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Am Pult: Maestra Joanna Mallwitz

Im Gespräch mit der Generalmusikdirektorin des Theaters Erfurt

veröffentlicht am 19.06.2015 | Lesezeit: ca. 11 Min.

Seit Beginn der Spielzeit 2014/2015 ist Joanna Mallwitz Generalmusikdirektorin am Theater Erfurt. Mallwitz, gebürtige Hildesheimerin, begann im Alter von fünf Jahren an Klavier und Geige. Anno 2000 wurde sie in das Institut zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter aufgenommen, das an der Musikhochschule Hannover angesiedelt ist. Es sei ein „kleines Paradies“ gewesen und habe ihr eine „umfassende musikalische Bildung“ vermittelt, „ohne die meine weitere Laufbahn gar nicht möglich gewesen wäre“, sagt Mallwitz. In Hannover studierte sie dann auch Klavier und Dirigieren. Wir trafen die Nochnichtdreißigjährige in dem im Stadtviertel Brühl am Theaterplatz gelegenen Hause.

Das Institut zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter ist in Deutschland auf seine Art einmalig. Können Sie das etwas ausführen?

Joanna Mallwitz: Das war so eine Art Frühstudium. Wir waren der allererste Jahrgang und hatten Instrumentalunterricht, aber auch Musiktheorie, Gehörbildung, Musikgeschichte. Als Nebenfach hatte ich noch Komposition. Später kam Dirigieren hinzu. Klavier hatte ich unter anderem bei Karl-Heinz Kämmerling und bei Bernd Goetzke [dem Institutsgründer, einem Schüler von Arturo Benedetti Michelangeli].

Kann man Sie heute noch in Konzerten als Pianistin erleben?

Joanna Mallwitz: Also was ich immer gern mache sind Liederabende, manchmal auch Kammermusik. Für Solokonzerte fehlt mir wirklich die Zeit.

Wie wichtig sind Wettbewerbe für die Laufbahn eines Musikers?

Joanna Mallwitz: „Jugend musiziert“ hatte für mich vor allem die Bedeutung, dass ich in diese Musikerwelt hineinwachsen konnte. Ich stamme ja nicht aus einer Musikerfamilie. Ich habe dort meine Kammermusikpartner kennengelernt, zum Beispiel Sebastian Manz [den Klarinettisten]. Die andere Frage ist, wie es sich mit Klavier- oder Dirigierwettbewerben verhält. Daran habe ich nie teilnehmen müssen, weil ich immer schon meine Stellen hatte. Für manche Leute ist das natürlich eine große Chance.

Sie könnten am Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb teilnehmen, der 2016 zum fünften Male in Bamberg ausgetragen wird. Aber das haben Sie wohl nicht mehr nötig?

Joanna Mallwitz: Ach, das kommt darauf an. Es gibt vielleicht Menschen, die das gern als Herausforderung sehen. Ich persönlich brauche es nicht. Es gibt bestimmt den Fall, dass tolle Talente durch so etwas entdeckt werden.

Sie fingen ja schon in ganz jungen Jahren am Heidelberger Theater an.

Joanna Mallwitz: Mit neunzehn. Die haben mich aus dem Studium heraus engagiert. Eigentlich wollten sie mich sogar noch früher. Die haben mich eingeladen zu einem Probespiel. Ich habe das gemacht unter dem Aspekt des Probespieltrainings. Ich dachte, ich fahre da mal hin und mache das. Und dann wollten die mich tatsächlich engagieren. Das konnte ich ja gar nicht annehmen, weil ich erst im ersten Semester war. Dann haben die in Heidelberg gesagt: „Pass‘ auf, wir suchen jemanden für ein Jahr und halten dir die Stelle frei, und du kommst nächstes Jahr.“ Da konnte ich nicht mehr nein sagen.

Sie waren in Heidelberg Assistentin von Cornelius Meister, der inzwischen Chefdirigent beim RSO Wien ist?

Joanna Mallwitz: Alles. Ich habe angefangen als Solo-Korrepetitorin. Dann ging es relativ schnell, weil ich für die Premiere der „Butterfly“ einspringen musste. Deshalb machten die mich gleich zur Kapellmeisterin. Und als drittes war ich noch Assistentin von Cornelius Meister. Das ist als Einstieg am Theater eigentlich ideal, dieses Dreigestirn.

Vom Neckar sind Sie dann in die thüringische Landeshauptstadt gegangen?

Joanna Mallwitz: Nein. Dazwischen war ich noch drei Jahre frei tätig. Ich habe unter anderem viel in Riga dirigiert, an der Lettischen Nationaloper, und am Königlichen Opernhaus in Kopenhagen.

Seit dieser Spielzeit sind Sie Generalmusikdirektorin in Erfurt. Das Projekt „Erfurts Neue Noten“ war Ihre Idee?

