Hintergrund

„Eine Aura, die nur im Kreuzgang erlebbar ist“

Interview mit Festspiel-Intendant Johannes Kaetzler

veröffentlicht am 10.04.2025 | Lesezeit: ca. 8 Min.

Johannes Kaetzler, Intendant der Kreuzgangspiele Feuchtwangen, im Kreuzgang-Bühnen-Ambiente

Johannes Kaetzler, Intendant der Kreuzgangspiele Feuchtwangen, im Kreuzgang-Bühnen-Ambiente, Foto © Elke Walter

Johannes Kaetzler ist seit August 2008 Intendant der Kreuzgangspiele. Er ist inzwischen der am längsten amtierende Intendant in der Geschichte des Freilichttheaters. Gerade wurde sein Vertrag bis 2028 verlängert. Für die Kreuzgang-Bühne hat Johannes Kaetzler bisher unter anderem „Der Glöckner von Notre-Dame“, „Die drei Musketiere", „My Fair Lady“, „Der Name der Rose“, „Anatevka“, „Cabaret“, „Der Brandner Kaspar“, „Romeo und Julia“, „Kiss me, Kate“, „Faust“, „Die Geierwally“, „Dracula“ sowie das Singspiel „Im weißen Rössl“ inszeniert. In der Jubiläumsspielzeit 2023 führte er beim „Jedermann“ im Kreuzgang und beim „Woyzeck“ im Nixel-Garten Regie. Im vergangenen Jahr inszenierte er „Der Besuch der alten Dame“ und das Projekt „#Faust/Zwei Seelen“. Im Interview erklärt der erfahrene Intendant seine Auffassung von Theater und gibt Einblicke in die Abendstücke der kommenden Sommer-Saison 2025.

Hallo Herr Kaetzler, Sie können auf mittlerweile 50 Jahre Regie an renommierten Bühnen zurückblicken, Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen das Theater?

Unsere Leben sind vielschichtig: dramatisch, aufregend, humorvoll, lehrreich und manchmal auch traurig. Genau das spiegelt das Theater wider. Es reflektiert das Leben. Deshalb lassen sich die Stücke auch nicht auf vorgefertigte Kategorien wie etwa Liebesgeschichte, Krimi oder Komödie reduzieren. Ein Schauspiel hat mehr zu bieten. Als Intendant will ich die Grundlage dafür schaffen, dass das Publikum diese Vielfalt erleben kann.

Ist das ein Teil des Mehrwerts, den die Kreuzgangspiele bieten sollen?

Der Philosoph Walter Benjamin betont, dass ein Kunstwerk seinen Zauber nur vor Ort als Original entfalten kann. Alles andere ist eine Kopie, ein Abklatsch. Die Kreuzgangspiele in Feuchtwangen aber stehen für Einzigartigkeit. Die Aufführungen strahlen eine Aura aus, die nur hier erlebbar ist. Das Publikum weiß das zu schätzen.

Jede Spielzeit muss aber auch in ihrer Gesamtheit wirken.

Richtig. Durch die Vielfalt der Stoffe, die wir auf die Kreuzgang-Bühne und auf die Bühne im Nixel-Garten bringen, möchten wir dem Publikum ein breites Identifikationsfeld bieten. Gleichzeitig suchen wir aber immer nach einem übergeordneten Thema, das unser Angebot zusammenhält.

In diesem Jahr wird es die Frage nach der Wahrheit sein.

Kaum ein Thema ist so relevant wie die Wahrheit: Was ist wirklich wahr? Was ist gefühlte Wahrheit und was ist Fake? Es ist kein Zufall, dass wir in diese Saison das Nachdenken über den Umgang mit der Wahrheit in den Fokus rücken. Bei „Stolz und Vorurteil“ wird die Unterscheidung zwischen faktischer Wahrheit und subjektiv empfundener, emotionaler Wahrheit thematisiert. Und bei Sherlock Holmes geht es – natürlich – um Wahrheitsfindung schlechthin.

Insgesamt werden Sie sechs Stücke auf die Bühne im Feuchtwanger Kreuzgang und im nahegelegenen Nixel-Garten bringen. Alle haben ihren eigenen Charme und Charakter.

Der Spielplan soll dem Publikum nicht nur verschiedenartige Stücke anbieten, sondern durch die jeweiligen Inszenierungen und dank der Arbeit unserer großartigen Schauspieler und Schauspielerinnen Interessen auf unterschiedlichen Ebenen ansprechen. Die erste Ebene ist die der Unterhaltung. Die zweite Ebene strahlt Lebensfreude aus: Unsere Aufführungen machen Freude und wecken Lust auf Theater. Auf der dritten und vierten Ebene behandeln wir Lebensfragen, gesellschaftliche Zusammenhänge und senden Botschaften.

Insbesondere die großen Abendstücke „Stolz und Vorurteil“ sowie „Sherlock Holmes – ein Skandal“ sind Ihrer Ansicht nach prädestiniert für diesen Ansatz.

Jane Austen hat mit ihrem Roman ein Stück vielschichtige und tiefgründige Weltliteratur geschaffen. Man kann „Stolz und Vorurteil“ zwar als historisches Liebesdrama sehen. Aber wer sich mit dem Stoff befasst, wird damit nicht zufrieden sein. Meine Fassung für die Kreuzgangspiele soll der Differenziertheit und politischen Relevanz der Figuren gerecht werden, ohne dass das Stück an Spannung, Humor und Erlebniswert verliert.

