Hintergrund

Das Theater als poetischer Raum

Im Gespräch mit John von Düffel, neuer Intendant des E.T.A. Hoffmann Theaters in Bamberg

veröffentlicht am 07.04.2025 | Lesezeit: ca. 11 Min. | von Oliver Will

Unser Interviewpartner: John von Düffel, Intendant am E.T.A. Hoffmann Theater Bamberg

Unser Interviewpartner: John von Düffel, Intendant am E.T.A. Hoffmann Theater Bamberg, Foto © privat, Katja von Düffel

John von Düffel, studierter Philosoph und Volkswirt, Autor, Dramaturg und ganz offensichtlich vor allem Mensch. Unter anderem Schauspieldramaturg am Thalia Theater Hamburg (2000 bis 2009) und Dramaturg am Deutschen Theater Berlin (2009 bis 2024). Seit 2009 Professor für Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. Ab der kommenden Spielzeit 2025/26 als Intendant des E.T.A. Hoffmann Theaters in Bamberg tätig.

In der Art.5|III-Anamnese spricht er über seine Verbindung zu Bamberg, seine Motivation zur Intendanz, seine zahlreichen Lese-Stippvisiten und die damit verbundenen Begegnungen und Erfahrungen sowie – Überraschung – über Theater, Theater und noch einmal Theater. Über dessen Kraft des kollektiven Erfahrens, dessen elementare, kommunikative Potenziale, die empathiebegabten Begegnungsräume dieses Genres und über das Theater als politischen, aber vor allem als poetischen Raum.


John von Düffel und Bamberg – diese Verbindung beginnt nicht erst mit der Übernahme der Intendanz am E.T.A. Hoffmann Theater ab der kommenden Spielzeit. Sie währt länger, richtig?

Genau genommen beginnt sie mit der Poetik-Professur in Bamberg, zu der mich Prof. Dr. Friedhelm Marx 2008 eingeladen hatte. Im Zuge dessen hatte ich eine sehr schöne Begegnung mit Bamberg als Stadt der Bildung – durch die Uni sowie durch die Vorträge und Lesungen, die ich dort gehalten habe. Gleichzeitig habe ich die Stadt und die Landschaft kennengelernt. Beides verschmilzt in Bamberg auf wunderbare Weise, etwa im Hain und vor allem im Hainbad. Insofern ist für mich eine vielschichtige Beziehung entstanden, insbesondere auch durch zahlreiche junge Autor:innen, die ich mit ausgebildet habe und die ebenfalls in Bamberg waren. So hat sich mir Bamberg als Stadt der Bildung und naturnahe Stadt, aber zunehmend auch als theatralischer Raum erschlossen.

Seit einigen Monaten lesen Sie immer wieder punktuell in der Region aus Ihren eigenen Texten. Welche Erfahrungen machen Sie dabei? Welchen Eindruck haben Sie vom Publikum gewonnen?

Wenn ich lese, betrachte ich das als eine Art literarische Visitenkarte. Das, was ich geschrieben habe, ist ja logischerweise ein Teil von mir. Das macht mich in gewissem Maße aus. Und insofern habe ich natürlich durch meine Bücher immer die Möglichkeit, mich durch meine Texte vorzustellen – nicht nur durch das, was ich sage. Gleichzeitig sind diese Lesungen immer Dialoge. Literatur steht per se im Dialog. Ich komme nicht nur, lese und gehe wieder, sondern erlebe das Bamberger Publikum als eines mit großer Dialogbereitschaft und starkem Interesse. Die Gespräche nach der Lesung sind sehr lebhaft. Ich muss sagen: Momentan begegne ich einer sehr starken Vorfreude, die noch weiter steigt.

Was hat Sie dazu bewogen, die Intendanz am E.T.A. Hoffmann Theater zu übernehmen, und was ist für Sie die größte Herausforderung dabei?

Nach vielen Jahren als Dramaturg in relativ luxuriösen Verhältnissen hat mich gereizt, noch einmal selbst Verantwortung für die Gestaltung zu übernehmen. Ich will das formieren, was mir am Theater wichtig ist, und es programmatisch umsetzen. Nicht als Karriereanfang, sondern als Karriereernte: Das aufbauen, was für mich Theater unentbehrlich macht. Theater ist ein elementarer Bestandteil des Kulturlebens. Es braucht sein Publikum und das Gefühl, in der richtigen Stadt zu sein, damit eine programmatische Vision Resonanz findet. Entsprechend wichtig ist die Verbundenheit mit dem Publikum. Wenn ich in eine Stadt komme, sehe ich mir die Gesichter an und frage mich: Sind das Menschen, die ich im Theater sehen würde? Für die ich Theater machen kann? Menschen, von denen ich glaube, dass sie etwas zu erzählen haben oder denen ich etwas erzählen kann? In Bamberg konnte ich das in einem Umfang bejahen, sodass ich denke: Das ist der richtige Ort dafür.

