Siebzig Jahre Bamberger Symphoniker
Nachfolger von Jonathan Nott noch nicht genannt
veröffentlicht am 12.05.2015 | Lesezeit: ca. 7 Min.
Gleich in dreierlei Hinsicht wird die Saison 2015/2016, die unter dem Motto „Künstler-Leben“ steht, für die Bamberger Symphoniker –Bayerische Staatsphilharmonie eine ganz besondere werden. Da ist zum einen das siebzigjährige Bestehen des oberfränkischen Hochglanzklangkörpers, das im März gefeiert werden wird. Zwei Monate später steht der Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb an, nunmehr, warum auch immer, „The Mahler Competition“ geheißen (vielleicht muss das ja in einer „extraordinary city“ mit einem „extraordinary orchestra“ so sein, n’est-ce pas?). Nun gut, der besseren und leichteren internationalen Wahrnehmung halber lässt sich dieser Anglizismus vertreten. Schließlich wird nach über anderthalb Dekaden eines überaus fruchtbaren Wirkens Jonathan Nott die Bamberger Symphoniker verlassen.
Der jetzt zweiundfünfzigjährige Brite wird, wenn er sich am 2. Juli des kommenden Jahres mit Bruckners wahrhaft monumentaler Achter im Kaiserdom verabschiedet (und Richtung Genfer See zieht, um in der Nachfolge von Neeme Järvi die Position des Chefdirigenten des auch mit Horst Stein verbundenen Orchestre de la Suisse Romande anzutreten), 658 Konzerte am Pult der Bamberger Symphoniker – Bayerische Staatsphilharmonie geleitet haben, mehr als Joseph Keilberth. Breit auch ist Notts Repertoire, der am Ende seiner Bamberger Tage 425 verschiedene Werke (Horst Stein hingegen brachte es auf gerade einmal 215) aufgeführt haben wird. Bei der Pressekonferenz im oberen Foyer der Konzerthalle zeigte sich der Brite recht bewegt. Nach sechzehn Jahren aber wolle er dem Orchester die Gelegenheit geben, sich neu zu definieren.
Ein Nachfolger indes steht noch nicht fest. Intendant Marcus Rudolf Axt stellte immerhin klar, dass vier Kandidaten im Gespräch seien. Welche, darüber kann man nur mutmaßen. Jakub Hruša womöglich, der junge Mähre, der gleich zweimal in der neuen Saison an die Regnitz kommen wird? Im November macht Hruša Josef Suk, Schostakowitsch und die Symphonie fantastique, im April die „Pathétique“ und das Zweite Klavierkonzert von Brahms (Solist: Rudolf Buchbinder). Oder doch Pietari Inkinen, der zu Silvester Beethovens Neunte dirigieren wird und von Japan über Prag und Köln bis Amsterdam gerade für einige Furore sorgt? Ende dieses Jahres wird man, versprach Axt, mehr wissen.
Apropos Prag: In dieser Stadt liegen ja die Wurzeln der Bamberger Symphoniker. Die Musiker des dortigen „Deutschen Philharmonischen Orchesters“ mussten 1945 fliehen und fanden sich im freien Westen wieder zusammen, wo sie am 20. März 1946, vor bald sieben Dekaden also, ihr erstes Konzert in Bamberg gaben. Noch heute spricht man ja gern vom böhmischen Klang des Orchesters. Nott aber stellte klar, dass es ein „deutscher Klang“ sei, der den Bambergern eigne, plastisch, sinnlich, modern. Zum Jubiläum soll die Konzerthalle mitsamt der Nebenräume zu einer einzigen Bühne werden, soll von der Tiefgarage bis ins Büro des Intendanten musiziert werden, beispielsweise „Die Geschichte vom Soldaten“, auch György Ligeti (für den Nott sich immer wieder stark macht), das dann gleichfalls siebzig Jahre alte Oboenkonzert von Richard Strauss (mit Barbara Bode an der Oboe; Bodes Kollege, Ivan Podyomov, wird dieses Konzert ebenfalls spielen, und zwar im Januar bei einem Schweinfurter Abstecher) und Jörg Widmanns „Freie Stücke“ für großes Ensemble.
