Farben, Fantasie und Verantwortung: Emil Nolde im Museum Würth 2
Kunstmäzen Reinhold Würth wird 90 Jahre alt und bereichert die Welt einmal mehr mit tollen Ausstellungen
veröffentlicht am 30.05.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Ludwig Märthesheimer

Emil Nolde, Zwei am Meeresstrand, 1903, Öl auf Leinwand, 73,5 x 88,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll, Foto © Nolde Stiftung Seebüll, Foto: Dirk Dunkelberg, Elke Walford
Von der Nordsee bis nach Deutsch-Neuguinea, von expressionistischen Farbexplosionen bis zur politischen Ambivalenz eines der berühmtesten deutschen Künstlers des 20. Jahrhunderts: Die Ausstellung „Emil Nolde – Welt und Heimat“ in Künzelsau ist nicht nur eine künstlerische Entdeckungsreise, sondern auch ein Fest der Kunstmäzenatentums anlässlich des 90. Geburtstags von Prof. Dr. h. c. mult. Reinhold Würth.
„Emil Nolde – Welt und Heimat“
Wenn das Museum Würth 2 in Künzelsau am 7. April 2025 die Ausstellung „Emil Nolde – Welt und Heimat“ eröffnet, dann ist das nicht nur eine monografische Hommage an einen der bedeutendsten Vertreter des deutschen Expressionismus, sondern auch ein bedeutendes Kapitel in der Geschichte der Würth’schen Kunstsammelleidenschaft. 90 Jahre wird der Unternehmer, Sammler und Kulturförderer Reinhold Würth in diesem Jahr alt – und für ihn beginnt alles mit einem Aquarell: 1972 erwirbt er im Tessin das Werk „Wolkenspiegelung in der Marsch“ von Emil Nolde. Ein intuitiver Kauf, der sich als Initialzündung für eine Sammlung erweist, die heute über 20.000 Werke umfasst.
Nolde, geboren 1867 als Emil Hansen im gleichnamigen Dorf Nolde nahe der deutsch-dänischen Grenze, ist eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren der Kunstgeschichte. Seine Bilder sind vibrierende Farbgewalten, oft mit einer symbolischen Tiefe, die bis an die Schwelle des Abstrakten reicht. Landschaften mit tiefliegendem Horizont, bedrohliche Wolkenformationen, üppige Blumenbilder wie „Großer Mohn (rot, rot, rot)“ von 1942 – das alles ist durchzogen von einer tiefen Emotionalität und einem fast mystischen Heimatbegriff.
Die Ausstellung „Welt und Heimat“, eine Kooperation mit der Nolde Stiftung Seebüll, bringt 146 Werke zusammen: Gemälde, Aquarelle, Grafiken sowie ethnografische Objekte, darunter auch 18 Arbeiten aus der Sammlung Würth. Im Zentrum steht das Spannungsfeld zwischen Heimatverbundenheit und Fernweh, zwischen regionaler Verankerung und globalem Blick. Nolde war nicht nur ein Mann des Nordens, sondern auch ein rastloser Reisender: 1913/14 begleitete er eine Expedition durch Russland, Asien und die damalige deutsche Kolonie Deutsch-Neuguinea. Die Eindrücke dieser Reisen fanden Eingang in eine einzigartige Bildwelt, in der europäischer Expressionismus und außereuropäische Inspirationen miteinander verschmelzen.
Dabei gelingt es der Ausstellung, auch die dunkleren Kapitel nicht auszublenden. Längst ist der Mythos des künstlerisch verfolgten Nolde durch die historische Forschung entlarvt. Seine frühe Nähe zur NS-Ideologie, sein Antisemitismus und seine ideologische Ambivalenz werden nicht verschwiegen. Vielmehr schafft die Schau einen kritischen und zugleich künstlerisch wertschätzenden Blick auf ein Gesamtwerk, das durch seine Vielschichtigkeit fasziniert und herausfordert.
„Leben und Wirken“
Die Präsentation im Museum Würth 2 ist überdies ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie privates Engagement öffentlichen Kulturgenuss ermöglichen kann. Reinhold Würth, der als Junior in den elterlichen Schraubengroßhandel eintrat und daraus ein Weltunternehmen mit über 88.000 Mitarbeitenden in 80 Ländern formte, verbindet wirtschaftliche Weitsicht mit einem bemerkenswerten kulturellen und sozialen Engagement. Unter dem Leitspruch „Ein aktives Leben“ widmet sich das Museum gleichzeitig in der Ausstellung „Leben und Wirken“ dem eigenen Jubiläum: 90 Jahre Reinhold Würth, 80 Jahre Würth-Gruppe.
Diese zweite Ausstellung, rund um das Atrium des Museums, führt in einem kaleidoskopartigen Parcours durch Firmengeschichte, Pioniergeist und gesellschaftliche Verantwortung. Archivmaterial, interaktive Stationen und historische Objekte zeugen vom Weg eines Mannes, der Unternehmertum stets als gesellschaftlichen Auftrag verstanden hat – ob in der Förderung von Musik, Kunst oder Bildung.
Die Verbindung beider Ausstellungen – Nolde und Würth – ist mehr als eine Koinzidenz. Sie erzählt vom Dialog zwischen Kunst und Leben, zwischen Vision und Realität. Nolde, der Suchende, der sich selbst in Farben ausdrückt; Würth, der Ermöglicher, der diesen Ausdruck für eine breite Öffentlichkeit erfahrbar macht. Es ist ein Dialog, der auch Fragen stellt: nach Verantwortung, nach Erinnerung, nach kulturellem Erbe.
So bietet „Emil Nolde – Welt und Heimat“ nicht nur einen kunsthistorischen Zugang zu einem komplexen Werk, sondern auch ein Beispiel dafür, wie Ausstellungsmachen im 21. Jahrhundert gelingen kann: mit ästhetischer Strahlkraft, historischer Tiefenschärfe und gesellschaftlicher Relevanz. Das Museum Würth 2 zeigt sich hier einmal mehr als kultureller Leuchtturm jenseits der urbanen Zentren, als Ort der Kontemplation und des kritischen Denkens.
Die Ausstellung „Emil Nolde – Welt und Heimat“ ist noch bis zum 28. September 2025 im Museum Würth 2 in Künzelsau zu sehen. Die Ausstellung „Leben und Wirken“ bis Februar 2026. Mehr Informationen zu beiden Ausstellungen finden Interessierte unter www.kunstkultur.wuerth.com.