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Heimkehr mit Haltung

Lene Grösch formt die neue Theatersprache am Nürnberger Schauspielhaus

veröffentlicht am 28.05.2025 | Lesezeit: ca. 12 Min. | von Elke Walter

Lene Grösch ist ab der Spielzeit 2025/26 die neue Schauspieldirektorin am Staastheater Nürnberg

Lene Grösch ist ab der Spielzeit 2025/26 die neue Schauspieldirektorin am Staastheater Nürnberg, Foto © Annemone Taake

Lene Grösch übernimmt mit Beginn der kommenden Spielzeit die Leitung der Schauspielsparte am Staatstheater Nürnberg. Sie tritt damit als Schauspieldirektorin die Nachfolge von Jan Philipp Gloger an, der zur Spielzeit 2025/26 als Intendant an das Wiener Volkstheater wechseln wird. Als erste Frau wird die gebürtige Nürnbergerin diese Sparte an Bayerns größtem Mehrspartenhaus leiten. Bis Ende der laufenden Spielzeit ist Grösch noch als Geschäftsführende Dramaturgin im Schauspiel des Theaters und Orchesters Heidelberg tätig, aber seit ihrer Ernennung im Mai 2024 gleichzeitig bereits intensiv mit der Planung der kommenden Spielzeit beschäftigt. 2017 hatte sie mit ihrem Kollegen Holger Schultze zudem die Künstlerische Leitung des damals neu initiierten Festivals „iAdelante!“ übernommen, mit dem sich das Theater Heidelberg maßgeblich als Plattform für iberoamerikanisches Theater etablierte.

Für die erfahrene Dramaturgin bedeutet das nach 20 Jahren mit Stationen etwa in Ingolstadt, Oldenburg, Heidelberg oder auch Leipzig wieder in ihre Heimatregion zurückzukehren. Zunächst hatte die neue Schauspieldirektorin in Leipzig in den Fächern Germanistik, Theaterwissenschaft und Philosophie studiert, 2009 an der Hochschule für Theater und Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ als Diplomdramaturgin abgeschlossen. Seither konnte sie reichlich Erfahrungen sammeln, nun kehrt sie zu ihren fränkischen Wurzeln zurück. Mit dem Theater in Nürnberg, ihrem Heimat-Theater, wie sie selbst sagt, verbindet die Dramaturgin eine einjährige Hospitanz vor Studienbeginn. Mit einem reichen Erfahrungsschatz sowie dem langjährigen Blick von außen kehrt Grösch nun in die fränkische Metropole zurück. Bei einem Treffen in ihrer neuen Wirkungsstätte gab sie uns einen Einblick in die nächste Spielzeit, aber auch in ihr zugrundeliegendes Konzept, ihre Sicht auf Theaterarbeit im Allgemeinen.

Frau Grösch, herzlich willkommen zurück! Wie fühlt sich das an, nach so vielen Jahren wieder in die alte Heimat zurückzukommen?

Das fühlt sich sehr gut an, darüber freue ich mich auch sehr. Einmal natürlich darüber, wieder näher bei der Familie zu sein, aber auch, weil es mir die Möglichkeit gibt, mit dem Blick von außen die Region, die Stadt und im Besonderen das Theater wieder neu zu entdecken. Ich möchte alle Menschen einladen, ins Theater zu kommen.

Was macht das Theater als Begegnungsort für Sie so einzigartig?

Derzeit erleben wir eine deutliche Demokratie-Krise, die gesellschaftlich eher trennt als verbindet. In der Folge hat das auch Auswirkungen auf kulturelle Belange. Das Theater etwa stellt für mich einen außerordentlichen Begegnungsort dar, der Menschen aus unterschiedlichsten Gruppen live zusammenführt. Alle erleben gemeinsam dasselbe Ereignis, lachen spontan zusammen oder lassen sogar Tränen fließen. Das verbindet im besten Fall, schafft neue Kontakte über die eigene Comunity hinaus und bietet Diskussionsraum auch für aktuelle Themen. Theater bietet einen direkt und unmittelbar erlebbaren Kulturraum. Ich sehe das auch als Beitrag zur Förderung einer demokratischen Gesellschaft. Und das unmittelbare Theatererlebnis als Variante gegenüber Online-Angeboten.

Wie könnte dies in der Praxis aussehen?

Das geschieht allein schon durch die zufällige Verteilung der Sitzplätze. Oft kommt man mit den jeweiligen Platznachbarn ins Gespräch, das sich dann auch in der Pause fortsetzen könnte. Manchmal geht das dann auch über eine oberflächliche Unterhaltung hinaus, führt zu intensiveren Gesprächen und vielleicht sogar kontroversen Diskussionen über den Stoff oder die Inszenierung.

Welche Rolle spielen für Sie dabei die Inhalte der Stücke?

