„Literarische Verführung!“ (und Verlangen nach mehr)
Degen, Kinkel und Kastura lesen auf dem Michaelsberg
veröffentlicht am 09.06.2015 | Lesezeit: ca. 6 Min.
Von einem kulturellen Ganzfrühsommerloch kann in der Weltkulturerbe- und Domstadt Bamberg keine Rede gehen. Das zeigt, beispielsweise, der Blick auf diverse Veranstaltungen am kommenden Samstag, den 13. Juni. Beginnen wir zu einer humanen Uhrzeit, mithin um 11 Uhr. Man finde sich am Bussteig H des ZOB ein und steige in den SOB-Bus ein. Darunter zu verstehen ist das von Seiten der Stadtwerke gestellte musikalische Vehikel der Sommer Oper Bamberg, der Opernbus. Geboten wird eine kleine Vorschau auf die Jubiläumsausgabe des Europäischen Orchester- und Opernworkhops, der im Juli auf eine Dekade erfolgreiches Wirken zurückblicken kann.
Dies tut er mit dem bekannt-beliebten Singspiel „Die Zauberflöte“, und so steht zu erwarten, dass neben bereits angekündigten Operettenmelodien die Sopranistin Florentine Schumacher – sie wird die Papagena übernehmen – und Ludwig Obst (Bartion), der den Papageno machen darf, auch die ein oder andere Mozart-Arie anstimmen werden. Sie tun das im Bus, der mit einem Klavier ausgestattet ist, an welchem Beate Roux sitzen und einfühlsam begleiten wird. Zuhören kann man Roux, Obst und Schumacher auch an den einzelnen Haltepunkten.
Vorgesehen sind der Standstreifen am Rosengarten in der Geyerswörthstraße (11.06 bis 11.18 Uhr), das Café Rondo am Schönleinsplatz (11.25 bis 11.37 Uhr), weiters der Grüne Markt (Musik am Wörschtlwogn: 11.40 bis 11.52 Uhr), der Kaiserdom (12.01 bis 12.13 Uhr), das „Hofbräu“ in der Karolinenstraße (12.17 bis 12.29 Uhr) sowie, für die Schluss-Arie, der Zentrale Omnibus-Bahnhof (12.36 Uhr). Die Zeitangaben seien im Übrigen, heißt es, approximativ.
Alsdann gönne man sich eine Verschnaufpause, einen Tee oder einen Caffè nebst erfrischendem Sorbet, flaniere über die Plätze und durch die Altstadtgassen, poco a poco hinauf zum Michaelsberg. Dort, wo einstmals, im späten August 1810, E. T. A. Hoffmann und Jean Paul standen, um gemeinsam auf die Stadt herabzuschauen, hat sich für 18 Uhr nichts weniger als eine „Literarische Verführung!“ angekündigt. Es sind Tanja Kinkel, Karin Dengler-Schreiber (beziehungsweise deren Alias, Anne Degen, unter welchem die Heimatpflegerin und Historikerin – sie hat in Würzburg über die mittelalterlichen Handschriften des Klosters Michelsberg promoviert – Kriminalromane vorlegt) und Thomas Kastura, die sich dieser verbalen Bezirzung stellen wollen.
Degen-Dengler-Schreiber wird aus ihrem im vergangenen Jahr bei Emmons herausgekommenen Krimi „Bamberger Verrat“ vortragen, Kinkel liest die Sequenz um den Königsmord zu Bamberg aus „Das Spiel der Nachtigall“ (München: Droemer Knaur, 2011), entführt also in Zeit und Leben Walthers von der Vogelweide, Kastura („voraussichtlich“, wie er mitteilt) „eine Brandeisen & Küps-Geschichte aus meinem neuen Erzählungsband“, der da auf den Namen „Fünf Leichen zu viel“ hört und im April bei ars vivendi im mittelfränkischen Cadolzburg erschienen ist. Daneben wird das Trio preisgeben, inwiefern es dem Kloster St. Michael nahesteht. Die Lesungen sind Teil einer Erlebnisführung des Bamberger museumspädagogischen Vereins AGIL.
Wer danach noch ein Verlangen nach mehr verspüren und es rechtzeitig hinunter ins Große Haus des E.T.A.-Hoffmann-Theaters schaffen sollte, darf sich dort von 19.30 Uhr an – mit Iris Hochberger, Elena Weber, Florian Walter, Gerald Leiß und anderen – „Wie im Himmel“ fühlen. Heidemarie Gohde inszeniert, und die wunderbare Ingrid Kasper leitet den ebenso wunderbaren Chor ihrer Kantorei St. Stephan sowie den vortrefflichen musica-viva-chor. Als nahegelegene Alternative bietet sich Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ an, das (zum vorletzten Mal) von 20 Uhr an im Studio gegeben werden wird. Man muss allerdings auf Restkarten an der Abendkasse hoffen, da die Vorstellung bereits ausverkauft ist. Oder aber man verzichtet auf „Tschick“ und „Himmel“ – und auf die verführerische Michelsberg-Lesung – und kaufe sich ein Bayernticket, steige spätestens um 18.26 Uhr in den Regionalexpress und fahren gen Würzburg (Ankunft: 19.21 Uhr). Die Bamberger Symphoniker weilen nämlich zu einem Gastspiel beim Mozartfest, im Kaisersaal der Residenz. Am Pult steht Lahav Shani, also der Gewinner des Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerbs von 2013, Solist ist Renaud Capuçon.
Der aus dem schönen Chambéry gebürtige Franzose – er teilt sich den Geburtstag mit Mozart (und mit Emmanuel Pahud, einem der beiden Soloflötisten der Berliner Philharmoniker), was aber kaum der Grund dafür sein dürfte, dass man ihn in Würzburg heuer zum Artiste étoile gekürt hat – wird Mendelssohns enorm populäres e-Moll-Violinkonzert op. 64 ausdeuten und zuvor die „Elegy“ für Violine und Streichorchester, einem Auftragswerk des Mozartfestes aus der Feder des Japaners Toshio Hosokawa, dessen Werke in insgesamt fünf Konzerten zu erleben sind (am Samstag dann genauer: zu erleben waren). Den Auftakt macht die Ouvertüre zu „Le nozze di Figaro“ KV 492, am Ende wird Beethovens Siebte stehen, also eine der Barbara Bode, der Solo-Oboistin der Bayerischen Staatsphilharmonie, liebsten Symphonien. Warum das so ist, dürfte sich jedem wachen Konzertbesucher unmittelbar erschließen, selbst wenn statt Bode am Sonnabendabend Ivan Podyomov am ersten Oboenpult sitzen sollte.
(„Verlangen nach mehr“ ist eine homophonische Anspielung auf ein Gedicht des Österreichers Christoph Wihelm Aigner. Sein Titel lautet, gleichklingend, mithin „Verlangen nach Meer“. Es ist leicht auswendig zu lernen, sodass man es überall mit sich, und anderen, herumtragen kann: „Nachts bei etwas Glück / und Wärme / das Wasser eine Wiege“.)
Jürgen Gräßer
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Tanja Kinkel, Foto © FinPic
Thomas Kastura, Foto © Bamberg liest
Karin Dengler-Schreiber, Foto © Bamberg liest
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