Triumph einer Sängerin in der „heiteren Mythologie“
Die Bayerische Staatsoper in München bringt die posthume Oper „Die Liebe der Danae“ von Richard Strauss in einer brillanten Inszenierung von Claus Guth auf die Bühne
veröffentlicht am 10.02.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Martin Köhl

„Die Liebe der Danae“ am Bayerischen Staatstheater (Premiere: 7. Februar 2025), Foto © Geoffroy Schied
Es gehört zur romantischen Trickkiste, potenzielle Bewerber ein wenig schmoren zu lassen durch den Aufbau schier unüberwindlich scheinender Hürden. Mal sind es Rätsel wie bei Turandot, mal gilt es einen Feuerring zu durchbrechen wie bei Brünnhilde. Wer zur antiken Danae, der Tochter des Königs von Argos, durchdringen will, braucht viel Gold. Und so wimmelt es nur so von diesem Edelmetall in der Inszenierung von Richard Strauss' vorletzter Oper „Die Liebe der Danae“, die Claus Guth jetzt an der Münchner Staatsoper realisiert hat.
Es war auch höchste Zeit, dass dieses lange vergessene Werk seine Rehabilitation erfuhr, denn es ist ein altersweises und -mildes Meisterstück, dessen Uraufführung 1951 Strauss selbst nicht mehr erleben durfte. Eine „heitere Mythologie“ will diese Oper sein, und das will was heißen bei einem Komponisten, der altphilologisch beschlagen war wie kaum ein anderer. Und der deshalb auch virtuos mit den antiken Geschichten umzugehen verstand. Da mutiert Danae, die Tochter des Akrisios, zum Abkömmling von Pollux, der seinerseits aber ohne seinen treuen Dioskurenbruder Castor auskommen muss.
Schlimmer noch scheint es in der Münchner Inszenierung zuzugehen, denn dort räkelt sich dieser lykische König als Donald Trump auf dem Sofa und wehrt sich gegen den Vorwurf seiner Sippschaft, er sei ein Schwindelkönig und habe alles Geld verprasst sowie die Wertsachen verpfändet. Diese eigentlich ziemlich widerwärtige Aktualisierung passt allerdings perfekt in die antike Sage, laut derer Zeus es nur durch seine Verwandlung in einen Goldregen gelang, zur begehrten Danae vorzudringen. Folglich regiert auch in dieser Inszenierung Geld die Welt. Oder genauer: Gold.
Nach einem Photoshooting landet die Titelfigur in der Welt der Hochfinanz und stellt die passenden Bedingungen: Wer sie haben will, muss viel Gold mitbringen. Reihenweise werden die Freier abgelehnt, die an dieser Bedingung scheitern. Alle Hoffnungen richten sich deshalb auf den sagenhaften Reichtum von König Midas, der bald mit seinem goldenen Schiff vorbeikommen soll. Der scheint zunächst einen Boten vorbeizuschicken, doch in Wirklichkeit ist das alles von Zeus alias Jupiter eingefädelt. Er selbst will ja an Danae herankommen und vertraut auf ihre Goldgier.
Midas selbst ist der Bote und an die Zusage des Götterchefs gebunden, alles in Gold verwandeln zu können, wenn er ihm Folge leiste. Doch die Liebe zu Danae kommt dazwischen und beruht bald auf Gegenseitigkeit. Allein, als es zu einer ersten Berührung kommt, lässt Jupiter sie erstarren und stellt Danae vor die Entscheidung zwischen einem reichen Leben mit ihm und einem Leben in Armut mit Midas. Strauss kommentiert das musikalisch mit einer brachialen Klangexplosion, wie man sie zuvor wohl noch nie in einem Opernhaus gehört hat.
Danae hat inzwischen spitz gekriegt, dass alles Gold ohne Jupiters Zauber nur „lebloses Metall“ ist, also eher ein Fluch. Der Göttervater gibt noch nicht auf und spielt ein wenig den mephistophelischen Arrangeur, doch Midas ist kein Faust, mit dem man Pakte schließen kann. Auch ein weiterer Götterberater mischt sich ein, nämlich Merkur, der in seiner schmierigen Art an Wagners Loge aus der Tetralogie erinnert und berichtet, die von Jupiter verschmähten Ex-Gespielinnen Leda, Semele, Alkmene und Europa spionierten ihm hinterher und versuchten, ihn zurückzuerobern.
Wenn es im dritten Akt in die trostlose Heimat des Midas geht, wird die Inszenierung wieder politisch aktuell, denn nun rauchen im Hintergrund Ruinen und die Bewohnerschaft rüstet sich zur Flucht. Lykien wird zu Afghanistan, wahlweise auch zu Syrien oder Gaza. Jupiter schreitet im Burnus und mit einem Wotanspeer ausgerüstet durch das Prekariat und scheint sich ein letztes Mal gegen seine Niederlage aufzubäumen, doch er muss einsehen, dass jetzt Götterdämmerung fällig und das Bekenntnis zur Menschwerdung angesagt ist.
Zum Schluss wagt Claus Guth eine Reverenz an den Komponisten, die sehr persönlich wirkt und an die Entstehungszeit kurz nach dem Weltkrieg erinnert: Richard Strauss wandelt gedankenversunken durch den Park seiner Garmischer Villa, während im Hintergrund München in Trümmern liegt. Das ist durchaus berührend und verstärkt den Schmerz darüber, dass der Komponist dieses großartige Werk nie hat sehen können.
Dem bei der Premiere im Nationaltheater begeisterten Publikum wäre freilich dieses Erlebnis ebenfalls verwehrt gewesen, denn der gefürchtete theatrale Super-Gau war tags zuvor eingetreten: mit Malin Byström war die Protagonistin ausgefallen. Dass es der Staatsoper gelang, mit Manuela Uhl die zurzeit wohl einzige Kennerin der Danae-Partie innerhalb von 24 Stunden aus dem hohen Norden nach München zu bringen, sie mit der Inszenierung notdürftig vertraut zu machen und sogar noch die Kleider anzupassen und Videos neu zu drehen, grenzt an ein Wunder.
Entscheidenden Anteil daran hatte Sebastian Weigle, der das Stück vor ca. 10 Jahren schon andernorts mit der Sopranistin gemacht hatte und auch die Münchner Aufführung so inspirierend leitete, dass für ihn Begeisterungsstürme fällig waren. Für Manuela Uhl, die nicht beiseite sang, sondern überzeugend mitspielte und die Partie perfekt bewältigte, wurde der Abend schlichtweg zu einem Triumph, weshalb beim Publikum pure Verneigung angesagt war.
Einmütige Zustimmung zur Inszenierung kassierte auch das Regieteam um Claus Guth mit dem Bühnenbildner Michael Levine und Ursula Kudma, die für das textile Gold zuständig war. Die sängerische Besetzung neben Manuela Uhl hatte bestes Staatsopernniveau, angefangen mit einem wandlungsreichen Christopher Maltman als Jupiter, einem geschmeidigen Ya-Chung Huang als Merkur, einem trefflich polternden Vincent Wolfsteiner als Pollux/Trump und gipfelnd in Andreas Schagers brillantem Midas. München hat mit dieser Regietat für Strauss ein großes Ausrufezeichen gesetzt.