Puschkin geistert auf der Bühne herum
Das Staatstheater Nürnberg präsentiert eine ideenreiche Inszenierung von Peter Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“
veröffentlicht am 17.12.2024 | Lesezeit: ca. 4 Min. | von Martin Köhl

Das Staatstheater Nürnberg präsentiert die Oper „Eugen Onegin“, Foto © Staatstheater Nürnberg, Bettina Stoess
Die Unzufriedenheit von Autoren und Autorinnen über die Weiterverwendung ihrer Texte ist altbekannt. Heutzutage betrifft das vor allem die Cinematographie, aber schon lange auch die darstellenden Künste. Theaterfassungen von Erzählungen oder gar von Romanen sind sehr en vogue, nicht immer zur vollen Zufriedenheit der Verfasserinnen und Verfasser der Originale. Das schwierige Verhältnis zu dieser Weiterverwendung hat am Staatstheater Nürnberg zu einer originellen Idee für die Neuinszenierung der Oper „Eugen Onegin“ von Peter Tschaikowsky geführt.
Der berühmte Autor, also Alexander Sergejewitsch Puschkin, ist während der Aufführung fast ständig präsent und kommentiert das Geschehen unablässig durch Mimik, Gestik oder Bewegung. Gleich zu Beginn scheint er sich vom eigenen Werk zu distanzieren, wenn er bei den Worten „Er ist ein Dichter“ von der Bühne flieht. Ansonsten ist Puschkin chronisch präsent, blättert nachprüfend in seiner Ausgabe des „Onegin“, nimmt Unterstreichungen vor, reißt Blätter heraus, zerknüllt sie und wirft sie weg.
In Tatjanas Schlafzimmer spielt er den stillen – aber durchaus nicht voyeuristischen – Beobachter und trägt fortan einen Birkenast als Symbol seiner Präsenz mit sich herum. Als es um das Begehren geht, dreht er vor lauter Freude Pirouetten, streift später per Video durch den Wald, findet dort Nachrichten in einer Zeitung, wirft sich gar ein Bärenfell über und wird auch noch zum Hundedompteur.
Sehr unmittelbar wird er Teil des Geschehens, wenn Tatjana ihm nach der großen Onegin-Szene die Blumen ins Gesicht wirft und das Birkenteil ins Gebüsch befördert – deutlicher geht's nicht. Hätte er sich nicht etwas anderes ausdenken können, soll das wohl heißen. Beim Duell, das in weißer Winterlandschaft absolviert wird, mutiert Puschkin zum zweiten Sekundanten.
Puschkins „Eugen Onegin“, diese Parabel auf die Ungleichzeitigkeit der Liebe mit kafkaesken Zügen, braucht in der musikdramatischen Fassung Tschaikowskys starke und die Emotionen glaubhaft vermittelnde Stimmen. Nürnberg hatte solche bei den Männern schon immer (Samuel Hasselborn als Onegin und Sergei Nikolaev als Lensky beweisen das nachdrücklich). Diesmal allerdings ging das besondere Erschütterungspotenzial von zwei Frauen aus.
Almerija Delic, die erst kürzlich als Ines de Ramirez in „Märchen im Grand Hotel“ zu begeistern wusste, hinterlässt als Filipjewna tiefe Beeindruckung, wenn sie mit ihrer auch in der Tiefe voluminösen Stimme den Dialog über die Liebe mit den Worten beginnt: „Verliebt? - das hätte Ärger gegeben“. Tetiana Miyus (als Tatjana) antwortet mit leidenschaftlichem Kolorit und lässt ihren von einem dezenten Vibrato bekrönten Sopran glänzen. Stefanie Schäfer (Larina) und Corinna Scheurle (Olga) stehen dem in keiner Weise nach. Die ausgezeichnete vokale Besetzung (Chor: Tarmo Vaask) wird von einem die Staatsphilharmonie stilsicher dirigierenden Jan Croonenbroeck sekundiert.
Die Inszenierung von Armin Petras (Bühne: Julian Marbach, Kostüme: Patricia Talacko, Dramaturgie und Programmtext: Georg Holzer) lebt nicht nur von dem herumgeisternden Puschkin, sondern ebenso von einer Maßnahme, die nach der Pause evident wird. Ging es zuvor historisierend zu, so fühlt man sich nun in die Jelzin-Zeit versetzt. Und das war bekanntlich die Glanzzeit der Oligarchen. Tatjanas Mann, der Fürst Gremin, scheint auch so ein Profiteur zu sein und wird von Nicolai Karnolsky trefflich als schmieriger Typ charakterisiert.
Diese Inszenierung der Nürnberger Staatsoper versagt sich schlaubergerisches Regisseurstheater, erzählt die Geschichte vielmehr stringent und mit nachvollziehbaren Ideen gespickt. Dafür war die Quittung seitens des Publikums eindeutig: einhellige Begeisterung.