck haben wir uns bewahrt und denken ihn zeitgenössisch und zeitgemäß weiter. Dies geschieht gleichermaßen in dem Bewusstsein für die bedeutende Vergangenheit dieses Hauses und in der Verantwortung für seine nicht minder bedeutende Gegenwart und Zukunft.

Meiningen hat sich in den letzten Spielzeiten einen Ruf erarbeitet bei Ausgrabungen, Wiederentdeckungen oder sehr selten gespielten Stücken. Wie kam es dazu?

Wenn man sich in eine Region, in eine Stadt begibt, denkt man als Intendant sowie im Team über folgendes nach: Was passt da hin? Und: Was könnte das Besondere sein, für diesen Ort, für diese Region? Wir haben unsere Reihe besonderer Opern im Februar 2022 mit einer Ausgrabung des kunstsinnigen Herzogs Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha begonnen, „Santa Chiara“. Schon damals habe ich gemerkt, dass Meiningen neugierig ist auf Ausgrabungen und auf Wiederentdeckungen von möglicherweise zu Unrecht vergessener Werke. Und dass dieser historische Ort, an dem wir sind, durchaus dazu passt, Musiktheaterstücken eine neue Chance zu geben in einer ganz anderen Zeit.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Neundorff von Enzberg.

Schlagworte:

Ähnliche Artikel: