Hintergrund

Was macht ein Kunsthistoriker im Museum?

Dr. Tobias Ertel, Kurator und Leiter des Grafikmuseums Stiftung Schreiner, steht Rede und Antwort

veröffentlicht am 28.12.2025 | Lesezeit: ca. 9 Min. | von Barbara Pittner

Blick auf das Kurhaus Bad Steben

Blick auf das Kurhaus Bad Steben, Foto © Grafikmuseum Stiftung Schreiner, 2025

Gibt es einen Lehrberuf „Kurator:in“? Welchen Unterschied gibt es zwischen dem Kuratieren und Leiten eines Museums? Fragen über Fragen, zu denen Dr. Tobias Ertel, Kurator und Leiter des Grafikmuseums Stiftung Schreiner Bad Steben, gerne Rede und Antwort steht.

Was macht ein Kurator in einem Museum?

Bei der Eröffnung einer Ausstellung in einem Museum werden häufig die Kuratorin oder der Kurator interviewt. Worum geht es in der Ausstellung? Wer sind die Künstlerinnen oder Künstler, die vorgestellt werden? Oder warum wurden bestimmte Objekte speziell für diese Ausstellung ausgewählt?

Das Tätigkeitsfeld der kuratorischen Leitung ist breit gefächert. Sie konzipiert, plant und organisiert Ausstellungen. Sie ist für die Auswahl der Objekte zuständig, die Pflege von Sammlungen, die Gestaltung von Präsentationen und die Vermittlung von Kunstwerken. Außerdem verfassen Kurator:innen Texte für Ausstellungen und Kataloge, sie kümmern sich um Leihgaben und um die Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Künstlern und den Sponsoren. Nicht zuletzt pflegen und erweitern sie den Bestand eines Museums oder einer Sammlung und führen den Leihverkehr durch.

Im Gespräch mit Dr. Tobias Ertel stellt sich heraus, dass noch viel mehr in seinen Aufgabenbereich fällt. Seit 2022 ist der promovierte Kunsthistoriker Kurator im und Leiter des Grafikmuseums Stiftung Schreiner, so der offizielle Name des Museums in Bad Steben. Doch was zeichnet ihn persönlich als Kurator aus? „Ich bin neugierig!“ – seine Antwort kommt prompt und er ergänzt: „Als Kurator kümmere ich mich um die Objekte und ich versuche das zu vermitteln, was in den Kunstwerken steckt.“

Die Aufzählung der Aufgabe ist lang, denn im Grunde ist er für alles zuständig. Er rahmt und hängt die Grafiken im Museum auf; er inventarisiert die einzelnen Objekte, macht Führungen, bereitet Veranstaltungen vor, bringt sich in Sitzungen ein, kümmert sich um die Post, bewertet Sammlungen, wenn Schenkungen an das Museum anstehen, und nicht zuletzt ist er auch für die Budget-Planung und die Anträge für Förderungen verantwortlich. „Ich bin von der Putzfrau bis zum Direktor alles in einer Person“, fasst er lachend seine Funktion zusammen.

Dieses umfangreiche Tätigkeitsfeld von Dr. Tobias Ertel hat sicherlich mit der Situation im Grafikmuseum in Bad Steben zu tun. Das Team besteht aus drei Personen: ihm, Stefanie Barbara Schreiner, Gründerin des Museums, und Dr. Barbara Kasperczyk-Gorlak, Grafikerin und Mediengestalterin. In einem größeren Museum hätte er möglicherweise nur eine Funktion, wäre „nur“ Kurator oder „nur“ Museumsleiter. In Bad Steben vereinen sich die vielen verschiedenen Funktionen in einer, in seiner Person.

Die Sammlung Schreiner und das Grafikmuseum Bad Steben

1994 wurde das Grafikmuseum Stiftung Schreiner in Bad Steben gegründet. Die Sammlung dieses Museums geht im Kern auf die Privatsammlung von Dr. Wolfgang und Stefanie Barbara Schreiner zurück. Schon früh haben sich beide für die Grafik interessiert und bauten über Jahre hinweg eine umfangreiche Sammlung auf. Der Schwerpunkt des Museums liegt auf der zeitgenössischen figurativen Grafik aus Deutschland und Ost-Europa. Das Besondere an dieser Sammlung ist die Verbindung von Ost und West, was auch auf die Biografie des Ehepaares Schreiner zurückzuführen ist. Derzeit umfasst die Sammlung rund 7.000 Werke von 500 Kunstschaffenden aus 25 Ländern.