Die Inhalte sprechen neben der sachlichen Komponente immer auch auf emotionaler Ebene an. Das ermöglicht das Gefühl einer, zumindest in diesem Moment erlebten, Verbundenheit. Daneben spielt natürlich auch die Ästhetik der Inszenierung eine große Rolle. Keinen der einzelnen Bereiche darf man nur alleine sehen, alles spielt zusammen und führt bestenfalls zu einem überzeugenden Gesamtkonzept. Da reagieren dann plötzlich Menschen mit ganz unterschiedlichen persönlichen Hintergrunderfahrungen auf denselben Impuls. Etwas, das sonst vielleicht gar nicht möglich gewesen wäre, weil sie sich, aus welchen Gründen auch immer, nie treffen würden. Das geschieht generationsübergreifend, über kulturelle oder auch gesellschaftliche Grenzen hinweg.

Was bedeutet das in Bezug auf die Gestaltung eines Spielplans?

Für mich ist dabei sehr wichtig, alle Menschen, die in Nürnberg und der umliegenden Region leben, abzuholen und einzuladen. Das muss sich dann auch im Programmangebot spiegeln. Fühlen sich die Menschen nicht angesprochen, werden sie auch nicht ins Haus kommen. Deshalb ist es auch wichtig, im Gespräch zu bleiben, Wünsche, Vorschläge und Ideen aufzugreifen. Für mich heißt das auch, zu schauen, wer hier überhaupt lebt und welche Themen die Menschen interessieren. Theater hat immer mit Dialog zu tun, innerhalb des Ensembles, ebenso wie mit allen Mitarbeiter:innen und Verantwortlichen des Hauses, mit der Stadt und der Bevölkerung.

Bezieht sich das nur auf die Region?

Der lokale und regionale Austausch ist die Basis guter Theaterarbeit. Ich möchte aber gleichzeitig einen überregionalen und internationalen Austausch fördern. Die Stadt Nürnberg ist in diesem internationalen Kontext, besonders durch die vielen Gäste aus dem In- und Ausland, ebenso eingebunden. Das sehe ich als große Bereicherung für alle an. Das geht sicherlich nicht alles auf einmal, das braucht Zeit, sich zu entwickeln. Das Theater fest in der Stadt zu vernetzen, wäre mir dabei sehr wichtig.

Lassen Sie uns nun zum Programm der neuen Spielzeit 2025/26 wechseln. Wird es ein Spielzeitmotto geben?

Nein, ich verzichte bewusst auf ein übergeordnetes Spielzeitmotto. So lässt sich das Programm offener gestalten, gibt mehr Freiraum. So können wir eine viel größere Bandbreite zeigen, die Vielfalt an Stücken und Themen besser spiegeln.

Sie möchten relevante Themen der Stadt, die alle betreffen könnten, ansprechen. Wie zeigt sich das im Programm?

Schon gleich mit unserem Eröffnungsstück rücken wir, unter dem Titel „Die erste Liebe hält 5 Jahre“, Nürnberg als Spielzeugstadt in den Blick. Ansatzpunkt ist einmal die Spielzeugmesse, aber auch die Tatsache, dass alle Menschen Erfahrungen und Erinnerungen mit Spielzeug verbinden, von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Eine Vorlage gibt es zu diesem Thema bisher nicht, also sind wir selbst aktiv geworden. Die Auseinandersetzung mit Spielzeug trägt ganz unterschiedliche Facetten, etwa persönliche Erlebnisse, gesellschaftlich-politische Aspekte, aber auch, wie die Darstellung eines Spielzeugs unter Umständen sogar diskriminierend wirken kann.

Ganz gezielt haben wir unterschiedliche Menschen angesprochen und sie gebeten, Gedanken und Texte als Grundlage für den szenischen Aufbau zu formulieren. Aufgabe der Regie wird es sein, aus diesen vielfältigen Szenenentwürfen wie aus Puzzleteilen ein Gesamtkonzept zusammenzustellen. Wie das im Einzelnen aussehen wird, dazu kann ich momentan noch gar nichts sagen. Aber ich kann schon verraten, dass unter anderem voraussichtlich Texte von Ewald und Helwig Arenz, Katja Brunner, Max Czollek, Kiki Miru Svolikova oder auch Natascha A. Kelly dabei sein werden. Die Regie dieser Uraufführung, mit der wir am 3. Oktober im Schauspielhaus Nürnberg in die neue Spielzeit starten, übernimmt Jessica Weisskirchen.

Gibt es ein ähnliches, für alle Menschen relevantes Thema?

Klar, das wären etwa der Umgang und das Empfinden von Zeit. Unter dem Titel „74 Minuten“ beleuchtet die Münchner Autorin und Dramaturgin Raphaela Bardutzky das Verhältnis von Zeit, Arbeit und Gesellschaft. „Wie geht jeder von uns mit Zeit um?“ beziehungsweise „Wie verändert sie uns?“ wären Fragen, die dabei angetippt werden könnten. Für die nächsten drei Jahre wird Raphaela Bardutzky bei uns als Hausautorin arbeiten.

Neben vielen Uraufführungen finden sich auch Klassiker im Programm, etwa Friedrich Schillers „Die Räuber“.

