Verhüllt, verschnürt, gestapelt – die Kunst der Transformation
Christo und Jeanne-Claude im Museum Würth
veröffentlicht am 14.04.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Ludwig Märthesheimer

L’Arc de Triomphe, Wrapped (Project for Paris) – Place de l’Etoile – Charles de Gaulle 2019 Collage : Bleistift, Wachskreise, Emailfarbe, Foto Wolfgang Volz, technische Zeichnungen, handgezeichnete Karte auf Pergament und Klebeband Sammlung Würth, Foto © Sammlung Würth / Wolfgang Volz
Das Museum Würth, das sich im Firmengebäude der Adolf Würth GmbH & Co.KG befindet, präsentiert eine der umfangreichsten Privatsammlungen der Werke des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude. Neben Collagen, Entwürfen und Modellen großer Projekte erlaubt die Schau einen tiefen Einblick in die radikale Unabhängigkeit, die Christo und Jeanne-Claude auszeichnete. Sie finanzierten all ihre monumentalen Installationen selbst, ohne öffentliche Gelder oder Sponsoren. Besonders spannend ist auch der Blick auf den Nachhaltigkeitsaspekt ihrer Arbeiten, der heute aktueller ist denn je.
Christo und Jeanne-Claude haben mit ihren spektakulären Installationen weltweit Aufsehen erregt. Sie verhüllten den Berliner Reichstag (1995), umhüllten Inseln in Florida mit pinkfarbenem Stoff („Surrounded Islands“, 1983) oder schufen schwimmende Wege auf dem Wasser des Iseosees in Italien („The Floating Piers“, 2016). Auch das Museum Würth selbst wurde, kurz vor der Verhüllung des Reichstages, von dem Künstlerehepaar „eingepackt“. Ihre Werke waren nie von Dauer – sie existierten nur für wenige Wochen, bevor sie vollständig rückgebaut wurden. Doch gerade in dieser Vergänglichkeit lag ihre Kraft: Für einen kurzen Moment verwandelten sie vertraute Orte und Landschaften in etwas völlig Neues und schufen so intensive, fast magische Erlebnisse für ihre Betrachter:innen.
Die Ausstellung im Museum Würth macht diese Faszination eindrucksvoll erfahrbar. Großformatige Skizzen und Collagen zeigen die immense Detailtiefe, mit der Christo und Jeanne-Claude jedes ihrer Projekte vorbereiteten. Sie dienten nicht nur als Kunstwerke, sondern auch als Arbeitsgrundlage und Finanzierungsquelle. Modelle der spektakulären Installationen lassen die monumentalen Dimensionen ihrer Werke greifbar werden.
Einer der bemerkenswertesten Aspekte der Arbeit von Christo und Jeanne-Claude ist ihre absolute künstlerische Unabhängigkeit. Sie lehnten jegliche öffentliche Förderung, private Sponsoren oder Mäzene ab und finanzierten ihre Projekte ausschließlich durch den Verkauf ihrer Entwürfe, Skizzen und Collagen. Damit schufen sie ein Modell, das in der Kunstwelt nahezu einzigartig ist.
Diese konsequente Haltung bedeutete, dass sie keinerlei inhaltlichen oder ästhetischen Kompromisse eingehen mussten. Sie bestimmten selbst, wie, wann und wo ihre Werke realisiert wurden. Die Ausstellung betont diesen Aspekt durch zahlreiche Dokumente und Archivmaterialien, die den Finanzierungsprozess der einzelnen Projekte nachzeichnen.
Ein Beispiel ist die Verhüllung des Reichstags in Berlin. Bereits in den 1970er Jahren begann Christo mit den ersten Planungen, doch erst 1995 konnte das Vorhaben realisiert werden – nach fast 25 Jahren intensiver Verhandlungen und Planungsarbeit. Die gesamte Finanzierung erfolgte durch den Verkauf von Skizzen und Modellen, ohne einen Cent staatlicher Gelder. Das Resultat war eines der eindrucksvollsten Kunstereignisse des 20. Jahrhunderts, das Millionen Menschen in seinen Bann zog.
Neben ihrer Unabhängigkeit war auch ihr Umgang mit Materialien und Umwelt ein wesentlicher Bestandteil ihres Schaffens. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein immer stärker in den Fokus rücken, erscheinen Christos und Jeanne-Claudes Projekte fast visionär. Jede ihrer temporären Installationen wurde nach Ablauf der Ausstellung vollständig zurückgebaut. Dabei achteten sie penibel darauf, dass keinerlei Rückstände in der Umwelt blieben. Die verwendeten Stoffe und Materialien wurden recycelt oder weiterverwendet. Nach der „Reichstagsverhüllung“ wurde der Stoff in kleine Stücke zerschnitten und verkauft, um einen Teil der Finanzierung wieder hereinzuholen. Bei den „Floating Piers“ wurde das gesamte Material nach dem Abbau recycelt und erneut in der Industrie verwendet.
Die Ausstellung im Museum Würth dokumentiert diesen nachhaltigen Ansatz ausführlich. Fotografien, Dokumentationen und Interviews zeigen, wie akribisch Christo und Jeanne-Claude darauf achteten, dass ihre Werke keine negativen ökologischen Spuren hinterließen. Ihr Konzept von Vergänglichkeit war somit nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein ökologisches Prinzip.
„Verhüllt, verschnürt, gestapelt“ im Museum Würth ist weit mehr als eine klassische Retrospektive. Die Ausstellung zeigt nicht nur die spektakulären Werke von Christo und Jeanne-Claude, sondern auch die Prinzipien, die hinter ihrer Kunst standen: Unabhängigkeit, Freiheit und Nachhaltigkeit.
Ein Besuch dieser Ausstellung lohnt sich für alle, die Kunst nicht nur als fertiges Werk betrachten, sondern als einen Prozess voller Vision, Beharrlichkeit und Verantwortung. In einer Zeit, in der öffentliche Kunstförderung oft unter Druck steht und Nachhaltigkeit ein immer wichtigeres Thema wird, ist diese Ausstellung aktueller denn je. Christo und Jeanne-Claude haben gezeigt, dass Kunst die Welt verändern kann – wenn auch nur für einen kurzen, aber umso intensiveren Moment.