„Bamberg liest“ unternimmt „Standortbestimmung“
Zwei Bachmann-Preisträger im Herbst mit dabei
veröffentlicht am 13.07.2015 | Lesezeit: ca. 9 Min.
Dass Bamberg liest, dass es in der Domstadt, die der Zweite Bürgermeister Christian Lange – zugleich Referent für Bildung, Kultur und Sport – nach Mainz als eine zweite Stadt des Buches etablieren möchte, etliche an Literatur und bereichernder Lektüre Interessierte gibt, ist kein Geheimnis. Lesungen beispielsweise an der Otto-Friedrich-Universität oder im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia sind zumeist gut, bisweilen gar überwältigend gut besucht, der örtliche Buchhandel noch immer recht ordentlich sortiert. „Bamberg liest“ ist aber auch, seit 2011, ein an der Regnitz verankertes Literaturfestival, das sich inzwischen einen Namen als Plattform für innovative Literaturvermittlung gemacht und als Kulturbeschleuniger weit über die Region hinaus etabliert hat.
Für den gedruckt zweimonatlich erscheinenden Lieferanten für Kunst und Kultur ART. 5|III (Näheres und Aktuelles immer auch im Netz unter www.art5drei.de) war das mehr als Grund genug, mit Bamberg liest und seinen Machern vom fünfjährigen Bestehen an eine Medienpartnerschaft einzugehen. Wir wollen unsere Leserinnen und Leser in Sachen Bamberg liest mittels ausführlicher (Vor-)Berichterstattung – in der gedruckten sowie in der Netzausgabe, weiters in den sozialen Medien und Netzwerken, also Facebook und Twitter – auf dem Laufenden halten und werden zudem die Druckkosten von Plakaten und dergleichen mehr übernehmen.
Zunächst ein kurzer Blick zurück. Ins Leben gerufen und in den frühen Jahren (nicht, das man jetzt schon von späten sprechen möchte) hauptverantwortlich betreut von Martin Beyer und Lukas Wehner, zielte das Festival von Anbeginn an vor allem darauf ab, aufzuzeigen, dass Literatur keinesfalls verstaubt sein müsse. Es war und ist nach wie vor Anspruch von Bamberg liest, das Buch auf ungewöhnliche Weise erfahrbar zu machen und mit anderen Künsten – etwa mit der Musik, mit Film und Photographie, mit Bildender Kunst und Design – zusammenzubringen und in Bezug zu setzen.
Beyer, 1976 in der noch immer wichtigen Verlagsstadt Frankfurt am Main geboren, hat Germanistik sowie Psychologie und Philosophie studiert und ist an der Otto-Friedrich-Universität mit einer Arbeit über moderne Mythosadaptionen (am Beispiel von Christa Wolfs „Medea“) bei Wulf Segebrecht promoviert worden, die untersucht, wie Sprache und Struktur von Geschichten sich in der digitalen Welt verändern und fortentwickeln. Neben seinem wissenschaftlichen Wirken – unter anderem als Dozent am Lehrstuhl für Neure deutsche Literaturwissenschaft – ist Beyer aber auch ein Mann, der sich auf das Verfassen (und Vermitteln: siehe Bamberg liest!) dessen versteht, was unsere westlichen Nachbarn „belles lettres“ und wir schöne Literatur heißen.
So hat er 2009 bei Klett-Cotta den ganz wunderbaren Trakl-Roman „Alle Wasser laufen ins Meer“ vorgelegt. Zu nennen sind weiter die 2013 bei asphalt & anders in Hamburg herausgekommenen, im Titel auf Nick Cave anspielenden „Mörderballaden“ (sie kreisen beispielsweise um Mythos, Begierde, Suizid und Macht, immer aber auch um Musik; siehe, abermals, Bamberg liest und dessen Vernetzungskunst zwischen den Künsten). Die Erzählungen brachten Beyer den Bayerischen Kunstförderpreis ein. Beyers Compagnon und Mitinitiator Lukas Wehner, der sich inzwischen weitgehend vom Festival zurückgezogen hat, stammt aus Fulda. Er hat in Bamberg Germanistik und Geographie studiert und im Frühjahr 2010 den Verlag perpetuum publishing gegründet, in welchem zwei von Martin Beyer edierte Anthologien erschienen sind: 2011 „Zeichen & Wunder“, zwei Jahre später „Stirb & Werde“.
Bei beiden handelt es sich um Tandembücher, die in einer generationenumspannenden Zusammenarbeit entstanden sind, zwischen bereits etablierten Autoren und dem Nachwuchs. Thomas Kastura beispielsweise trifft auf Julia Schmidt, Nevfel Cumart auf Arndt Berger, Tanja Kinkel begegnet Annika Heidrich, Nora Gomringer Joana Laux. Das jüngste Tandembuch stammt von 2014, ein Gemeinschaftswerk der italienischen Autorin Alessandra Brisotto und der jungen Lyrikerin Isabel Bederna. Neben den Gedichten in zwei Sprachen finden sich in dem Band auch Illustrationen von Robert Schlund.
Sein fünfjähriges Bestehen nimmt Bamberg liest in diesem Herbst nun zum Anlass, eine „Standortbestimmung“ zu versuchen. Was ist schon erreicht worden? Wie soll es weitergehen? Dadurch, dass Bamberg liest jetzt als offizielles Literaturfestival der Stadt Bamberg, die es mit 10 000 Euro fördert, an das städtische Kulturamt angebunden ist, hat es einen neuen Standort gefunden.