Es geht um eine vermögende Familie mit fünf Töchtern, die – wie damals üblich – keinen eigenen Beruf haben dürfen und sich ‚gut‘ verheiraten sollen. Erst dann dürfen sie ihr Erbe antreten.

Für die fünf Frauen steht die Suche nach Antwort auf die Fragen „Wie organisiere ich mein Leben?“ und „Wie weit kann ich eine Liebe leben?“ im Vordergrund. Denn es gibt natürlich Werber um diese Frauen, von denen einige allerdings auf einer gesellschaftlich anderen Stufe stehen. Es kommt also zu einem ebenso tragischen wie auch mitunter komischen Spiel um Intrigen auf der Suche nach einer Möglichkeit, wie diese Frauen ihren gewünschten Lebensentwurf wirklich leben können. Ich verspreche den Besuchern und Besucherinnen jetzt schon: Wer glaubt, dass sich die Paare in klassischer Hollywood-Manier schlussendlich alle finden, den werden die Kreuzgangspiele ein weiteres Mal überraschen.

Das Stück spielt in Großbritannien um das Jahr 1810. Das ist die Zeit der sogenannten Regency.

Die Menschen damals waren geprägt von einer zunehmenden Unsicherheit. Es herrschte Kriegsangst. Technische und gesellschaftliche Umbrüche führten zu tiefgreifenden Veränderungen in Kultur, Politik und Alltag. Es gibt also auffällige Parallelen zu vielem, was wir heute in den Zeitungen lesen. Auch deshalb ist es mir wichtig, die Geschichte aus einer emanzipierten und gerechtigkeitssensiblen Perspektive zu erzählen.

Das gilt vermutlich insbesondere im Hinblick auf jüngere Erwachsene, die Sie verstärkt für das Theater gewinnen wollen.

Jüngere Generationen sind eines der zentralen Motive, warum wir „Stolz und Vorurteil“ auf den Spielplan gesetzt haben. Ich habe die Freude, mit jungen Talenten an der Freien Schauspielschule Hamburg zusammenzuarbeiten und weiß aus vielen Gesprächen, dass sie viele ihrer eigenen Erwartungen, Begrenzungen und Hoffnungen in den Figuren von Jane Austen finden. Der historische Kontext ist ein anderer, aber der Respekt, den die Protagonisten auf der Bühne einfordern, spiegelt die Forderung junger Menschen von heute wider.

Viele Besucherinnen und Besucher dürften „Stolz und Vorurteil“ bisher eher durch den Film mit Keira Knightley kennen. Oder sie haben ein historisches Interesse an dieser Zeit durch Netflix-Serien wie „Bridgerton“ entwickelt. Im Gegensatz dazu scheinen wir ein recht klares Bild von Sherlock Holmes zu haben.

Natürlich darf das Publikum von „Sherlock Holmes – ein Skandal“ eine Detektivgeschichte erwarten. Aber die Arbeit von Lennart Matthiesen, der in der vergangenen Saison bereits „Mord im Orient Express“ inszeniert hat, wird deutlich mehr bieten als das. Mehr, was den Humor betrifft. Und mehr, was Dramatik und Tiefgründigkeit betrifft. Sherlock Holmes ist eine der bekanntesten literarischen Figuren überhaupt. Selbst, wer die 60 Romane und Erzählungen mit ihm nicht gelesen hat und keine der unzähligen Verfilmungen gesehen hat, weiß, wer der berühmte Detektiv ist und wie er arbeitet. Er ist dafür bekannt, dass er sich niemals täuschen lässt und dass er durch seine herausragende sowie scharfe Beobachtungsgabe immer die Wahrheit herausfinden kann. Und er ist der Vorreiter aller modernen Ermittler, aller Kriminalromane und Detektivgeschichten. Im Stück mit der Titel-Erweiterung „ein Skandal“, das sich auf die Erzählung „Ein Skandal in Böhmen“ bezieht, kommt der geniale Detektiv jedoch an seine Grenzen, denn er ist mit einer sehr intelligenten wie wunderschönen Frau konfrontiert. Und das ist wirklich spannend! Die Opernsängerin Irene Adler ist Sherlock Holmes intellektuell absolut ebenbürtig. Sie ist die einzige Figur in allen Sherlock-Holmes-Geschichten, die in der Lage ist, den rationalen, unbeeinflussbaren Meister zu täuschen. Hintergrund ist ein kompromittierendes Foto, das höchste Kreise in Verruf bringen könnte und zu einem Changieren der Rollen von Gut und Böse führt. Wer also ist letztlich derjenige, der Verbrechen begeht? Und wer ist derjenige, der das Opfer ist?

Das Interview führte Andreas Kunkel, Agenturengruppe con.Text

Die 77. Spielzeit der Kreuzgangspiele findet vom 10. Mai bis zum 17. August 2025 statt. Neben „Stolz und Vorurteil“ und „Sherlock Holmes – ein Skandal“ ist im Kreuzgang „Meisterdetektiv Kalle Blomquist“ für Kinder und Familien zu sehen. Im Nixel-Garten steht für kleine Kinder ab 3 Jahren „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“, für junge Menschen „Julia und Romeo“ nach William Shakespeare und „Rahel“ für Erwachsene auf dem Programm. Weitere Informationen finden Sie unter www.kreuzgangspiele.de.

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