Widmann bleibt der Staatsphilharmonie ein weiteres Jahr als Residenzkomponist erhalten, Portraitkünstlerin ist Barbara Hannigan. Die kanadische Sopranistin und Dirigentin, Jahrgang 1971, hat etliche zeitgenössische Werke uraufgeführt. Ihre Interpretationen sprühen nur so vor Vitalität. Sie wird mit Luigi Nono, Haydn, Berg und Bartók zu erleben sein und gehört zudem der Jury des Dirigenten-Wettbewerbs an, in der sich neben anderen auch Sir Neville Marriner und David Zinman (der mit dem Zürcher Tonhalleorchester einen hörenswerten Mahler-Zyklus vorgelegt hat) finden. Im Mai wird der „Mahler Competition“ zum fünften Male über die Bühne gehen, mehr als 500 Bewerbungen werden erwartet.
Dessen erste Auflage gewann ja Gustavo Dudamel, der längst beim L.A. Philharmonic angekommen ist und als Nachfolger von Sir Simon Rattle bei den Berliner Philharmonikern im Gespräch ist. Wie auch Kirill Petrenko, Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Dessen Assistentin ist Oksana Lyniv, die 2004 den Dritten Preis beim Gustav-Mahler-Dirigenten-Wettbewerb erhalten hatte. 2016 müssen die Kandidaten unter anderem Haydns „Trauer-Symphonie“ dirigieren, Anton Weberns Sechs Stücke und vier Sätze aus Mahlers Dritter, darunter das herzbewegende finale Adagio.
Die Dritte steht außerdem im April auf dem Programm. Gerhild Romberger übernimmt den Alt, neben den Damen des Chores der Bamberger Symphoniker ist die Bamberger Dommusik beteiligt, Jonathan Nott hat die Gesamtleitung inne. Man geht damit auch auf Tournee, gastiert in Essen (dann mit dem Philharmonischen Chor Essen) und, erstmals, in Monte Carlo. Ende Mai reist man nach Südamerika, macht in Brasilien, Argentinien und Chile Station mit Beethovens „Pastorale“, Mozarts Klarinettenkonzert (Solist: Günther Forstmaier) und George Gershwins Concerto in F. Weitere Tourneen führen die Symphoniker nach Oman – auch dies ein Novum – und nach Spanien sowie nach Ungarn und Österreich (in Graz steht Christoph Eschenbach am Pult).
Eine besondere Ehre ist das Benefizkonzert des Bundespräsidenten, das die Bamberger Symphoniker am Tag vor ihrem Jubiläum geben werden mit Smetana, Mozart und Mahlers Siebter Symphonie. Viel Sibelius wird 2015/2016 geboten, viel Henri Dutilleux. Der große, 2013 in Paris verstorbene Franzose hätte im Januar seinen Hundertsten feiern können. Weiters werden Bruckners Dritte, Fünfte, Achte und Neunte zu hören sein, Richard Wagners „Wesendonck-Lieder“, Robert Schumanns Violinkonzert, die Zweite, Dritte, Vierte, Sechste und Neunte von Beethoven, dessen Viertes Klavierkonzert und zum allerersten Male das Oratorium „Christus am Ölberge“. Das „encore!“-Projekt wird fortgesetzt, etwa mit Zugaben von David Matthews und Friedrich Cerha. Und der Strauß-Walzer „Künstlerleben“ fehlt ebenso wenig wie Richard Strauss‘ Orchestersuite „Schlagobers“ oder Henry Purcells vierstimmige Gambenfantasien.
Zweimal wird die Junge Deutsche Philharmonie, deren Patenschaft die Bamberger Symphoniker übernommen haben, in den Keilberth-Saal kommen. Am 26. September interpretiert das phänomenale Nachwuchsorchester Sofia Gubaidulinas Bratschenkonzert (Viola: Antoine Tamestit) und die Neunte von Anton Bruckner, am 3. März stehen unter anderem Jörg Widmanns „Armonica“ und Mendelssohn Bartholdys „Schottische“ Symphonie an. Es gibt reichlich Grund, sich auf die kommende Saison und ihre zahlreichen „Künstler-Leben“ zu freuen.
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