Unterwegs

Geschichte, Gegenwart und gelebte Kultur

Stippvisite Kultur in der Kleeblattstadt Fürth

veröffentlicht am 20.10.2025 | Lesezeit: ca. 13 Min. | von Oliver Will

Der Marktplatz in Fürth

Der Marktplatz in Fürth, Foto © Wikimedia Commons, Martina Nolte

Die Ankunft in Fürth beginnt – wie so oft – am Bahnhof. Schon beim Verlassen der Gleise atmet man Geschichte: Die Stadt war Teil der ersten deutschen Eisenbahnstrecke überhaupt, als 1835 der legendäre „Adler“ von Nürnberg nach Fürth dampfte. Der heutige Bahnhof mit seinem typischen Nachkriegscharme ist zwar nicht mehr der Ort des Pionierstarts, doch die Erinnerung an diese revolutionäre Entwicklung liegt in der Luft und wird im Rahmen der Bahnhofsgeschichte der Stadt in der Bahnunterführung bildlich dokumentiert. Fürth hat damit einen Platz in der deutschen Verkehrsgeschichte sicher – und dieser technologische Aufbruch prägt auch die Wahrnehmung der Stadt als Ort der Bewegung, der Innovation und der kulturellen Durchlässigkeit.

Nur wenige Schritte weiter führt mich mein Weg in die Tourist Information im Seitenflügel des Bahnhofs. Freundlich und kompetent geben die Mitarbeitenden Auskunft über aktuelle Veranstaltungen, kleine Geheimtipps und das breite kulturelle Angebot, das sich hier, zwischen Tradition und Experiment, entfaltet. Schon im Prospektständer zeigt sich, dass Fürth kein Nebenschauplatz ist, sondern eine Stadt, die selbstbewusst ihre Schätze präsentiert: Museen, Theater, Galerien und eine lebendige freie Szene.

Ein Zufall als Türöffner: Die Pop Up Galerie

Ohne festen Plan schlendere ich von dort in Richtung Innenstadt – und stoße unverhofft auf eine Pop Up Galerie, das so genannte kunst.kultur.lokal. Das Ehepaar Schleifenheimer empfängt mich herzlich und nimmt sich Zeit, Frau Schleifenheimers Arbeiten zu erläutern. Ihre Kunst bewegt sich zwischen Orten und Worten: mal als poetische Spurensuche, mal als visuelle Erkundung von Übergängen. Sie spricht von Bewegung, von Relationen und von dem, was bleibt, wenn Worte fehlen, oder von dem, was hinzukommt, wenn Worte fallen. Ob letzte Worte von Sterbenden, die sie auf einem Kissen verewigt, oder die Korrelation von Orten und Menschen insgesamt. Petra A. Schleifenheimer ist eine Forscherin und wandert zwischen Raum und Sprache, stets mit Interesse an deren Wechselwirkung. Das Gespräch ist wie ein kleiner Schlüssel zur Stadt: spontan, offen, von einer leisen, fast beiläufigen Intensität. Eine Reise in künstlerische Positionen und ein Ratgeber für weitere Stationen meiner Stippvisite. Bereits diese Begegnung machte wunderbar deutlich, dass Fürth Kultur nicht nur in festen Institutionen zeigt, sondern auch im temporären, improvisierten Raum. Das kunst.kultur.lokal wird so zu einem Symbol für das, was die Stadt auch ausmacht: kulturelle Zwischennutzungen, Interventionen, Experimente, das offene Gespräch.