Joanna Mallwitz: Das war eines der Dinge, die neu losgingen mit mir. Die Idee war, dass wir mit einem Komponisten enger zusammenarbeiten. Dass man sich nicht nur zum Ziel setzt, auch zeitgenössische Musik zu spielen. Ich habe das Gefühl, dass, wenn man nur so ein Alibistück aufs Programm setzt, dieses ein bisschen untergeht. Jetzt haben die Erfurter die Möglichkeit, mehrere Werke eines Komponisten zu hören. Das war das eine.

Und das zweite?

Joanna Mallwitz: Das andere ist, dass man diesen Kontakt intensiviert zwischen dem Komponisten und den Musikern, aber auch dem Publikum. Wir wollen dem Komponisten die Chance geben, direkt mit dem Orchester zu arbeiten und es genau kennenzulernen. Und dem Publikum die Möglichkeit, den Komponisten näher kennenzulernen, dadurch, dass der- oder diejenige auch mal da ist, bei den Einführungen etwa oder einer öffentlichen Probe.

Ihre erste Residenzkomponistin ist Sarah Nemtsov, die bei Johannes Schöllhorn und Walter Zimmermann studiert hat.

Joanna Mallwitz: Ja. Jetzt im Mai [das Gespräch führten wir Mitte April] werden wir eine Uraufführung von Nemtsov machen, ein Auftragswerk.

Auch innerhalb der Kammerkonzertreihe wurde Nemtsov aufgeführt?

Joanna Mallwitz: Genau. Beim ersten Kammerkonzert wurde ein Streichquartett gespielt, das sehr gut ankam. Ein sehr emotionales Stück, das alle zu Tränen gerührt hat. Es basiert auf einem Schubert-Fragment.

Schubert gehört zu den Komponisten, die Ihnen sehr lieb sind, oder?

Joanna Mallwitz: Ja.

Sie haben die Spielzeit mit der Großen C-Dur-Symphonie eröffnet.

Joanna Mallwitz: Ja. Andere Schubert-Symphonien werden folgen. Die „Unvollendete“ war eines der Werke, weshalb ich unbedingt anfangen wollte, zu dirigieren. Ich komme schon aus der Romantik, alles von Beethoven über Schubert, Schumann bis Brahms. Da spüre ich, dass das meine Welt ist, meine Sprache. Und Mozart ist mir sehr wichtig, damit werde ich mich mein Leben lang beschäftigen müssen. Was nicht heißt, dass ich nicht auch andere Sachen, Bartók, Strawinsky oder das italienische Repertoire, genauso gern dirigiere.

Mit welchen Orchestern, mit welchen Interpreten würden Sie gern einmal zusammenarbeiten?

Joanna Mallwitz: Es gibt viele Künstler, die einfach toll sind. Aber so spontan könnte ich Ihnen niemanden nennen. Dazu sind es einfach viel zu viele. Es gibt Orchester, die ich ganz toll finde in bestimmten Aufführungen. Man weiß aber ja gar nicht, bis man sie nicht selber dirigiert hat, ob das... Es ist ja auch eine Chemiesache zwischen Dirigent und Orchester, die gar nichts mit Qualität zu tun haben muss.

Sie fühlen sich hier schon sehr wohl, zuhause, in Erfurt?

Joanna Mallwitz: Ja.

Wo sehen Sie denn die Stärken dieses Hauses?

Joanna Mallwitz: Die Stärke des Hauses liegt in der Ensembleleistung. Wir haben ein festes Sängerensemble und Orchester und arbeiten nicht ausschließlich mit Gästen. Unser Spielplan ist sehr groß und vielfältig. Für ein so reichhaltiges Programm ist unser Orchester leider eigentlich viel zu klein. Wir sind mittlerweile nur noch 59, was selbst dafür zu wenig ist, eine Beethoven-Symphonie ordentlich zu besetzen. Mit drei Kontrabässen kann man nicht viel machen.

Das heißt, Sie brauchen fünf Aushilfen, allein bei den Kontrabässen.

Joanna Mallwitz: Wir haben eine Kooperation mit der Thüringen Philharmonie Gotha, sodass wir bei sehr großen Besetzungen Unterstützung bekommen. In anderen Programmen müssen wir oft Aushilfen zu unserer Stammbesetzung dazukaufen, was natürlich ins Geld geht. Unsere eigenen Leute spielen die ganze Zeit und spielen alles, was natürlich eine wahnsinnige Herausforderung ist. Nur bei sehr kleinen Besetzungen besteht die Chance, sich wirklich auf den eigenen Klang zu konzentrieren und daran zu feilen, weil man immer mit denselben Leuten arbeitet. Ich glaube, diese enge Zusammenarbeit im Orchester ist auch eine Stärke des Hauses.

Kennen Sie Lampenfieber?

