Kunterbunter Narrenkäfig
Die Nürnberger Staatsoper wagt sich mit „La cage aux folles“ in die Welt des Broadway-Musicals
veröffentlicht am 02.07.2025 | Lesezeit: ca. 4 Min. | von Martin Köhl
Zeitlich besser konnten die neuesten Aufführungen des Nürnberger Staatstheaters im Musical-Bereich kaum positioniert sein: allenthalben fanden und finden Demonstrationen zu Themen rund um die Geschlechtervielfalt statt, selbst in Ungarn, und dort besonders machtvoll. Der Christopher Street Day ist in Nürnberg zwar unter dem Motto „Nie wieder still“ auf den 9. August terminiert, doch jetzt gab es schon die Premiere des passenden Stücks dazu, nämlich „Lage cage aux folles“ von Jerry Herman.
Das bereits 1983 am New Yorker Broadway uraufgeführte Musical gehört zu den meistgespielten seines Genres und beruht auf einem noch älteren Theaterstück, das erstmals das Thema der gleichgeschlechtlichen Ehe als Boulevardkomödie auf die Bretter brachte. Insofern kommt es jetzt recht spät nach Nürnberg, doch seine Aktualität bleibt dringlich angesichts zunehmender Ablehnung von Diversität und der Zunahme von Hate Speech oder Übergriffen.
Das Motto des Musicals klingt banal und ist doch so treffend: „I am what i am“ – und damit hat sich's! Gemessen am überbordenden Jubel des Nürnberger Publikums gewinnt man den Eindruck, dass zumindest ein signifikanter Teil der Gesellschaft diese Botschaft auch verstanden hat und nicht mehr dahinter zurückgehen will. Die Disruption à la Trump und ihre fatalen Folgen muss man nicht hinnehmen, so die stärker werdende Reaktion vieler Menschen.
Der Plot handelt vom Humankapital eines Travestieclubs, dessen Star Albin – Künstlername Zaza – mit Georges zusammen lebt. Das schwule Paar hat Jean-Michel bei sich wohnen, den leiblichen Sohn von Georges mit dessen „eigentlicher“ Frau. Der aber ist so gar nicht homophil veranlagt, vielmehr ein klarer Hetero. Er plant zu heiraten, aber die Eltern seiner Angebeteten sind so konservativ, wie es nur irgend geht, also völlig inkompatibel mit dem schwulen Milieu. Folglich muss ein Plan mit allerlei Versteckspielen und Identitätsverschleierungen ausgeheckt werden.
Die Inszenierung Melissa Kings geht spielerisch virtuos mit dem Geschehen um, überzeugt aber nicht durch dick aufgetragene Farben, sondern ihren eleganten Humor. Von der Berliner Komischen Oper, für die Barrie Kosky unlängst eine fulminante Version des Stücks kreierte, hat sich Stephan Prattes (Bühne und Kostüme) eine riesige Phallusstatue abgeschaut, die für die schwule Männerwelt steht, nach dem Eindringen des reaktionären Parteisoldaten aber flugs mit einem schwarzen Präservativ überzogen wird, auf dem auch noch ein Kreuz prangt.
Überhaupt geht es nach dem Eintreffen der künftigen Schwiegereltern hin und her, denn Anpassung und Verstellung sind angesagt. Wenn Albin den virilen Mann mimen soll, muss er sich als John Wayne aufplustern. Zuvor schon ist die als Justitia verkleidete Zaza den Feinden jeglicher Diversität entgegengetreten. Und die sind mit den Konterfeis von Putin, Weidel, Orban, Höcke, Musk, Trump – und wie die Bösen alle so heißen – versehen. Das ist zwar sehr direkt, hat aber viel Witz.
Ebenso direkt ist die Benamung mancher Cagelles, der Künstlerinnen des Clubs: da darf man/frau schon mal Doris Klitoris oder Voilet van der Vulva heißen. Die Bühnentapete bestätigt das: so viel Vulva und Phallus war noch nie! Im Übrigen ist das Publikum gut beraten, ständig hellwach zu sein, denn wer all die Hintergründigkeiten, Anspielungen oder bloßen Späße mitbekommen will, muss in dem rasanten Geschehen höllisch aufpassen. Die virtuose Personenführung macht es einem allerdings leicht.
Wer da so virtuos geführt wird, das ist ein personales Tableau allererster Güte, im Grunde genommen perfekt und kaum zu toppen. Angefangen mit den quirligen Cagelles in ihren phantasievollen Kostümen. Die beiden Protagonisten sind eine einzige Wucht: Martin Berger als Georges und Gaines Hall als Albin/Zaza gehen in ihren Rollen auf und werden im Verlaufe des Abends zu Sympathieträgern jener Sache, für die sie identitätsstiftend stehen. Dass sie auch noch fabelhaft singen können, wirkt geradezu befreiend.
Für die Musik ist durch die von Jürgen Grimm alert geleitete Staatsphilharmonie Nürnberg schwungvoll gesorgt. Selten sieht man in allen Gesichtern auf der Bühne und unten im Orchestergraben ein solch einvernehmliches, ja begeistertes Mittun. Diesen fröhlich-kunterbunten Narrenkäfig sollte man nicht verpassen.