Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum
Sonderausstellung in der Kunsthalle Mannheim
veröffentlicht am 25.02.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Ludwig Märthesheimer

Fritz Burmann: Zwei Frauen in italienischer Landschaft (1924), Öl auf Leinwand, Foto © Fritz Burmann / Foto Ludwig Märthesheimer
Der Begriff "Neue Sachlichkeit" wurde von Gustav F. Hartlaub geprägt, der von 1923 bis 1933 als zweiter Direktor der Kunsthalle Mannheim tätig war. Die von ihm kuratierte Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“ im Jahr 1925 war die erste, die diese Kunstrichtung systematisch präsentierte und definierte. Der Begriff selbst wurde schnell international übernommen und gilt bis heute als Synonym für die künstlerischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der 1920er-Jahre. Merkmale der Neuen Sachlichkeit waren und sind Rationalität und Nüchternheit, Objektivität und Detailtreue, Gesellschaftskritik, und vielfältige Gattungen.
Mit der Ausstellung "Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum" feiert die Kunsthalle Mannheim eines der wichtigsten Kapitel der Kunstgeschichte und blickt auf die Entstehung, den Einfluss und die Entwicklung dieser einzigartigen Kunstrichtung zurück. Die von Inge Herold kuratierte Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim nimmt eine kritische Neubewertung der historischen Ausstellung von 1925 vor. Sie untersucht nicht nur das damalige Ausstellungskonzept, sondern ergänzt und hinterfragt es auch unter aktuellen Gesichtspunkten. Die Schau gliedert sich in mehrere Themenbereiche, die die zentralen Aspekte der Neuen Sachlichkeit beleuchten:
Zeitgeschichtliche Einordnung und gesellschaftlicher Wandel
Die Ausstellung reflektiert das politische Klima der 1920er-Jahre und die gesellschaftlichen Umbrüche in der Weimarer Republik. Sie geht auf die Entwicklungen ein, die letztlich zum Aufstieg des Nationalsozialismus führten. Der Einfluss der Industrialisierung und der technologischen Fortschritte auf die Kunst wird thematisiert.
Der Alltag der Menschen und das neue Menschenbild
Die Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit beschäftigten sich intensiv mit dem Leben der einfachen Bevölkerung, dem Arbeiterinnen-Milieu und den sozialen Herausforderungen der Zeit. Die Darstellung des Körpers, der Individualität und der neuen gesellschaftlichen Rollenbilder wird untersucht.
Die neue Rolle der Frau
Die Ausstellung widmet sich den veränderten Lebensrealitäten von Frauen in der Weimarer Republik und deren Darstellung in der Kunst. Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit und ihre Werke erhalten einen besonderen Fokus.
Stillleben und Landschaften in der Neuen Sachlichkeit
Neben sozialkritischen Themen umfasst die Ausstellung auch Arbeiten, die sich mit neuen Sichtweisen auf Stillleben und Landschaftsmalerei beschäftigen. Hierbei wird auf die sachliche Präzision und Klarheit in der Darstellung eingegangen.
Multimediale Annäherung an die historische Ausstellung von 1925
Ein besonderes Highlight der Schau ist die digitale Rekonstruktion der Originalausstellung von 1925. Da keine fotografischen Raumaufnahmen der damaligen Präsentation existieren, wurden anhand von 112 der ursprünglich 132 gezeigten Werke detaillierte Rekonstruktionen erstellt. Diese immersive multimediale Präsentation macht auch die Lücken und Verluste der ursprünglichen Sammlung sichtbar.
Die aktuelle Ausstellung umfasst mehr als 230 Arbeiten von 124 Künstler:innen aus verschiedenen nationalen und internationalen Sammlungen. Neben Werken aus dem Bestand der Kunsthalle Mannheim sind auch bedeutende Leihgaben aus anderen Museen Teil der Schau. Unter anderen werden Werke von Otto Dix, Christian Schad, George Grosz, Franz Radziwill und Carl Grossberg gezeigt. Neben diesen bekannten Namen werden auch weniger bekannte Künstler:innen der Bewegung gewürdigt, um die Breite und Vielfalt der Strömung darzustellen.
Ein weiteres, wesentliches Merkmal dieser Jubiläumsausstellung ist der Einsatz neuer Technologien zur Vermittlung der Inhalte. Die Schau nutzt multimediale Raumprojektionen, um die ursprüngliche Ausstellung von 1925 nachzuempfinden und fehlende Werke virtuell erlebbar zu machen. Dadurch wird eine innovative Verbindung zwischen historischer Forschung und modernen Darstellungsmethoden geschaffen. Die digitalen Rekonstruktionen ermöglichen es den Besucher:innen, die Ausstellungsgeschichte aktiv nachzuvollziehen und die Entwicklung der Neuen Sachlichkeit im Kontext ihrer Zeit besser zu verstehen.
Mit "Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum" setzt die Kunsthalle Mannheim ein starkes Zeichen für die Relevanz dieser Kunstrichtung. Die Ausstellung bietet nicht nur einen Rückblick auf eine der einflussreichsten Epochen der Kunstgeschichte, sondern analysiert auch deren politische, gesellschaftliche und kulturelle Auswirkungen. Die umfassende Schau gibt einen tiefen Einblick in die stilistischen Merkmale der Neuen Sachlichkeit und ihre Bedeutung für die Kunstwelt des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig zeigt sie Parallelen zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen auf und eröffnet durch den Einsatz moderner Technologien völlig neue Perspektiven.
Auf jeden Fall sollte man die verbleibende Zeit bis zum Ende der Ausstellung noch für einen Besuch nutzen, da die Schau einen einmaligen Rückblick auf eine Kunstrichtung bietet, die sowohl Kunst als auch Gesellschaft nachhaltig geprägt hat, die Möglichkeit bietet die Werke von über 120 Künstler:innen zu erfahren aber auch zum Anlass genommen werden kann, sich an die großartige Leistung von Gustav F. Hartlaub vor 100 Jahren zu erinnern.
Diese Ausstellung stellt eine bedeutende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit dar und zeigt eindrucksvoll, warum die Neue Sachlichkeit bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Sie läuft bis zum 9. März 2025.