Unterwegs

Spannung, Spiel und Lebkuchen, GNM, NMN und Co.

Stippvisite Kultur in der Frankenmetropole Nürnberg

veröffentlicht am 09.03.2025 | Lesezeit: ca. 13 Min. | von Oliver Will

Die Kaiserburg Nürnberg

Die Kaiserburg Nürnberg, Foto © Uwe Niklas

Nürnberg im Winter. Der imposante Hauptbahnhof leitet die Besucher:innenströme unter Tage Richtung Innenstadt. Keine drei Gehminuten entfernt bietet die Tourist-Information, einschließlich Kulturservice im opulenten KunstKulturQuartier-Komplex, der Besucherschaft Informationspakete satt. Wer will, kann auch sofort diverse Eintrittskarten dort erwerben. Ob Tafelhalle, Kulturwerkstatt auf AEG, der Kulturladen Villa Leon, die Stadtbibliothek, der Festsaal im Künstlerhaus, das Orpheum, der Katharinensaal – die Liste potenzieller Veranstaltungsorte ist unerschöpflich. Die Symphoniker bieten Kammermusik im Deutschen Museum. Das Staatstheater lädt zum traditionellen Literaturkanon: „MacBeth“, „Romeo und Julia“, „Don Quichote“, „Die Dreigroschenoper“ und inszeniert „The legend of Georgia McBride“ oder „Jahre mit Martha“. Getanzt wird Strawinsky, choreographiert von Goecke und Montero. Wer alternative Ästhetiken sucht, wird in der Tafelhalle oder in einem der zahlreichen freien Theater fündig. Zum Beispiel im Salz+Pfeffer, im Theater Mummpitz, im Theater rote Bühne oder im Theater Pfütze. Die freie Szene der Darstellenden Künste ist hier gut organisiert und macht über ihre Seiten die Programme zentral zugänglich. Diese Tage allerdings mit Lücken im Kalender. Der renommierte Liveclub Hirsch bietet Blues mit Henrik Freischlader. Im wunderbaren Löwensaal ist leider kein Angebot aktuell. Ein Wiederkommen am 22. Januar dürfte sich lohnen. Dann steht dort Lafee auf der Bühne. Kabarett gibt es regelmäßig im Kulturkeller.

Ich entscheide mich zunächst für einen Rundgang durch die Innenstadt. Einmal quer durch die Einkaufsstadt, an der beeindruckenden Lorenzkirche vorbei, über diverse Brücken idyllisch den Fluss entlang bis zum stark belebten Hauptmarkt. Vorbei am Rathaus bergauf Richtung Burg. Zufällig erreiche ich das Haus des Spiels. Es beherbergt das Deutsche Spielearchiv Nürnberg mit einer einzigartigen Sammlung von über 40.000 Gesellschaftsspielen aus fünf Jahrhunderten und lädt neben seinen dokumentarischen Aufgaben an regelmäßigen Spielenachmittagen zum gemeinsamen Spiel. Seit dem Mittelalter ist Nürnberg schon Spielzeugstadt. In den kleinen Gassen der Nürnberger Altstadt und in fast allen Stadtteilen gab es Spielzeugfirmen: Hunderte! In Nürnberg wurden Holzspielzeug, Zinnfiguren, Puppenküchen, Kaufläden und insbesondere Blechspielsachen hergestellt. Heute ist in Nürnberg der Sitz der weltweit größten Internationalen Spielwarenmesse. Das Haus für das Kulturgut Spiel befindet sich also genau am richtigen Ort. Ist Geheimtipp vielleicht, in jedem Fall ein Überraschungsei mit Spannung, Spiel und „Lebkuchen“. Ein wunderbarer Zufallsfund mit Seltenheitswert auf dem Weg vom Innenstadtkern zur Festung. Und nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls in Nürnberg ansässigen Spielzeugmuseum.