Die Tanzzentrale: Hinterhof und Weltbühne zugleich

Die kulturelle Zwischennutzung überwunden, hat glücklicherweise mein nächstes Ziel. Es zieht mich in die Tanzzentrale, die – dem Namen zum Trotz – in einem schlichten Hinterhof kaum 10 Gehminuten vom Bahnhof entfernt liegt. Die Atmosphäre ist so, wie man sie von freien Kulturorten kennt: roh, provisorisch, aber voller Energie. Hier in der Keimzelle des mittelfränkischen zeitgenössischen Tanzes ist ein Netzwerk lokal verortet, das sich über ganz Bayern und darüber hinaus spannt und internationale Tänzer:innen anzieht: Mit mittlerweile sechs Bündnispartnern in zwei Bundesländern – Tanztendenz e.V., Tanzzentrale der Region Nürnberg e.V. und CONdance e.V. Bamberg in Bayern sowie EinTanzHaus e.V. und Schwindelfrei Festival in Mannheim, Tanznetz Freiburg gUG und Produktionzentrum für Tanz + Performance e.V. Stuttgart – stehen Austausch und Vernetzung der kooperierenden Einrichtungen, vor allem aber der dort agierenden Künstler:innen im Fokus. Diesen Freitag stand ein Showing auf dem Programm, das die Früchte dieses Austauschprojektes deutlich macht. Vom 4. bis 15. August arbeiteten hier die Tänzerin und Choreografin Rebecca M. Narum (USA/GER), der Tänzer Purnendra Kumar Meshram (IN) und die Komponistin und Soundkünstlerin Fiona Combosch (GER) zum Thema Unwritten Bodies – Seen and Unseen. In einer gut einstündigen Performance tanzten sie - und eine große Plastikfolie - Fragmente aus ihrer Forschungswoche. Es ist ein Nachmittag, der spürbar macht, wie sich Körper und Klang in Beziehung setzen und Bewegungen mit Zeit korrelieren. Die Offenheit des Formats erlaubte dem Publikum, Zeuge eines Prozesses zu werden – nicht nur eines fertigen Produkts.

Fürth zeigt sich hier von einer internationalen Seite: Als Ort, an dem Künstler:innen aus unterschiedlichen Ländern und Disziplinen zusammenkommen, um frei zu forschen. Als Ort, an dem Tanz und Performance hautnah erlebt, aber auch mitgedacht und -reflektiert werden kann.

Stadtparkcafé, Kofferfabrik, Kopf & Kragen: Genuss, Atmosphäre, Natur, Jugend und Begegnung

Nach der intensiven Vorstellung führt mich der Weg in den nahen Stadtpark. Das Café dort ist mehr als eine einfache Einkehrmöglichkeit. Die hauseigene Bäckerei lockt mit frischem Brot und Gebäck, der Duft zieht sich bis weit in den Park hinein. Zugleich ist das Stadtparkcafé ein kultureller Ort, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Open Air Kino und mit einem vielfältigen Angebot. Der heutige Abend war dem Salsa gewidmet. So setzte sich der internationale Flair der Kleeblattstadt bis in die Nacht hinein fort. Alternativ wäre Programm in der Kofferfabrik gewesen, dem privat geführten kleinen Kulturzentrum mit dem kalenderfüllenden Veranstaltungsangebot. Augenfällig im Veranstaltungskalender sind zudem die Aktivitäten des Jugendkulturmanagements Fürth. Insbesondere der Jugendkulturclub „Kopf und Kragen“ mit regelmäßigen Konzerten, aber auch die in seinem Umfeld initiierten und inzwischen gut etablierten Open-Air-Festivals. Dieses auffällig umtriebige jugendkulturelle Engagement trägt eindrucksvollen Vorbildcharakter in der Region und weit darüber hinaus. Ein solch aktives Entgegentreten einer Kommune zum Thema des bundesweiten Clubsterbens verdient große Anerkennung.

Das Ludwig Erhard Zentrum – Politik trifft Kultur

Am nächsten Tag beginne ich im großen Flaggschiff der Fürther Kulturszene: dem 2018 eingeweihten Ludwig Erhard Zentrum, auch als „LEZ“ bezeichnet. Das Museum widmet sich dem Leben und Werk des in Fürth geborenen zweiten Bundeskanzlers und „Vaters der Sozialen Marktwirtschaft“. Es versteht sich als interaktiver Lernort und offener Raum des Dialogs über Zeitgeschichte, Wirtschaft und Politik und sieht seine Aufgabe darin, eine breite Öffentlichkeit mit der grundsätzlichen und aktuellen Bedeutung der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik Ludwig Erhards vertraut zu machen. Überraschend aktuell sind die vielfältigen Positionen, die die 1.400 m2 große Dauerausstellung eindrucksvoll aufzeigt.