Auf Bewährtes wird freilich nicht verzichtet. So erlebt die literarische Talentförderung eine weitere Auflage. Eine Studentin, ein Mittelstufenschüler und eine Schülerin aus der Sekundarstufe 1 werden Texte schreiben über Kunstwerke im Historischen Museum (das als städtischer Kooperationspartner gewonnen werden konnte). Als Tandempartner stehen dem Nachwuchs Diogenes-Autor Christoph Poschenrieder, Nevfel Cumart und die Schriftstellerin und Illustratorin Nina Müller, eine gebürtige Bayreutherin, zur Seite. Das fünfte Tandembuch soll unter dem Titel „Du sollst dir ein Bild machen!“ als quadratisches, hochwertig gestaltetes Geschenkbuch daherkommen. Es wird am 17. November innerhalb der Reihe „Literatur in der Universität“ präsentiert werden.
Zum Auftakt der „Standortbestimmung“ geht man ins E.T.A.-Hoffmann-Theater, das ja auch gerade dabei ist, sich mit der Intendantin Sibylle Broll-Pape neu zu positionieren. Martin Beyer wird den Abend am 3. November moderieren. Eingeladen ist Tex Rubinowitz, der letztjährige Ingeborg-Bachmann-Preisträger. Er wird aus seinem im Frühjahr bei Rowohlt erschienenen Roman „Irma“ lesen. Mit dabei ist Max Müller, der Sänger der 1986 gegründeten Berliner Rockband Mutter. Rubinowitz‘ Roman beantwortet auf ungewöhnliche Art eine Frage, die Johannes R. Becher einst gestellt hat: „Was ist das: das Zu-sich-selber-Kommen des Menschen?“ Schauspieler aus dem Ensemble des E.T.A.-Hoffmann-Theaters werden die Lesung kommentieren und außerdem Szenen aus dem Programm der neuen Spielzeit aufführen.
Einen „Lyriktraum im Raum“ verspricht vom 7. November an ein in Zusammenarbeit mit dem Verein Aktive Mitte in der Cafeteria der Städtischen Volkshochschule eingerichteter Lyrikraum. Präsentiert wird der neue Lyrikband der frisch gekürten Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer, „Morbus“, der bei Voland & Quist erschienen und von Reimar Limmer illustriert worden ist. Wie bei einem Leuchtkasten, der Röntgenbilder belichtet, können Besucher Limmers Illustrationen selbst auflegen – eine interaktive Sache also.
Weiters werden an sechs Hörstationen Gedichte erlebbar etwa von Rolf Dieter Brink- und von Ingeborg Bachmann, die kurze, hoffentlich erhellende Kommentare von Jürgen Gräßer begleiten. Auch musikalisch wird auf die Gedichte reagiert und in Form von Kunstwerken, geschaffen beispielsweise von Adelbert Heil. Und bei den „Lichthöfen“ am 21. November werden im Lyrikraum Plot sowie The Quires spielen und, neben Nora Gomringer, auch Ricardo Domeneck lesen. Der gebürtige Brasilianer hat Thomas Brasch, H. C. Artmann, Frank O’Hara und andere ins Portugiesische übertragen und lebt seit über einer Dekade in Berlin.
„Ich suche nicht – ich finde“ ist am 10. November eine Lesung im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia überschrieben. Dessen Direktorin, Nora Gomringer, moderiert, Sigurbjörg Þrastardóttir, Stipendiatin des Jahrgangs 2011/2012, liest, und raised by swans alias Eric Houwden musiziert. Zwei Tage später stellt Kristof Magnusson im Klinikum seinen „Arztroman“ (München: Kunstmann, 2014) vor. Am 14. November liest Nina Müller aus „Kuschelflosse und das unheimlich geheime Zauber-Riff“. Im Anschluss an die Lesung (Beginn: 10 Uhr) findet ein Malworkshop statt.
Eine der fraglos wundervollsten Buchreihen der letzten Jahre sind die „Naturkunden“, die, betreut von Judith Schalansky, in Berlin bei Matthes & Seitz verlegt werden. Sie bringen es inzwischen auf zweiundzwanzig Titel, darunter beispielsweise John Muirs „Die Berge Kaliforniens“, Jutta Persons „Esel“-Band, „Eulen“ von Desmond Morris, „Pilze“ von Jean-Henri Fabre, „Sprechende Blumen“ von Isabel Kranz. Jedes Buch aus dieser Reihe – viele davon sind im Original in London herausgekommen, bei Reaktion Books – ist aufwendig gestaltet, fadengeheftet, mit Frontispiz und farbigem Kopfschnitt versehen. Cord Riechelmann liest am 26. November im Naturkundemuseum aus seinem „Krähen“-Buch und tauscht sich im Gespräch mit dem Museumsleiter Matthias Mäuser aus.
Martin Beyer und seinen Mitstreitern ist es einmal mehr gelungen, ein abwechslungsreiches, ungewöhnliches und ungewöhnlich spannendes Programm auf die Beine zu stellen. Bamberg liest ist ein Geschenk, dem wir viel Zuspruch und eine prosperierende Zukunft wünschen.
Tex Rubinowitz © Herta Hurnau
Logo Bamberg liest © Bamberg liest
raised by swans © Ralph Buchal
Cord Riechelman, Krähen © Matthes & Seitz