Voller Eindrücke der Spielzeugstadt Nürnberg besuche ich im Anschluss an das Archiv die Nürnberger Kaiserburg. Das Wahrzeichen der Stadt ist ein herausragendes Beispiel für mittelalterliche Architektur. Durch ihre Lage am Berg bietet sie eine beeindruckende Aussicht auf die Altstadt und weit darüber hinaus. Wer möchte, überblickt sie vom Bergfried aus von einem der höchsten Punkte der Metropole. Die Nürnberger Burg gehört zu den ältesten Kaiserpfalzen des Heiligen Römischen Reiches und diente im Mittelalter als Residenz deutscher Kaiser. Fans von Prunk und Glanz besichtigen den Kaiserpalast und den Palas, den ehemaligen Wohnbereich. Das touristische Ziel bietet den Besucherinnen und Besuchern Einblicke in das mittelalterliche Leben. Neben Kunstwerken sind Waffen und Rüstungen dort zu sehen. Im Burgmuseum wird die Geschichte der Burg präsentiert. In den Kaiserstallungen befindet sich heute eine der vielleicht spannendsten Jugendherbergen des Landes. Keine fünf Minuten Fußmarsch sind es von dort zum ehemaligen Wohnhaus des wohl bekanntesten Künstlers der Stadt: Albrecht Dürer. Heute ist darin ein Museum eingerichtet, das Leben und Werk des Renaissance-Malers würdigt. Die Dauerausstellung zeigt eine Rekonstruktion der Werkstatt Dürers, in der er seine weltberühmten Kupferstiche, Holzschnitte und Gemälde schuf. Ebenso werden zahlreiche Nachbildungen seiner Werke gezeigt. Nachempfundene Wohnräume und eine historische Druckerpresse vervollständigen die Liste der Ausstattung. Sonderausstellungen ergänzen das Angebot. Noch bis 9. Februar ist die Ausstellung „Original Dürer! Wer führt was im Schilde? Die Wappen sprechen mit Originalgrafiken Dürers“ zu sehen.

Mit bleibenden Eindrücken zum Mittelalter und zur Renaissance vertiefe ich die musealen Eindrücke im Germanischen Nationalmuseum. Seine umfangreiche Sammlung zur Kultur und Geschichte der Deutschen reicht von der Urgeschichte bis zur Gegenwart. Eine lange Zeitachse entlang findet sich eine Art „who is who“ gut sortierter Künste in der dauerhaften Ausstellung des Hauses. Es empfiehlt sich, entsprechend Zeit mitzubringen. Mein langjähriger Favorit ist das Gemälde „Venus mit Amor als Honigdieb“ von Lucas Cranach dem Älteren. Es zeigt die Göttin Venus mit ihrem Sohn Amor, der eine Bienenwabe gestohlen hat und von den Bienen gestochen wird. Die Szene zeigt den Schalk, der dem kleinen Jungen im Nacken sitzt, und die nachlässige Obhut, mit der Venus ihn Schabernack treiben lässt. Kein Wunder also, dass der kleine Bogenschütze nicht immer zielsicher ins Schwarze trifft. Noch bis zum 2. März ist die Sonderausstellung „Hello Nature“ im GNM zu sehen. Sie wirft einen ökologischen Blick auf die europäische Kulturgeschichte und bringt Vergangenheit und Gegenwart in einen Dialog. Sie beleuchtet aus verschiedensten Perspektiven die Beziehung zwischen Mensch und Natur und ihren Wandel. Noch bis 27. April präsentiert das Museum zudem die einzigartige und hochwertige Schweizer Zinnfiguren-Sammlung von Alfred R. Sulzer in der Ausstellung „Mikrowelten“ und unterstreicht mit einer außergewöhnlichen Facette den Status Nürnbergs als Spielzeugstadt. Die Schau zeigt ausgewählte Highlights aus der 145.000 Stück starken Sammlung, deren Objekte hauptsächlich zwischen 1750 und dem Ende des Ersten Weltkrieges in Nürnberg und Fürth als Kinderspielzeug gefertigt wurden.

Schon ist mein Kopf voller Geschichte und Geschichten sowie mit erstklassigen Eindrücken alter Kunst und vergangenen Lebens gefüllt. Höchste Zeit für einen Sprung zurück in die Gegenwart und höchste Zeit, Nürnbergs zeitgenössische Positionen der bildenden Kunst zu heben. Mit dem 3-Häuser-Ticket mache ich mich auf den Weg zum Kunsthaus, dem Ort für Fotografie und zeitgenössische Kunst im KunstKulturQuartier. Noch bis zum 2. Februar ist dort Gudrun Kemsa mit der Ausstellung „Floating Spaces“ zu sehen. Kemsa versteht ihre Fotografien und Videoinstallationen als eine ästhetische Erweiterung der alltäglichen Wahrnehmung und somit als eine Möglichkeit, Bekanntes neu zu entdecken. Sie überzeichnet urbane und natürliche Orte gleichermaßen, beinahe bis zur Abstraktion, und verändert ihre Zugänglichkeit und unsere Perspektive.
Die Dialogausstellung „Die wiedergefundenen Gärten – Verena Waffek / Hubertus Hess“ läuft parallel und noch bis 9. März in der Kunstvilla. Kunst in Nürnberg von 1900 bis heute hat sie sich auf die Fahnen geschrieben. Es ist eine sehr heterogene Ausstellung mit unterschiedlichen Werken. Künstlerin und Künstler konstruieren einen künstlichen Garten als Hommage an den verlorenen Garten, den die wunderschöne Villa einst hatte, der aber nicht rekonstruierbar ist.