Etwa 2.000 Arbeiten übergab das Ehepaar Schreiner als Dauerleihgabe in der Ludwig-Stiftung an das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg; die Ost-Europa-Sammlung ging als Geschenk an den Freistaat Bayern, der die Museumsgründung unterstützt hat.

2015 verstarb Dr. Wolfgang Schreiner. Seine Frau Stefanie Barbara Schreiner ist weiterhin im Museum tätig und hat u.a. das Amt der Vorsitzenden des Fördervereins inne.

Von der italienischen Renaissance zur zeitgenössischen Grafik

Dr. Tobias Ertel selbst stammt aus dem Landkreis Göppingen in Baden-Württemberg, studierte Kunstgeschichte, Germanistische Literaturwissenschaft und Volkskunde/Kulturgeschichte im thüringischen Jena. Nach seiner Promotion war sein ursprünglicher Plan, an der Universität zu bleiben. „Ich wollte mich habilitieren, wollte forschen und lehren.“ Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf der Malerei des 14. und 16. Jahrhunderts in Italien und hier spezialisiert auf Padua und Florenz sowie der Grafik in Deutschland und der Schweiz ab 1880. Doch dann schnupperte er „Museums-Luft in Altenburg und Emden“. In den Jahren 2012 bis 2016 war er freier wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lindenau-Museum Altenburg in Thüringen, das zu den ungewöhnlichsten und wohl auch zu den schönsten Kunstmuseen in Deutschland zählt, und 2019 im Ostfriesischen Landesmuseum Emden.

Doch wie kommt man von der italienischen Renaissance zur zeitgenössischen Grafik nach Bad Steben in Oberfranken? „Bad Steben war für mich natürlich ein Begriff“, erzählt Ertel. Der Kunsthistoriker kannte das Haus und seine Geschichte, wie auch die umfangreiche Grafik-Sammlung. Und hier kam das durch, was ihn nach eigener Aussage auszeichnet: „Wissensdurst, Neugierde, Leidenschaft und ein hohes Berufsethos.“ Ihn hat die Sammlung fasziniert und deren Schwerpunkt mit den Arbeiten aus Ost-Europa, die er noch nicht kannte.

Hervorragende Grafiken aus Bulgarien

Von Mitte November 2024 bis Anfang 2025 zeigte das Museum die Ausstellung „Grafik aus Bulgarien - Die Schenkung Stefanie Barbara Schreiner“. Die mehrmonatige Planung und Organisation dieser Ausstellung stellte für den Kurator und Museumsleiter eine echte Herausforderung dar. Denn: „Ich kannte nichts aus Bulgarien!“

Doch der Kunsthistoriker arbeitete sich ein, übersetzte mithilfe einer kyrillischen Tastatur die Namen der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler und die Titel ihrer Werke. Mit rund 650 Arbeiten sei dies die weltgrößte und bedeutendste Sammlung außerhalb Bulgariens, sagt der Museumsleiter – und die Ausstellung unter der Schirmherrschaft des bulgarischen Botschafters war für das Museum ein großer Erfolg.

Neben der Planung und Organisation von Ausstellungen, zählen auch die Führungen zu den Aufgaben von Tobias Ertel. Dabei steht für ihn nicht allein die Vermittlung der zeitgenössischen Kunst im Zentrum seiner Erklärungen. Die Auseinandersetzung mit den Kunstschaffenden spielt eine wichtige Rolle. Für den Kunst-Experten stellt die Kunstvermittlung einen Dialog dar. Für ihn sind es „Führungen auf Augenhöhe“, die er als einen zentralen Aspekt seiner Arbeit sieht. Es ist ein Angebot an die Bürgerinnen und Bürger, sich ihrerseits mit Kunst auseinanderzusetzen.

