Der ewige Sohn
„Kafkas Erzählungen“ zum Auftakt der Saison am Bamberger Theater und als Startschuss zur Intendanz von John von Düffel
veröffentlicht am 22.09.2025 | Lesezeit: ca. 4 Min. | von Martin Köhl
Wer in die Berge will, aber unter Schwindel leidet, hat's schwer. Noch schwerer hat's, wer seinen Schwindel überwinden konnte, sich aber beim nächsten Aufstieg daran erinnert, dass er doch eigentlich nicht schwindelfrei ist. Bei Franz Kafka ist die analoge Befindlichkeit die des Nichtschwimmers, der das Schwimmen erlernt, aber vom Nicht-vergessen-Können des Nichtschwimmens eingeholt wird.
Womit wir mitten drin sind in der Premiere der neuen Spielzeit am ETA-Hoffmann-Theater Bamberg, die der neue Intendant, John von Düffel, unter die Überschrift „Kafkas Erzählungen“ gestellt hat. Denn zu Beginn geht es sowohl in textiler Hinsicht als auch bezüglich des Bühnenbildes recht aquatisch zu: Umkleidekabinen dominieren die Ausstattung (Anna Siegrot), und die Badekostümierung passt genau in das Jahr 1920. Man ahnt bereits den „Großen Schwimmer“.
Man muss seinen Kafka schon gut gelaunt haben, will man in dem Kaleidoskop von Verwandlungen, das sich Jasper Brandis für die Regie ausgedacht hat, nicht den Faden verlieren. Das gilt ebenso für die musikalische Seite, die ganz wesentlich Geräusche und skurrile Lautäußerungen einbezieht (Sebastian Herzfeld).
Aber gibt es überhaupt einen Faden in diesem Vexierspiel? Ja, und zwar einen ziemlich roten sogar, und das ist natürlich das schwierige Verhältnis Kafkas zu seinem Vater, das nicht zuletzt in seinem „Brief an den Vater“, in dem er seine Furcht, sein Versagen und die Unzufriedenheit mit seinem Leben ausdrückt. Kafka, der ewige Sohn. Nie veröffentlicht, ist dieser Brief dennoch seit einem Jahrhundert eine Fundgrube für die Kafka-Exegeten.
Ansonsten sind es eben Kafkas Erzählungen, wie schon der Titel dieses sehr gut besuchten Eröffnungsabends verspricht, darunter „Josephine, die Sängerin, oder das Volk der Mäuse“, „Das Urteil“ und die Geschichte von Gregor Samsa und dessen Metamorphose in ein Ungeziefer („Die Verwandlung“). Letztere wird geschickt vorbereitet durch Textstellen wie jene, in der Kafka die Gewohnheit seines Vaters geißelt, andere Menschen als Ungeziefer zu brandmarken.
Der skurrile Plot um Josephine, die statt Gesang nur Pfeifgeräusche zustande bringen kann, oder die Verwandlung des Gregor Samsa in ein Insekt zeitigt die eigenartigsten Geräusche, die den Abend auf originelle Weise akustisch prägen. Anfangs verwirrend, aber letztlich überzeugend sind die ständigen Rollen- und Perspektivwechsel, die nicht zuletzt den Protagonisten selbst, also Franz Kafka, vervielfachen – ein Spiel mit Identitäten.
Das Spiel mit den Umkleidekabinen ist fast eine Choreographie, ja überrascht und fasziniert aufgrund seiner Ideenvielfalt. Was da hinein- und hinausgeht, sich als unerwarteter Inhalt ausleert oder Fragen ans Publikum stellt, ist eine unterhaltsame Show und oft genug auch witzig, unbeschadet jener ernsteren Aspekte, die der schon genannten Rote Faden, also die 100 Seiten des Briefes an den Vater, bereithält.
Auch wenn man über die Abgänge vertrauter Gesichter aus dem Ensemble traurig sein darf, so kommt Freude auf über die Zuwächse (Hermia Gerdes, Laura Röseler und Daniel Warland), denn sie komplettieren die „Alten“ um Leon Tölle, Stephan Ullrich, Florian Walter und Barbara Wurster zu einem famosen Septett. Ob damit das ETA-Hoffmann-Theater zu einem „poetischen Raum“ mutieren wird, wie es John von Düffel verspricht, wird man sehen.
Die Inszenierung von Jasper Brandis und die Stückfassung des Intendanten lassen jedenfalls vermuten, dass es in Zukunft wieder mehr um die essentiellen Tugenden des Theaters geht und nicht um jene gesellschaftspolitische Belehrung, die unter dem Banner der Queerness die zehn vorausgehenden Intendanzjahre prägte. Ein vielversprechender Anfang ist mit "Kafkas Erzählungen" gemacht, einhellig bejaht von einem rundum begeisterten Publikum.
Mehr Informationen zum Stück gibt es unter www.theater.bamberg.de.