„Die Räuber“ gehören für mich als Klassiker zu den wichtigen Stücken. Wir möchten die Vorlage aber neu beleuchten, vorwiegend weiblich besetzen. Da steckt so viel drin, bietet tolle Rollenangebote auch für das Ensemble.

Apropos Ensemble, wie sieht da die Planung aus?

Gut 60 Prozent der bisherigen Mitglieder werden auch weiterhin zum Ensemble gehören, einige neue dazukommen. Damit lassen sich auch bereichernde Impulse setzen, neue Aspekte einbringen. Im Übrigen bin ich eine Befürworterin des Ensembletheaters. Dafür werde ich mich auch weiterhin einsetzen, auch für eine paritätisch ausgewogene Zusammensetzung. Da sind wir auf einem sehr guten Weg.

Bei der Durchsicht des Programms fällt auf, dass Sie bei keiner der Produktionen als Regisseurin vertreten sind.

Ganz richtig, mein Schwerpunkt liegt im Besonderen bei der Dramaturgie-Seite. Schon während meiner ersten Zeit im Theater-Jugendclub in Nürnberg sowie während des Hospitanz-Jahres vor dem Studium war für mich deutlich geworden, wie wichtig eine gute Dramaturgie für eine Produktion ist. Und dass ich das lieber begleiten möchte – Gestaltungsverantwortung übernehmen, etwa künstlerisch für einzelne Inszenierungen, aber auch für ein Gesamtkonzept, wie es etwa das Erstellen von Spielplänen erfordert. Als Schauspieldirektorin darf ich den Gesamtblick auf das Haus haben, nicht nur die Produktionsdramaturgie. Das erweitert sich um Überlegungen, etwa wie Theater entsteht. Regie zu führen, das überlasse ich dann doch den Kolleg:innen. Sehr hilfreich sind für mich dabei die Erfahrungen aus der Zeit als Dramaturgin in Heidelberg, die ich hier einbringen kann.

Würden Sie uns bitte noch ein paar Highlights ihrer ersten Spielzeit nennen?

Jedes Stück hat für sich eine besondere Bedeutung im Spielplan. Eine Besonderheit könnte die Neufassung von „Doctor Faustus“, mit dem Untertitel „An Augment Reality Adaption of Christopher Marlowe’s Masterpiece in English language“ sein. Die Regie bei der Premiere im XRT, dem Extended Reality Theatre des Schauspielhauses, führt David Gochfeld.

Was ist das Besondere am XRT?

Das XRT ist eine digitale Spielstätte, wie es sie noch an keinem anderen deutschen Stadt- oder Staatstheater gibt. Das bietet ein besonderes Theatererlebnis für das Publikum. Über spezielle Brillen können die Besucher:innen Theater neu, beziehungsweise anders erleben. Für das Ensemble ist es auch eine große Herausforderung, über Avatare zu spielen. Das öffnet viele neue Fantasie-Kreativräume.

Sich auf digitale Formate einzulassen, die vielfältigen Möglichkeiten zu erkunden, ist zukunftsorientiert und bietet gleichzeitig auch die Möglichkeit, neues Publikum anzusprechen. Generell gilt es immer, zu überlegen, wie man die Menschen ins Theater locken könnte.

Empfehlen möchte ich, neben allen anderen (lacht) unter anderem die Inszenierung von „Nach dem Leben“ (Originaltitel „After Life“), die der ukrainische Regisseur Stas Zhyrkov übernehmen wird. Das Stück von Jack Thorne basiert auf dem Film des japanischen Regisseurs und Drehbuchautors Hirokazu Koreeda. Am Eingang zum Paradies sollen verstorbene Seelen eine Erinnerung aus ihrem Leben wählen, die sie für die Ewigkeit behalten möchten. Gar nicht so einfach, sich auf eine einzelne Erinnerung festzulegen. Ein spannendes Thema, mal darüber nachzudenken, wie man selbst entscheiden würde.

Wie würden Sie die Idee Ihres ersten Spielzeitprogramms kurz skizzieren? Was planen Sie für die Zukunft?

Wir möchten das Programm so gestalten, dass sich alle in dem finden können, was wir auf der Bühne zeigen. Sowohl in den Themen, den unterschiedlichen Formaten als auch im regionalen Kontext. Alle Menschen sollen hier willkommen sein. Von diesem ersten Jahr ausgehend, möchte ich das Theater weiterentwickeln und meine Lust, immer wieder Neues zu entdecken und Neues zu lernen, einbringen. Das gilt inhaltlich, was im Speziellen eine vielfältige Themenauswahl betrifft, aber auch das Angebot unterschiedlicher, zeitgemäßer Formate. Auch möchte ich gerne eine Plattform für einen interkulturellen Austausch entwickeln.

Informationen zum gesamten Programm gibt es unter www.staatstheater-nuernberg.de.

Vielen Dank für das Gespräch sowie die Einblicke in Ihre Arbeit, weiterhin alles Gute.

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