Zwischen Berührung und Widerstand
Vom inklusiven Kosmos melanie bonajos bis zur „Widerstandsmalerei“ von Andrej Dúbravský – zwei Wege der Selbstbestimmung
veröffentlicht am 21.12.2025 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Ludwig Märthesheimer
7 players, 5 completely nude and 2 in swimwear, on the blue sparkling beach, 2025, Acryl und Ölkreide auf Leinwand, 100 x 120 cm, Foto © Courtesy DITTRICH & SCHLECHTRIEM, Berlin
Wenn das Kunstpalais Erlangen Ende November seine Türen öffnet, treffen zwei künstlerische Welten aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und sich doch im Innersten berühren. Die Ausstellungen „melanie bonajo. Echo Organs“ und „Andrej Dúbravský. Protest of Peculiars“ erzählen von Körper, Natur, Intimität und Widerstand – als poetische wie politische Zustandsbeschreibungen unserer Gegenwart.
Die Berührbarkeit des Anderen – „melanie bonajo. Echo Organs“
melanie bonajo (they/them), niederländische Künstler:in, Filmemacher:in und Körperarbeiter:in, arbeitet seit Jahren an einer Kunst der sanften Revolution. Die Themen: Alter, Tierschutz, Spiritualität, Liebe und Intimität – jenseits der Grenzen des sogenannten Normalen. In „Echo Organs“ verwandelt bonajo gemeinsam mit dem Szenografen Théo Demans den Ausstellungsraum in eine utopische Topografie des Fühlens: Man sitzt auf übergroßen Sitzkissen in weichen Landschaften oder bewegt sich im Rollstuhl durch ein raumschiffartiges Szenario.
Ein zentrales Projekt bildet die „Schule der Liebenden“ – eine Kooperation mit Daniel Cremer und Yanna Rüger –, in der Schauspielerinnen des Zürcher Theater HORA über (Selbst-)Liebe, Achtsamkeit und Körperlichkeit sprechen. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen werden hier nicht zu Objekten des Diskurses, sondern zu Expertinnen ihrer eigenen Empfindungen. Ebenso berührend das filmische Werk „progress vs. regress“, in dem ältere Menschen über Wandel, Verlust und Hoffnung reflektieren – leise, klug, humorvoll.
Was bonajos Kunst so besonders macht, ist ihre radikale Sanftheit. Keine pädagogische Geste, kein moralischer Zeigefinger, sondern ein Spiel mit Nähe, Verletzlichkeit und Würde. Inklusion ist hier keine Kategorie, sondern eine Haltung: Vielfalt, Körperlichkeit, Intimität werden zu selbstverständlichen Koordinaten einer neuen Empathie.
Gegen den Normkörper und die heile Natur – „Andrej Dúbravský. Protest of Peculiars“
Zeitgleich zeigt das Kunstpalais die Malerei des slowakischen Künstlers Andrej Dúbravský (geb. 1987). Sein Atelier liegt auf dem Land bei Bratislava, zwischen Hühnerstall und Gemüsebeet. Diese Nähe zur Erde prägt seine Malerei – träumerisch, verwaschen, voller sinnlicher Zwischentöne. Seine Sujets: Bienen, Raupen, Blumen – und immer wieder nackte junge Männer, die dem Blick des Betrachters nicht ausweichen, sondern ihn erwidern.
Dúbravský malt die Zerbrechlichkeit des Gleichgewichts zwischen Mensch, Tier und Pflanze – und zugleich den Aufstand gegen Normierung, gegen das Diktat des „richtigen“ Körpers. Als offener queerer Künstler provoziert er bewusst: in einem gesellschaftlich konservativen Umfeld, aber auch innerhalb der eigenen Community, wo er den makellosen Fitnesskörpern „dicke Körper“ entgegenstellt – Körper, die einfach sind, nicht perfekt, aber anwesend.
Seine Malerei bleibt dabei traditionsbewusst, doch im Inhalt subversiv. Landschaft, Akt und Naturstudie verschmelzen zu einem poetischen Widerstand. Der Titel „Protest of Peculiars“ ist Programm: der stille Aufschrei der Besonderen, der Zarten, der Unangepassten. In hellen Himmeln und rauchigen Farben verdichtet sich eine Welt, die zugleich idyllisch und aufbegehrend wirkt.
Resonanzen zwischen beiden Ausstellungen
Was melanie bonajo und Dúbravský verbindet, ist der Glaube an den Körper als Ort der Erkenntnis. Bei bonajo wird er zum Resonanzraum für Empathie und Nähe, bei Dúbravský zum sichtbaren Zeichen für Selbstbestimmung und Begehren. Beide loten Grenzen aus, um sie zu öffnen: für das Ungewöhnliche, das Ungelebte, das Ungehorsame.
Auch die Natur ist beiden nicht Kulisse, sondern Akteurin – bei bonajo als ökologische und emotionale Partnerin, bei Dúbravský als Boden, auf dem das Politische wächst. Ihre Werke fordern einen neuen Pakt zwischen Mensch, Tier und Umwelt: weniger Beherrschung, mehr Teilhabe, mehr Verantwortung.
Für ein kulturinteressiertes Publikum – Menschen, die über Kunst die Welt verstehen wollen, vielleicht auch sich selbst – sind diese Ausstellungen eine Einladung: zur Selbstbefragung, zur Zärtlichkeit, zur Selbstermächtigung. Wie verändert Berührung unser Bewusstsein? Wie politisch ist Sichtbarkeit? Und wie viel Widerstand liegt in der Fähigkeit, einfach zu fühlen?
Das Kunstpalais Erlangen zeigt mit diesen beiden Positionen Kunst als gesellschaftliche Praxis: sinnlich, klug, unbequem. Es öffnet Räume, in denen das Andere nicht nur gedacht, sondern erlebt werden kann – zwischen Berührung und Widerstand, zwischen Nähe und Aufbruch.
Die Ausstellungen „melanie bonajo. Echo Organs“ und „Andrej Dúbravský. Protest of Peculiars“ sind noch bis 22. Februar 2026 im Kunstpalais Erlangen zu sehen. Weitere Informationen findet man unter www.kunstpalais.de.