Die Ausstellung ist auf zwei Häuser verteilt. Das denkmalgeschützte Geburts- und Wohnhaus der Familie Erhard geht insbesondere auf die Familiengeschichte ein und bettet den „Fürther Erhard“ in sein biographisches wie gesellschaftliches Umfeld, in die Zeit- und Wirtschaftsgeschichte bis 1945. Während der markante, gewagte wie gelungene Neubau unmittelbar an das einzigartige historische Rathaus geknüpft ist, dessen Bauteil mit dem Turm als Nachbau des Palazzo Vecchio in Florenz entstand. So dass sehr mutige und gelungene architektonische Kontraste kongenial diesen wichtigen Teil Fürther Geschichte beherbergen. Und dem Politiker Ludwig Erhard, seiner Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft sowie der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik eine adäquate museale Heimat geben. Dabei geht es nicht nur um historische Einordnung, sondern auch um die Frage nach Gegenwartsbezug und Zukunft. In Zeiten wirtschaftlicher Umbrüche, ökologischer Krisen und gesellschaftlicher Spannungen gewinnt das Nachdenken über die Balance zwischen Freiheit und Verantwortung eine ungeahnte Aktualität. Nicht immer erreicht der politische Diskurs heute mehr das wissenschaftliche Niveau, das Ludwig Erhard in die Politik hineintrug.

Das LEZ ist damit nicht nur ein Ort der Erinnerung, sondern ein politisches Museum im besten Sinne: Es lädt ein zum Diskurs, stellt Fragen und fordert dazu auf, eigene Positionen zu überprüfen. Fürth positioniert sich hier mit einem Haus, das weit über die Region hinaus strahlt, mit einem ihr ureigenen und enorm prägnanten Themenfeld und einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt.

Jüdisches Museum Franken und Stadtgalerie

Im Anschluss besuche ich das Jüdische Museum Franken in Fürth. Es befindet sich in einem ehemaligen jüdischen Wohnhaus mit Ritualbad und historischer Laubhütte und entfaltet eine reiche Kulturgeschichte, die die Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Fürth sichtbar macht. Die Dauerausstellung erzählt von Alltag, Religion, Bildung und Verfolgung. Sie präsentiert spannende und überraschende Einblicke in die jüdische Geschichte und Kultur Frankens: wie jüdische Gemeinden schon im Mittelalter virtuelle Gedächtnisräume schufen und warum Fürth das wichtigste religiöse jüdische Zentrum Süddeutschlands wurde. 2018 wurde die Abteilung „Bürgerwelten“ eröffnet. Sie beleuchtet den sozialen und wirtschaftlichen Wandel für Juden im 19. Jahrhundert. Architektonische Kontraste unterstreichen auch hier den Zweiklang aus Geschichte und Gegenwart, die zeitgleich mit der erweiterten Außengestalt, dem neuen Anbau, erschaffen wurden.

Nur wenige Straßen weiter befindet sich die kunst galerie fürth – Städtische Galerie. Sie ist ein Ort für zeitgenössische Kunst, der mit wechselnden Ausstellungen aktuelle Positionen sichtbar macht. Von Malerei über Fotografie bis hin zu raumgreifenden Installationen spannt sich ein weiter Bogen. Hier wird deutlich, dass Fürth nicht nur seine Geschichte pflegt, sondern auch Gegenwart und Zukunft der Kunst ernst nimmt. Weit gefasst ist die kuratorische Haltung: Nicht nur lokale, sondern auch internationale Künstler finden hier ein Podium.

Mehr bildende Kunst findet sich im Portfolio des Kulturring C. Für Oktober steht das Projekt „Gastspiel“ einmal mehr auf der Agenda. Am Wochenende des 18. und 19.10.2025 – heißt es wieder „hereinspaziert & herumspaziert!“ – die Fürther Künstler des Kulturring C und ihre Gäste laden alle ein, sie zahlreich zu besuchen.

Programmkino Babylon: Die Leinwand als Kulturort

Den Abschluss meines Kulturstreifzugs bildet das Programmkino Babylon. Schon der Eingang mit seinem Retro-Charme verweist auf die Tradition des Kinos als Kulturort. Hier laufen nicht die großen Blockbuster, sondern sorgfältig ausgewählte Filme – Arthouse, Dokumentationen, internationale Produktionen. Das Babylon ist zugleich Ort für Filmgespräche, Festivals und Sonderreihen und offensichtlich beliebter Treffpunkt der Fürther Kreativen und Kulturgenießer.