Joanna Mallwitz: Sehr. Ich mache den Job jetzt seit zehn Jahren. In dieser Zeit ist es nicht besser geworden. Ich bin sehr angespannt schon vor der ersten Probe, bin vor der Premiere genauso aufgeregt wie vor der zehnten Vorstellung. Man ist nicht nervös, aber es ist eine Anspannung da. Aber mittlerweile weiß ich, dass der Moment, wo ich aufs Pult trete, dann eigentlich die Befreiung ist.

Wo sehen Sie sich denn in zehn oder zwanzig Jahren?

Joanna Mallwitz: Wo, kann ich nicht sagen. Für mich ist nur klar, dass ich mein Leben lang ganz viel Oper machen muss. Ich liebe Konzert genauso, aber ich kann mir nicht vorstellen, mich irgendwann auf eine reine Konzertkarriere zu beschränken, weil ich einfach die Arbeit mit den Sängern zu sehr liebe. Wo? Keine Ahnung. Jetzt bin ich erst einmal hier.

Gab es Stimmen, die sagten: „Huch, eine Frau!?“

Joanna Mallwitz: Um ganz offen zu sein: Das werde ich immer nur von Journalisten gefragt. In Deutschland gibt es kaum ein Orchester, das nicht auch schon mit einer Frau gespielt hat, und letztendlich muss sich Mann und auch Frau beweisen, wenn man das erste Mal vor das Orchester tritt.

Geben Sie noch Gastdirigate?

Joanna Mallwitz: Na klar! Zum Ende der Spielzeit bin ich mit Konzerten auch anderswo unterwegs. Und im nächsten und übernächsten Jahr sind wichtige Debüts an anderen Opernhäusern geplant, in Zürich und Frankfurt.

Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft der klassischen Musik? Es gibt ja Leute, die sagen, das Publikum sei völlig überaltert, es sterbe weg.

Joanna Mallwitz: Das sehe ich so nicht, weil ich zu viele junge Leute sehe, die sich brennend interessieren. Wir müssen einfach wissen, dass sich manche Dinge geändert haben. Dieses Sich-einfach-Hinstellen, Verbeugen, Sonate Spielen und wieder Abgehen, das funktioniert nur noch bedingt. Man muss das System aufbrechen. Ich habe hier die Expeditionskonzerte ins Leben gerufen, um neugierig zu machen und die Hemmschwelle abzubauen. Wer nie in Kontakt war mit klassischer Musik und dann in ein Opernhaus gehen soll… Unsere Aufgabe als Künstler ist einfach diese Unbedingtheit, sich hineinfallen zu lassen in die Kunst, die man macht, und durch diese Begeisterung und Energie, die dabei entsteht… Jeder, der einmal so einen Abend erlebt hat, der einen packt, der wird wieder in die Oper rennen oder ins Konzert. Deshalb diese Expeditionskonzerte.

Können Sie dieses Format ein wenig ausführen?

Joanna Mallwitz: Die Expeditionskonzerte konzentrieren sich auf ein Werk. Beim ersten waren es Ausschnitte aus der „Götterdämmerung“, dann hatten wir die „Pastorale“. Die ersten Konzerte kamen sehr, sehr gut an. Ich erkläre Sachen am Flügel. Dann ist auch das Orchester da, wir spielen Passagen, zum Schluss das komplette Werk. Ich versuche, auch den ganzen Kosmos um das Stück herum ein bisschen aufzudecken. Es soll für Menschen sein, die Konzertgänger sind und Lust haben, nochmal neu zu hören, aber auch für Menschen, die sich nicht trauen würden, jetzt gleich in so ein Sinfoniekonzert zu gehen. Es ist locker, ohne Frack und so. Ich mag den Kontakt zum Publikum. Es geht einfach um das Erlebnis „Hören“. Plötzlich geht einem das Ohr auf.

Wie halten Sie es mit der zeitgenössischen Musik?

Joanna Mallwitz: Da gibt es viel zu entdecken. Ich habe die neue Oper von Péter Eötvös gehört, „Der Goldene Drache‘“. Das finde ich genial, das war richtig, richtig gut. Da muss man überhaupt nicht diskutieren über moderne Musik und deren Warum.

Wie schalten Sie ab? Haben Sie überhaupt Freizeit?

Joanna Mallwitz: Dirigent, das ist kein Job, sondern eine Lebensweise, die alles bestimmt. Für mich ist es schon wichtig, einen Ausgleich zu haben. Ich mache sehr viel Yoga. Man muss sich fit halten. Ich lese auch sehr gern. Aber wann komme ich dazu?

Besten Dank, liebe Frau Mallwitz, für Ihre Zeit. Und viel Fortune auf Ihrem weiteren Weg.

Copyright Fotos: © Lutz Edelhoff und Nikolaj Lund

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