Welche Rolle messen Sie der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Künstler:innen bei?

Eine sehr große. Wenn man sich die Gesamtlage des Kulturlebens anschaut, erkennt man, dass die vielbeschworene Zeitenwende auch eine Zeitenwende für die Kultur bedeutet – und zwar nicht zum Besseren. Daher ist es essenziell, zu kooperieren und zusammenzustehen. Kultur muss keine Konkurrenz sein, sondern kann im besten Fall gemeinschaftlich wachsen. Man mag irgendwann satt sein, aber man ist nie erfahren genug, nie klug genug, nie reich genug an den Bildern, Eindrücken und Erlebnissen, die man im Theater, in Museen, im Literaturbereich und anderen kulturellen Veranstaltungen sammeln kann. Kultur gehört zum Selbstverständnis des Menschen, sie ist ein Freiheits- und Erfahrungsraum. Sie ermöglicht Reflexion, für die es sonst oft wenig Gelegenheiten gibt. Kultur ist notwendig und unentbehrlich. Das versuchen alle Kulturinstitutionen unter Beweis zu stellen – und das macht man am besten gemeinsam.

Wie sollte sich das Theater angesichts der aktuellen, krisengeplagten Zeit gesellschaftlich verorten?

Nachdem die jüngsten Krisen so gewaltig sind und deutlich ungeheuerlicher, als man sich das vor einigen Jahren noch vorgestellt hätte, sind ihre Auswirkungen auch so deutlich sichtbar. Sie haben stark zur Polarisierung und Lagerbildung beigetragen. Was offensichtlich immer schwieriger geworden ist, ist eine echte Form von Austausch. Ein echter Dialog. Schnell wird man bei einem Thema schon nach drei Sätzen in eine Schublade gesteckt. Und es gibt ganz starre Positionskämpfe, wo sich nicht viel bewegt. Das führt aus meiner Sicht zu einer schrecklichen Paralyse und auch zu einem furchtbaren Aneinander-Vorbeireden. Und genau da liegt eine große Chance von Theater. Denn darin geht es nicht um das Wiederholen politischer Argumente, sondern das Potenzial des Theaters ist es ja, einen poetischen Raum aufzumachen. Nicht primär politisch. Nicht primär argumentativ. Sondern einen emotionalen Raum, der einem nicht die Gelegenheit gibt, die Geschichten so zu erzählen, dass man am Ende am besten dasteht oder dass die anderen plötzlich der Feind sind, sondern die Geschichten so zu erzählen, dass man sich versteht.

Wir reden heute viel von Narrativen und davon, welches Narrativ übernommen wird und welches Recht behält. Erstaunlicherweise hat diese manipulative Art und Weise des Erzählens ganz stark übernommen. Und ich finde, jedes politische Narrativ ist ein Missbrauch einer Geschichte. Denn Geschichten sind eben nicht dazu da, Täter und Opfer zu brandmarken und vielleicht auch noch umzukehren. Geschichten sind erst einmal da, um Erfahrungsräume aufzuschließen. Und Erfahrungen, das ist eben das Großartige am Theater, gemeinsam zu machen, ohne dass man dabei gleich immer dasselbe empfinden oder denken muss. Es sind immer sehr differenzierte Echos, die man erhält. Aber wo kann man eine gemeinsame Erfahrung machen und sich anschließend darüber unterhalten, ohne dass man immer in dieselben Reproduktionen von Argumentationsmustern gerät? Ich finde da kommt dem Theater als poetischen Raum, als Schutzraum, eine große Bedeutung zu. Dafür, dass man miteinander Erfahrungen macht: mit einem Stoff, einer Geschichte, die von einem Erkenntnisinteresse geleitet ist. Und dass man darüber ins Gespräch kommen kann, auch mit Fremden. Und erkennen kann, dass Meinung nicht immer gleichzeitig bedeutet: Ich habe Recht, ich habe Recht, ich habe Recht.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten für eine Woche mit einer berühmten Theaterleitung aus der Geschichte zusammenarbeiten. Wer wäre das?