Von Theater bis Comödie

Theatralisch ist Fürth im August im Tiefschlaf. Das schicke, historische Stadttheater ist gut 100 Jahre alt und ragt mit seinem Mischkonzept zwischen Eigen- und Koproduktionen mit Kleinstensemble und vielfältigen Gastspielen aus der fränkischen Stadttheaterszene durchaus besonders heraus. Seit Herbst 2023 leitet Dr. Silvia Stolz das Stadttheater als Intendantin. Mit über 100 Produktionen ist das Fürther Theater das programmatische Flaggschiff der Stadt und nicht nur bei den Fürthern selbst beliebt, sondern zieht auch Publikum aus der weitläufigen Region an. Das Stadttheater Fürth ist zentral gelegen, zwischen Frauenkirche und Rathaus. Es wurde in den Jahren 1901 und 1902 nach Plänen des Wiener Architektenbüros Fellner & Helmer im neubarocken Stil erbaut. Die Inneneinrichtung folgt dem Stil des Neurokoko. In Czernowitz (Ukraine) steht heute ein fast identisches Theater, waren doch die gleichen Baumeister mit dessen Bau beauftragt, der dort allerdings erst verspätet umgesetzt wurde, als die Pläne in Fürth bereits realisiert waren.

Mit der Stadthalle und dem Kulturforum hat das Städtische Theater mindestens räumlich beachtliche Mitspieler, die sich programmatisch jedoch weitgehend unterscheiden. Mit seinen Sommerkulturtagen auf den Terrassen lädt die Stadthalle zu vielseitigem, unterhaltsamen Kulturgenuss. In den kühlen Monaten beherbergt sie die groß situierten Veranstaltungen mit einer Kapazität von über 1.000 Gästen. Im Kulturforum ist Platz bis 500 m2. Es wird unter anderem auch vom Theater bespielt und fasst darüber hinaus sehr unterschiedliche Formate. Insbesondere findet darin auch das renommierte Festival Jewish Music Today statt, veranstaltet vom Kulturamt der Stadt Fürth, das auch für das sommerliche StadtLesen verantwortlich zeichnet.

Für Kabarett und Comedy gibt es in Fürth vor allem einen Ort: die Comödie. Gegründet von den populären Kultfiguren und Kultur-Tausendsassas Volker Heißmann, Martin Rassau, Marcel Gasde und Michael Urban in Nürnberg, seit 1998 dann im Berolzheimerianum in Fürth untergebracht, ist sie im fränkischen Raum das vermutlich größte private Theater ihrer Art. Und ähnlich wie der große Bruder, das Stadttheater, füllen Eigenproduktionen wie Gastspiele den Programm-Mix der Comödie. Mit nettem Seiteneffekt: Die Comödie feiert auch als Veranstalter von Open-Air-Höhepunkten wie dem „Fürth Festival“, dem „Gnadenlos Grand-Prix“ oder dem zweijährlichen „Sommer Nachts Ball“ große Erfolge.

Fürth als Kulturstadt

Wer nach Fürth kommt, erlebt eine Stadt, die weit mehr ist als nur Nachbarin Nürnbergs. Sie ist ein Ort, an dem Geschichte und Gegenwart, Institution und Experiment, Politik und Kunst in einen produktiven Dialog treten. Vom historischen Eisenbahnpionier bis zum internationalen Tanzprojekt spannt sich ein Bogen, der zeigt: Kultur in Fürth ist vielgestaltig, lebendig und überraschend. Es sind vor allem, aber bei weitem nicht nur die großen Häuser wie das Ludwig Erhard Zentrum oder das Stadttheater, die beeindrucken. Es sind auch die kleinen Momente: das Gespräch in einer Pop Up Galerie, der Tanz im Hinterhof, das frische Brot im Stadtparkcafé. Fürth ist eine Kulturstadt, die keine Bühne scheut – aber auch keine Begegnung im Kleinen. Und die ihre gängigen Formate liebevoll pflegt und nachhaltig rüstet.

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