Kaum fünf Gehminuten weiter besuche ich schließlich die Kunsthalle Nürnberg als das dritte Haus für Gegenwartskunst im Bunde. Sie versteht sich als Haus für internationale Gegenwartskunst und widmet sich einmal mehr einem sorgfältig ausgewählten Thema mit unterschiedlichen zeitgenössischen Positionen in einer vielschichtigen Sammelausstellung. Unter dem Titel „Delikatessen. Zwischen Kunst und Küche“ experimentiert die Kunsthalle mit verschiedenen Geschmackswelten und macht damit Analogien und Unterschiede von Kunst und Kochkunst auf sehr kurzweilige und Impuls gebende Weise deutlich. Noch bis zum 2. März ist die Ausstellung rund um das Essen in der Kunsthalle zu sehen. Unter anderem werden Positionen von Heike Kati Barath, Winfried Baumann, Boris Becker, Isabelle Enders, Lukas Pürmayer, Candida Höfer, Piero Manzoni, Claus Richter und Wolfgang Stehle gezeigt.

Es war ein langer, vielseitiger, wahrlich spannender und auch lehrreicher Tag, mit einem spontanen Pfad durch verschiedenste Epochen der Geschichte. Es war ein umfassender Kunstsnack, den ich in den drei Kunsthäusern zu mir nehmen konnte. Das alles verdaue ich in Nürnbergs formidabler Gastronomie, dem wunderbaren 1515 Rhinocerus Restaurant, einem Tempel für kulinarisch gern verwöhnte Seelen des guten Geschmackes und plane noch ein wenig mehr Kultur für den nächsten Tag.

Für den Vormittag habe ich mir noch einmal Geschichte verordnet. Der Besuch des Reichparteitagsgeländes ist in Nürnberg Pflichttermin. Ein Flaggschiff der Erinnerungskultur mit nationaler und internationaler Bedeutung. 1933 erklärte Adolf Hitler Nürnberg zur „Stadt der Reichsparteitage“. Und untermauert dies mit einer extra dafür geschaffenen baulichen Dimension der Extraklasse. Elf Quadratkilometer umfasste das riesige Areal mit monumentalen Bauten für die NS-Massenveranstaltungen. Heute noch sind es vier Quadratkilometer. Sie sind wichtiges Zeugnis für den Größenwahn des nationalsozialistischen Regimes. Während der bis voraussichtlich Ende 2025 dauernden Umbaumaßnahmen vermittelt eine Interimsausstellung ein umfassendes Bild der Geschichte des Areals sowie der Reichsparteitage. Auf dem Reichsparteitagsgelände informieren Tafeln über die Historie des jeweiligen Standortes. Zum Areal am Dutzendteich vor 1933, über Bauten und Inszenierungen für die nationalsozialistischen Reichsparteitage und über den Umgang mit dem Gelände nach 1945. Die bisherige Dauerausstellung ist aktuell geschlossen. Die Führung durch die Interimsausstellung ist informativ und sehr beeindruckend. „Nürnberg – Ort der Reichsparteitage. Inszenierung, Erlebnis und Gewalt“ bringt der Titel der Ausstellung die Inhalte auf den Punkt. Erzählt wird erstmals aus lokalgeschichtlicher Perspektive die Geschichte rund um das Reichsparteitagsgelände von 1918 bis heute. Die organisatorische und propagandistische Durchdringung der Events auf dem Areal wird wirkungsvoll vor Augen geführt und anhand verschiedener Objekte veranschaulicht. Auch die Lebensbedingungen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in Nürnberg und Umgebung während des Krieges werden erläutert. Die Themenbereiche der Ausstellung lauten: „Topografie im Wandel“, „1918-1933 | Chancen und Krisen – Nürnberg in der Weimarer Republik“, „1933-1939 | Die Reichsparteitage – Gemeinschaft und Ausgrenzung“, „1939-1945 | Das Gelände im Krieg – Gefangenschaft, Zwangsarbeit und Deportation“, „1945-2020 | Kein gewöhnlicher Ort – Vom Umgang mit dem Gelände“. Neben der persönlichen Führung stehen auch eine App und ein Audioguide zur Verfügung. Die Dimensionen des Areals sind so unglaublich erhaben, dass ich aus dem Staunen nicht mehr herauskomme. Die Begriffe Macht und Gewalt bekommen in diesem Lichte eine völlig neue Dimension. Die Verpflichtungen im Umgang mit diesem Erbe sind enorm. Die Potenziale allerdings ebenso. Der Besuch will verarbeitet werden. Die Kongresshalle, einst geplant für 50.000 Besucher:innen, soll zu einem neuen Kulturareal entwickelt werden. Das hat der Nürnberger Stadtrat 2021 beschlossen. Eine Spielstätte für das Staatstheater Nürnberg ist Thema. In vier der sechzehn Sektoren des Kongresshallen-Rundbaus sollen für knapp 300 Millionen Euro Ermöglichungsräume für Künstlerinnen und Künstler entstehen. Die Besonderheit einer Verschmelzung von Erinnerungskultur mit lebendigen Kunstsparten am gleichen Ort ist dabei ein Leitthema. Im Herbst 2023 haben die Baumaßnahmen an der Kongresshalle begonnen. Auf die Befreiung von Schadstoffen in Innenhof und Rundbau folgten Arbeiten zum Substanzerhalt und zur grundsätzlichen Nutzbarmachung des Bestandsbaus. Im Dezember 2024 begannen die Bauarbeiten am neu zu errichtenden Ergänzungsbau für die Spielstätte des Staatstheaters Nürnberg und die Kulturräume für Künstler:innen. Zur Spielzeit 2028/29 sollen die Sparten Musiktheater, Ballett und Konzert des Staatstheaters einziehen, während das Opernhaus am Richard-Wagner-Platz saniert und erweitert wird.