„Museen sind wichtig für unsere demokratische Gesellschaft!“

Allgemein auf Museen und ihre Funktion in der Gesellschaft angesprochen, hat der promovierte Kunsthistoriker eine unverrückbare Haltung: „Museen sind keine reinen Bewahranstalten; sie sind aktive Gedächtniseinrichtungen.“ Und er setzt hinzu: „Museen sind wichtig für unsere demokratische Gesellschaft.“

Für ihn sind Museen „Möglichkeits-Räume.“ Ausstellungen zeigen Welten, die vielleicht fremd erscheinen. Doch durch die Auseinandersetzung stellt sich heraus, dass das Fremde eigentlich zum Eigenen gehört. In ihrer Funktion als Möglichkeits-Raum können in Museen „Zukunftsfragen durchgespielt, Utopien aufgezeigt sowie Visionen gelebt werden.“

Dabei kommt Tobias Ertel auf seine Erfahrung in anderen Ländern, wie Frankreich oder Italien, zu sprechen. Dort würde mit dem kulturellen Erbe anders umgegangen als in Deutschland. In den genannten Ländern ist die Pflege des eigenen Kulturgutes Staatsaufgabe und in der Verfassung hinterlegt. Die Menschen in diesen Ländern wissen über „die Traditionen in ihrem Land Bescheid“, so seine Beobachtung. Und gleichzeitig besteht eine „Wachheit, eine bewusste Wahrnehmung gepaart mit Offenheit gegenüber anderen Kulturen.“ In Deutschland hingegen ist die kulturelle Pflege eine freiwillige Leistung von Bund, Ländern und Kommunen.

Grafiken sind besondere Kunst-Objekte

Umso erfreulicher, dass in Bad Steben auf Initiative des Ehepaares Schreiner das Grafikmuseum im staatlichen Kurhaus eine feste Institution geworden ist. Bis zu vier Ausstellungen im Jahr zeigt das Grafikmuseum. Der Grund für diesen häufigen Wechsel liegt auch darin, dass Papier-Arbeiten höchstens drei Monate dem Licht ausgesetzt sein dürfen. Dann müssen sie wieder dem Licht entzogen werden. Damit kommt das Museum seiner Aufgabe nach, die konservatorische Sicherheit der ausgestellten Arbeiten zu gewährleisten.

Diese für ein kleines Museum vergleichsweise hohe Zahl an jährlichen Ausstellungen ist jedoch nicht mehr zu leisten, erklärt Ertel. Dafür ist das Team zu klein und das Budget im Hinblick auf die allseits gestiegenen Kosten zu gering.

Die wesentlichen Aufgaben von Museen sieht der Kunsthistoriker im Bewahren und Erforschen: „Wir bewahren, indem wir dokumentieren.“ Schließlich geht Kunst immer wieder verloren. Durch Kriege, Naturkatastrophen oder durch Diebstahl. Sind die Objekte jedoch gut dokumentiert, besteht eine Chance, dass sie wieder gefunden werden. Vorausgesetzt, sie werden nicht komplett zerstört.

Auf künftige Ausstellungen angesprochen, versichert der Museumsleiter, dass die Ausstellungen bis in das Jahr 2027 schon jetzt feststehen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Themen- und Gruppen-Ausstellungen, weniger um Einzelausstellungen.

Eines wird im Gespräch mit dem Kurator und Museumsleiter Dr. Tobias Ertel deutlich. Museen und Kunst haben eine klare und wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft. Sie sind nach seiner Auffassung die wichtigsten Einrichtungen, in denen Demokratie offen gelebt wird. Und Kunst, so wie Tobias Ertel sie sieht, hat die Aufgabe, wachzurütteln und aufzurufen. Sein Fazit: „In einem Museum liegt einem die ganze Welt zu Füßen!“ und er stellt die (rhetorische) Frage: „Ist das nicht Grund genug, in ein Museum zu gehen?“

Aktuelle Ausstellung

Noch bis zum 22. Februar 2026 widmet das Grafikmuseum Stiftung Schreiner dem niederschlesischen Künstler Reiner Schwarz unter dem Titel „Spiegelungen – Reiner Schwarz. Lithografien (1962 – 2015)“ eine Schau im Kurhaus Bad Steben. Schwarz ist einer der wichtigsten Vertreter des Kritischen Realismus in Deutschland. Mit hoher künstlerischer Qualität, zeichnerischer Akribie und inhaltlicher Dichte, zwingt er das Wirkliche dazu, sich in neuartigen Konditionen existentiell zu entfalten. Rasch übersehene Objekte der materiellen Kultur werden in seinen Werken in surreale Welten neu präsentiert, in der Spiegelung ihrer Essenz ein neuer Sinn eröffnet. Die Ausstellung würdigt Schwarz Arbeit als wichtigen Beitrag zur Gegenwartskunst und zeigt einen umfassenden Überblick über dessen einzigartiges Werk. Ist es doch die weltweit größte und dichteste Bestandsgruppe zu Reiner Schwarz in öffentlichem Besitz.

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