Norwegian Wood, Strassenmusik, Tanz
Nordische Mystik und mehr in Rudolstadt
veröffentlicht am 22.06.2015 | Lesezeit: ca. 5 Min.
Mit einem veritablen Superlativ vermag das TFF (Tanz- und Folk-Fest) Rudolstadt zu glänzen, das alljährlich über vier Tage hinweg am ersten Juliwochenende in der ehemaligen fürstlichen Residenz stattfindet, ist es doch das größte Roots-Folk-Weltmusikfestival hierzulande. Vom 2. bis zum 5. Juli steht diesmal die nordische Mystik – und Musik – im Mittelpunkt, schließlich fällt der Länderschwerpunkt auf Norwegen. So ist es nur konsequent, wenn die Veranstalter den Hallingdans zum Schwerpunkttanz gekürt haben. Auch finden sich weitere norwegische Tänze im Programm. Als „magisches Instrument“ firmiert heuer die Cister, die nichts mit einer Zither zu tun hat, sondern mit der Laute verwandt ist.
Zum ersten Male nach 1994 – damals schaute man nach Finnland – nimmt das TFF also wieder Skandinavien in den Blick. Mit Norwegen haben die Rudolstädter alles andere als eine schlechte Wahl getroffen. Vom „Norwegian Wood“ schwärmten ja bereits die Beatles vor fünf Dekaden auf dem Album „Rubber Soul“. Das Land der Fjorde, Fischer, Moose und Flechten ist längst bekannt für seine nimmermüde Jazz-Szene. Es sei hier nur erinnert an Jan Garbarek, an die wunderbare Sängerin Rebekka Bakken, an den Saxophonisten Tore Brunborg (der gerade beim Münchner Label Act die beseelt-melancholische CD „Slow Snow“ vorgelegt hat).
Der Trompeter Nils Petter Molvær ist einer der Pioniere des Elektro-Jazz. „Im Grunde ist es nicht so entscheidend, was ich mache. Wichtiger ist, mit wem ich zusammenarbeite“, sagt er, und: „Für mich gibt es diese Grenzen zwischen Klassik, Pop oder Jazz eigentlich nicht – es kommt auf das Gute an, auf die Extreme.“ Zusammenarbeiten wird Molvær in Rudolstadt mit dem jamaikanischen Bassisten und Keyboarder Robbie Shakespeare sowie dessen Landsmann, dem Schlagzeuger Sly Dunbar. Wenn das mal keine spannende Begegnung wird! Ein genreübergreifendes Programm versprechen die erstmals gemeinsam als Trio auftretenden Åsne Valland Nordli (Gesang), Sigbjørn Apeland (Orgel) und Trygve Seim (Saxophon), die sich zwischen Kirchenlied, Volksmusik und Jazz bewegen.
Mit einer etwas anders zusammengesetzten Melange warten die drei „Apfelmädchen“ Eplemøya Songlag auf: „Wir stehen mit drei Beinen im Folk. Aber mit den anderen drei Beinen sind wir an total unterschiedlichen Orten und lassen uns inspirieren von bulgarischen Frauenchören, Jazz, Weltmusik und Vokalstilen aus ganz unterschiedlichen Kulturen“, sagt eine der drei Sängerinnen, Anja Eline Skybakmoen. „Aber solange wir diese Geschichten erzählen können und diese Musik lieben, sind wir völlig zufrieden.“ Für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2015 ist das Gjermund Larsen Trio mit dem Album „Reise“ nominiert. Die „sangbaren Melodien“, heißt es in der Jurybegründung, die „einfachen Harmoniefolgen“, diesen „fragilen Mix aus Folk, Jazz und klassischen Elementen“, der hier erklinge, als sei er das „Natürlichste der Welt“, hätte man früher wohl „Lieder ohne Worte“ genannt. In Eile solle jedenfalls nicht sein, wer mit diesem Trio aus Fiedel, Harmonium und Kontrabass auf Reisen gehe.
Apropos Fiedel: Als Nationalinstrument Norwegens gilt die reich verzierte Hardingfele, und Hallvard T. Bjørgum als einer der größten Meister auf diesem der Geige nahestehenden Instrument. Bjørgum macht aber nicht nur eine sanfte und doch zugleich wilde Musik, sondern frischt seine Konzerte durch Beigaben in Form von Geschichten und Anekdoten auf. (Volks-)Musik auf traditionellen Flöten, Klarinetten, Schafshörnern und auch auf Maultrommel, Gitarre, Cister, Kontrabass und Dulcimer bringen die Trollmusikken mit nach Rudolstadt, wo sie am Freitag in der Stadtkirche, am Sonntag auf der Terrasse der Heidecksburg zu erleben sind.
Wer Lust hat, zu tanzen, kann sich beispielsweise auf das Geigen- und Akkordeonensemble Småviltlaget freuen, das sich bestens auf den aus der mittelnorwegischen Minenarbeiterstadt Røros kommenden Pols versteht, einen synkopierten Paartanz im ¾-Takt. Die Frikar-Tanz-Compagnie unter der künstlerischen Leitung von Hallgrim Hansegård reist mit zwei Neuproduktionen an, die sich zum einen der Trance annähern, zum anderen die Hardangerfiedel, Soli, Paartänze und lyrische Trios in den Mittelpunkt stellen. Hinzuweisen ist noch auf Ken Schluchtmanns Photographien, die der „Architektur und Landschaft in Norwegen“ gelten und in den Säulensälen der Heidecksburg gezeigt werden (Eröffnung: Freitag, 12 Uhr). Dann ist da „Sketches of Norway“, mithin die Freitagskonferenz in der Stadtbibliothek (von 11 Uhr an), die einen Überblick über die Volksmusik Norwegens im historischen und zeitgenössischen Kontext bietet, musikwissenschaftlich, aber unterfüttert durch praktische Beispiele, die anwesende Musiker zu Gehör bringen werden.
Selbstverständlich hat das TFF mehr im Angebot als „Norwegian Wood“. Nur fehlt uns, wie es bisweilen im Leben so ist, jetzt der Platz, um hier en detail zum Beispiel auf Funny van Dannen, auf Gerhard Polt, auf die Bretonin Louise Ebrel, die Galicierin Sés eingehen zu können, deren Gesang als „vital, leidenschaftlich, charismatisch“ gefeiert wird. Das lässt sich wohl – mal mehr, mal weniger – von diesem Weltmusikfest insgesamt sagen. Wer sich ausführlicher informieren möchte, möge diesem Link folgen: www.tff-rudolstadt.de.
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