Lese- & Hörstoff

Das dritte Licht

Claire Keegan

veröffentlicht am 21.08.2025 | Lesezeit: ca. 3 Min. | von Ludwig Märthesheimer

Buchcover: Das dritte Licht (Claire Keegan)

Buchcover: Das dritte Licht (Claire Keegan), Foto © Steidl Verlag

Es gibt Bücher, die mit wenigen Worten eine ganze Welt eröffnen. Claire Keegans Erzählung Das dritte Licht, im Original Foster betitelt, gehört zu dieser raren Sorte literarischer Kostbarkeiten. Auf kaum hundert Seiten entfaltet sich eine stille, eindringliche Geschichte, die das Herz rührt, ohne jemals gefühlig zu werden – ein Meisterstück der Andeutung, der Atmosphäre, des unscheinbar Großen.

Im ländlichen Irland der frühen 1980er Jahre wird ein namenloses Mädchen über die Sommerferien zu entfernten Verwandten gebracht. Die Eltern – selbst überfordert, die Mutter erneut schwanger, der Vater schweigsam und latent abweisend – geben das Kind ohne großes Aufheben ab. Bei den Cunninghams, einem kinderlosen Ehepaar, beginnt für das Mädchen ein ganz anderer Alltag: einer der Zuwendung, der Achtsamkeit, des Schweigens mit Bedeutung.

Keegan schreibt in einer Sprache, die mehr weglässt als erklärt. Jedes Wort scheint gewogen, jeder Satz ist von einer stillen, fast poetischen Schlichtheit, die nachklingt. Die Ich-Perspektive des Kindes – präzise, aber nie kindlich-naiv – erlaubt es, das Unausgesprochene zu spüren: Das zarte Wachsen einer Beziehung, die nicht Mutterliebe sein darf, aber vielleicht genau das wird. Die Schatten der Vergangenheit, die sich in Blicken und Pausen spiegeln. Und der Moment, in dem das Kind versteht, was Verlust und Zugehörigkeit bedeuten.

Das titelgebende „dritte Licht“ bleibt zunächst rätselhaft, wie vieles in dieser Erzählung. Es kann als Symbol gelesen werden: für die neue, leise Hoffnung, die sich zwischen zwei Menschen entfaltet, für die Erkenntnis eines Kindes, dass Geborgenheit kein Zufall sein muss – oder für das unscheinbare Leuchten im Alltäglichen.

Keegan, die mit Kleine Dinge wie diese bereits ein leises literarisches Ausrufezeichen gesetzt hat, beweist auch hier: Große Literatur braucht kein großes Tamtam. Es braucht Empathie, Präzision – und die Fähigkeit, das Unbenennbare fühlbar zu machen. Das dritte Licht ist ein Buch, das in seiner Zartheit leuchtet. Man legt es aus der Hand und spürt lange noch die Wärme, die es gespendet hat.

Ein leises, bewegendes Meisterwerk über Fürsorge, Verlust und das stille Leuchten menschlicher Nähe.

Claire Keegan: Das dritte Licht, 13. Auflage 2025 (Erstauflage März 2013), Steidl Verlag Göttingen, 96 Seiten, Leineneinband, 20 Euro. ISBN: 978-3-96999-199-2

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