Die Antwort ist in diesem Fall ganz leicht, weil ich mich am liebsten mit ETA. Hoffmann treffen würde. Das ist klar, denn das ist ja auch ein großer Reiz, dass das Bamberger Theater einen Autor als Namenspaten hat. Und das sehr zurecht. Gleichzeitig hatte E.T.A. Hoffmann in Bamberg, ich sage es mal ganz vorsichtig, eine gemischt glückliche Zeit gehabt. Und trotzdem war er ja der Stadt auf eine Art verbunden und man sieht ihn ja auch. Seine Sprache, seine Art zu schreiben, seine teilweise auch krude Art der Romantik, die sieht man ja in Bamberg, also ich sehe die, auch architektonisch verewigt. Und insofern wäre natürlich ein Gespräch mit E.T.A. Hoffmann über Bamberg mein Lieblingsgespräch, das ich suchen würde. Und das würde sich sicher sehr schnell um Theater und um Musik drehen.

Wenn Sie die Not oder Chance hätten, das Theater für ein Jahr zu schließen, aber dafür eine völlig neue, unkonventionelle Idee oder ein Experiment zu realisieren, was würden Sie tun und wie würde das die Zukunft des Theaters beeinflussen?

Also die Vorstellung, das Theater für ein Jahr zu schließen, verursacht Panik und Angst. Natürlich berühren Sie mit dieser Frage ein Trauma, nämlich das der Corona-Zeit. Das ist zwar jetzt nicht ganz die Antwort auf Ihre Frage, aber das, was einem sofort durch den Kopf geht. Dass wir eine solche Phase schon hatten, in der die Theater pandemiebedingt lange geschlossen waren. Für mich war das aus tausend Gründen und vor allen Dingen aufgrund des Verlusts an sozialer Kreativität und an sozialem Austausch schwer erträglich. Und zwar nicht in dem Sinne, dass man sich nur trifft, sondern vor allen Dingen auch, dass man einander etwas zu erzählen hat und sich über Erfahrungen austauscht. Also, das war für mich schon eine traumatische Zeit. Ich glaube, wir haben alle noch nicht ganz bemessen, was die Theaterschließungen, genauso wie die Schulschließungen, gesellschaftlich an Kollateralschäden verursacht haben.

Um Ihre Frage zu beantworten – und jetzt verstehe ich Ihren Gedankengang nicht so, dass kein Theater mehr stattfindet, sondern ein Jahr die Immobilie Theater nicht zu bespielen –, dann würde ich sagen, ist das noch nicht das Ende des Theaters, sondern vielleicht auch eine große Chance. Weil man darf sich nicht täuschen: Die Architektur eines Hauses, der Geist eines Hauses hat sehr viel mit dem zu tun, wie man ein Theater erlebt. Aber das Medium des Theaters ist nicht die Immobilie. Das Medium des Theaters ist das Ensemble. Durch die Schauspieler entsteht das Leben im Theater. Durch das Ensemble wird ein Inhalt Fleisch. Und so gesehen ist es natürlich sehr denkbar, Theater auf andere Weise in die Stadt zu tragen und die ganze Stadt zum theatralen Raum zu machen. Das ist kein neuer Gedanke. Theater ist weniger eine Frage der Architektur als eine der sozialen Verabredung. In dem Sinne, als da auf der einen Seite zwei, drei Leute stehen und etwas spielen und auf der anderen Seite zwei, drei Leute stehen und sehen zu. Deswegen ist Theater etwas ganz Elementares. Insofern wäre das Ende einer Immobilie nicht gleich das Ende des Theaters, sondern vielmehr das Wiederentdecken des Theaters in anderer Gestalt.

Die Aufgabe, die sie mit Ihrer Frage gestellt haben, wäre ja nicht den am wenigsten schlimmsten Theaterersatz zu produzieren, sondern es wäre ja eigentlich der Gedanke noch einmal neu zum Theaterpionier zu werden und eine Form des Theaters zu finden, die noch unmittelbarer oder noch begeisternder und kräftiger ist als das Theater im etablierten Raum. Dazu fehlt mir noch ein bisschen die Fantasie. Das hat aber auch mit dem Schockzustand zu tun, dass ich tatsächlich durch die Corona-Zeit traumatisiert bin; das möchte ich nicht unbedingt noch einmal erleben und daher tue ich mir da etwas schwer, auch wenn das so ein geflügeltes Wort war zu der Zeit, darin eine Chance zu sehen. Ich will es mal so sagen: Wenn es mir gelingt, das E.T.A. Hoffmann Theater für das Ensemble und aber auch für das Publikum so zu beleben, dass es keine Frage ist, dass dieses Theater sein muss. Wenn mir das gelingt, dann fehlt sicher auch nicht die Fantasie, erfolgreich darüber hinaus zu denken.

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