Entsagung ist die Tugend der Leidenden
Dem Theater Altenburg Gera gelingt mit der Inszenierung von Eugen d'Alberts Oper „Die toten Augen“ eine Großtat
veröffentlicht am 31.03.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Martin Köhl
Wer inspirierende Erfahrungen außerhalb des gusseisernen Opernrepertoires jener ca. 40 Werke machen will, die landauf, landab in den großen Häusern angeboten werden, muss sich neuerdings vor allem in kleinere Spielstätten begeben, um fündig zu werden. Zum Beispiel in Geras schönes Stadttheater, dem Doppelpartner Altenburgs, das am Wochenende mit Eugen d'Alberts „Die toten Augen“ eine Trouvaille mit hohem Faszinationspotenzial auf die Bühne stellte. Von den 21 Opern des Komponisten ist lediglich „Tiefland“ bekannt und halbwegs regelmäßig in deutschen Opernhäusern zu sehen.
Setzt das Philharmonische Orchester Altenburg/Gera ein, so wähnt man sich ganz nah bei Debussy, so von pentatonischen Exotismen, Harfenklängen und Nonenakkorden ist die Musik geprägt. Später weicht das mehr und mehr einer süffigen Spätromantik in der Wagner-Nachfolge. Und was man eingangs kaum glauben möchte, verdichtet sich innerhalb von anderthalb Stunden (die Oper dauert als Einakter nicht länger) zur Gewissheit: Die Altenburg-Geraer können diesen breiten Sound herzaubern. Und wie, möchte man gerne hinzufügen, wenn man die schönen Violinsoli des Ausklangs gehört hat.
Der Plot ist schnell erzählt: Die blinde Myrtocle ist mit Arcesius verheirat. Dass er hässlich ist, kann sie nicht wissen, aber sie weiß um seine große Liebe zu ihr. Als ein gewisser Jesus von Nazareth vorbeikommt, keimt in Myrtocle Hoffnung auf, von ihrem Leiden erlöst zu werden, denn gar zu gerne würde sie den Geliebten einmal mit eigenen Augen sehen. Freilich ist das mit einem fatalen Fluch verbunden.
Als sie tatsächlich sehend wird, wähnt sie im römischen Hauptmann Galba ihren Mann zu erkennen und wirft sich an ihn, während sich Arcesius, um sein Handicap wissend, versteckt. Als der den vermeintlichen Verrat seiner Frau entdeckt, ermordet er Galba. Myrtocle wird von Arsinoe, ihrer persönlichen Referentin (früher nannte man das Sklavin) aufgeklärt und wünscht sich zurück in die Blindheit, um ihren Gemahl lieben zu können wie zuvor. Ein Blick in die gleißende Sonne erfüllt diesen Wunsch.
Die Eingangsszene spielt im bukolischen Korinth, doch schnell zeigt sich, dass hier keine harmlose Schäferidylle waltet. Myrtocle ist in einem Raum mit verschlossenen Türen gefangen, der die Begrenzung ihrer mangels Sehfähigkeit beschränkten Sinnenwelt symbolisiert. Aus dem Bühnenboden tauchen nicht nur Hirten auf, sondern auch ein engelsgleicher Amor, der zur Projektion der erhofften Offenbarung des idealisierten Geliebten taugt.
Das Bühnenbild (Markus Meyer) ist von geradezu entwaffnender Einfachheit und Stringenz, denn es ermöglicht fast ohne jegliches Mobiliar die sinnstiftende Unterstützung des Dramas, sei es durch Projektionen auf einem Gaze-Vorhang, sei es durch Beleuchtungseffekte oder der in der Schlusszene auf dem Bühnenhintergrund aufleuchtenden Sonne, die an den Apollon als Phoibos, also den Leuchtenden, erinnert.
Szenen wie jene des Quacksalbers, der verspricht, das Augenleiden der Protagonistin mittels allerlei obskuren Mittelchen zu kurieren, lockern das Geschehen auf. Das gilt auch für andere szenische Einfälle, so der musikalisch furchterregend kommentierte Fluch des Jesus aus dem Off oder das von einem scharfen Orchesterschlag und einer Lichtexplosion begleitete Wunder des plötzlichen Sehens.
Am Ende geht es natürlich um die Liebe, und zwar eine asymmetrische, ähnlich wie in der antiken Erzählung von Amor und Psyche, die sich hier eingeflochten findet. Was das Inszenierungsteam um Kay Kuntze sich für den Schluss ausgedacht hat, wirkt zwingend.: Der Liebesgott wird demonstrativ auf einer Bahre hereingetragen. Aus ist's also mit der idealisierten Liebe, die projizierte Liebe erweist sich als Scheinwelt.
Ob es aber mit dem erneuten Erblinden der Myrtocle ein Zurück in die rein menschliche Liebe mit Arcesius geben kann, muss offen bleiben, denn zu einschneidend war der Moment des Erkennens und der damit verbundenen Desillusion. Fortan gilt wieder, was zuvor schon prophezeit wurde: Entsagung ist die Tugend der Leidenden.
Musikalisch wird diese Inszenierung von Ruben Gazarians klugem Dirigat getragen. Was da an Farbvielfalt, aber auch an üppigem Klang aus dem Orchestergraben kommt (nicht zu vergessen die beiden viel beschäftigten Harfenistinnen am Bühnenrand!), ist schlichtweg beeindruckend.
Das sängerdarstellerische Niveau ist mit den markanten Stimmen von Alejandro Lárraga Schleske (Arcesius) und Isaac Lee (Aurelius Galba) bei den Männern und mit den vibratogesättigten Stimmen von Anne Preuß (Myrtocle), Julia Gromball (Arsinoe) und Franziska Weber (Maria von Magdala) bei den Frauen höchst überzeugend ausgefallen, nicht zu vergessen den von Alexandros Diamantis verlässlich einstudierten Opernchor des Theaters Altenburg Gera. Insgesamt ist hier von einer Großtat des ostthüringischen Theaters zu reden, die zugleich eine Repertoireanregung für andere Bühnen zeitigen könnte.
Mehr Infos zur Inszenierung und den nächsten Terminen finden Interessierte unter www.theater-altenburg-gera.de.