Letzte Station meines Besuchs an der Pegnitz, die so wunderbar durch den Altstadtkern mäandert, ist das Neue Museum Nürnberg – das staatliche Museum für Kunst und Design. 25 Jahre ist die Einrichtung nun alt und begeht sein Jubeljahr in alter Tradition zwischen der Präsentation von Sammlungsbeständen und dem Aufstellen herausragender Wechselausstellungen. Die einzigartige Architektur des Hauses tut ihr Übriges. Das Berliner Büro Staab Architekten hat hier zeitlose, museal dienliche und atmosphärisch nachhaltig spürbare Arbeit geleistet und trägt Teile der ausgestellten Kunst über die Schaufenster der Fassade kongenial in den Stadtraum hinein.

Kurze Wege und kurze Weile machten die 48-Stunden-Stippvisite zum freudigen Kulturbesuch in der Frankenmetropole. Die Vielfalt der Großstadt liegt auf der Hand. Der urbane Raum hier ist geschichtsträchtig. Nürnberg hat so seine Themen. Sie haben große Qualitäten, um Spannung und Staunen auszulösen und machen miteinander neugierig auf mehr. Die komplexe und vielschichtige Erinnerungskultur ist in großen Teilen hervorragend aufgearbeitet. Dies gilt bei weitem nicht nur für das Reichsparteitagsgelände, sondern beweist sich gleichermaßen an Mahnmalen und in den geschichtlichen Museen der Stadt. Die maßgebliche Rolle der Stadt in dunklen Zeiten der deutschen Geschichte ist auch architektonisch in die Stadt hineingeschrieben. Entsprechend ausgedünnt ist das architektonische Erbe, mit sichtbar großen Schäden aus den Kriegsjahren, die nicht überall ideal repariert wurden. Im Innenstadtkern der Stadt findet sich jede Menge Geschichte und eine imposante Anzahl interessant kuratierter Ausstellungen mit Kunstwerken aller Epochen. Und mit adäquatem Gewicht des Zeitgenössischen, das im Dreiklang der Kunsthäuser erklingt. Hier sind an allen Ecken Kulturprofis am Werk. Und das ist und macht sichtbar. Nürnberg ist daher weit mehr als ein Ort für gelungene Stippvisiten, nämlich ein Ort des Kulturbesuchs zu allen Jahreszeiten und für Wiederholungstäter. Auch und gerade wenn uns beispielsweise die architektonisch umwerfende Meistersingerhalle, das Bardentreffen, das Klassik-Open-Air oder die Blaue Nacht zum Kulturgenuss besonderer Güte laden.

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