Symphonische Landschaften
Spielzeit 2015/2016 der fränkischen Orchester
veröffentlicht am 27.07.2015 | Lesezeit: ca. 10 Min.
Wer von Frankens Orchesterkultur spricht, kann zugleich von einer wahren symphonischen Landschaft sprechen, denn die Versorgung der drei fränkischen Bezirke mit symphonischen Konzerten ist wahrlich flächendeckend. Das liegt beileibe nicht nur an der Existenz einer „Bayerischen Staatsphilharmonie“ alias Bamberger Symphoniker, dem unbestrittenen Platzhirsch, dessen Aufgabe es unter anderem ist, in anderen fränkischen Städten wie Bayreuth, Erlangen, Fürth oder Schweinfurt zu gastieren.
Es ist ebenso dem glücklichen Umstand geschuldet, dass es nicht weniger als vier Dreispartenhäuser gibt, deren Opernabteilungen natürlich jeweils über leistungsfähige Orchester verfügen. Diese sind zwar aufgrund ihrer Aufgaben bei Opern- und Ballettaufführungen durchaus gut beschäftigt, doch die Kapazitäten reichen darüber hinaus für anspruchsvolle Konzertreihen in Symphonik und Kammermusik. Was diesbezüglich in der kommenden Saison zu erwarten ist, soll im Folgenden ins Blickfeld geraten, wobei wir uns an die alphabetische Reihenfolge halten, abwechslungshalber aber einmal von hinten beginnen.
In Würzburg bietet das Philharmonische Orchester eigene Abonnement-reihen mit sechs Sinfoniekonzerten (im Saal der Hochschule für Musik, in der St. Johannis-Kirche und im Vogel Convention Center), sechs Kammerkonzerten (im Toskanasaal der Residenz) und vier Jugendkonzerten an. Hinzu kommen zahlreiche Sonderkonzerte, unter anderem auch im Rahmen des Mozartfestes. Das dritte Sinfoniekonzert am 11./12. Dezember ist ganz der Italianitá gewidmet: mit Werken ausschließlich italienischer Komponisten von Rossini bis Respighi. Von besonderem Interesse dürfte auch das sechste und letzte Konzert am 21./22. Mai 2015 sein, das mit zeitgenössischer Musik aufwartet (etwa von Arvo Pärt und Luciano Berio).
Die Staatsphilharmonie Nürnberg, eigentlich ausreichend beschäftigt mit dem Repertoire der Musiktheatersparte des Staatstheaters, schultert nebenbei acht philharmonische Konzerte unter dem Saisonmotto „Jenseits der Grenzen“, eine Reihe von Sonderkonzerten, Gastspiele außerhalb sowie Kammer- und Kinderkonzerte. In der Liste der eingeladenen Solisten sowie der neben Generalmusikdirektor Marcus Bosch wirkenden Dirigenten finden sich illustre Namen wie beispielsweise Simone Young oder Roger Norrington, um nur die Stabführer zu nennen. Besonders freuen werden sich die Freunde des Stummfilms – und speziell natürlich Charlie Chaplins – auf das Projekt „Stummfilm philharmonisch“, das Mitte November (und im Dezember auch in Erlangen) präsentiert wird. Das Opernorchester spielt dann die von Charlie Chaplin selbst komponierte Musik zu seinem ersten Langfilm „The Kid“, einer Mischung aus Komödie und Sozialdrama aus dem Jahre 1921.
Die Nürnberger Symphoniker starten am 18. September mit einem Benefizkonzert in die neue Saison, anschließend geht es zu Gastkonzerten nach Wien und Klagenfurt. Die Serie der insgesamt zehn heimischen Abonnementkonzerte beginnt am 26. September. Hinzu kommen die beliebten Sonntagskonzerte (8), die ebenfalls in der Meistersingerhalle stattfinden. Des weiteren gibt es die Konzertreihe ‚Symphoniker plus‘ im Musiksaal der Kongresshalle, Rathauskonzerte und für die Kleinen eine Reihe von insgesamt acht Kinderkonzerten. Chorkonzerte und natürlich auch ein Neujahrskonzert komplettieren das Programm. Das Orchester wird sehr häufig in andere Städte eingeladen, was seinen hohen Ruf festigt. Nennen wir nur Städte wie Würzburg, Ansbach und Kempten in Bayern sowie Prag, Linz, Modena und Mailand im Ausland.
Die Hofer Symphoniker starten heuer in eine Jubiläumssaison, denn das Orchester wurde vor 70 Jahren gegründet. Sie bieten in der kommenden Spielzeit neben ihren Verpflichtungen am Theater Hof eine Abonnementreihe von elf Konzerten, zwei kleinere Abos, Kammerkonzerte sowie diverse Gastspiele im oberfränkischen Umland an. Die Hofer und die ihnen angegliederte Musikschule werden zu Recht für ihre hervorragende Nachwuchsarbeit gelobt, die 2010 zur Verleihung eines diesbezüglichen ECHO-Awards führte. Sie vermögen aufgrund ihres weitreichenden Renommées auch große Namen der Solistenszene für ihre Konzerte zu gewinnen. Nennen wir nur Sergei Nakariakov, den „Paganini der Trompete“, der bei seinem Konzert am 4. Dezember allerdings auf dem Flügelhorn spielen wird. Seine atemberaubende Virtuosität wird dieses selten zu hörende Instrument aber kaum einschränken können.
Auch in Erlangen und Fürth, den mittelfränkischen Städten ohne eigenes Opernorchester, gibt es respektable Konzertreihen. In Erlangen garantiert der ‚gVe‘ (Gemeinnütziger Theater- und Konzertverein e.V. Erlangen) seit circa 150 Jahren den dortigen Musenfreunden eine niveauvolle Abonnementreihe von internationalem Zuschnitt, wobei sich Kammer- und Orchestermusik regelmäßig abwechseln. Der gVe hat seine Initialen neuerdings in der Devise ‚KlangVerlangen‘ versteckt: KlangVerlangen. Beim Blick auf das neue Programm lassen allein bis November 2015 Namen wie das Nash Ensemble of London, das linos ensemble oder die Bayerische Staatsphilharmonie aufhorchen. Musiziert wird in der Heinrich-Lades-Halle.
Auch das Stadttheater Fürth lädt die Bamberger Symphoniker in der Regel gleich mehrfach zu Auftritten in sein prächtiges Großes Haus ein, verpflichtet jedoch ebenso andere Klangkörper wie das Württembergische Kammerorchester Heilbronn, die Württembergische Philharmonie Reutlingen, die Dresdner Kapellsolisten oder das Prague Philharmonia Orchestra. Als herausragende Solisten sind zu erwähnen Tzimon Barto, Kit Armstrong und Elena Bashkirova (durchwegs Pianisten) sowie der Klarinettist Jörg Widmann. Die Kammermusikfreunde dürfen sich auf das Signum Quartett und das Cuarteto Casals freuen.
In Coburg widmet sich das Orchester des Landestheaters mit erstaunlicher Intensität dem Nachwuchs. Nicht weniger als zehn „Concerts for Kids“ sind während der kommenden Saison angesagt – wobei zu betonen ist, dass auch deutschsprachige Kinder zugelassen sind… Sechs ausgewachsene Sinfoniekonzerte können gebucht werden, dazu eine zweite (fünfteilige) Konzertreihe unter der Überschrift „Concertino“. Hinzu kommen ein „Mitmachkonzert“, ein ausschließlich dem Barockrepertoire gewidmeter Abend, Advents- und Neujahrskonzerte sowie ein Sonderkonzert aus politischem Anlass: 25 Jahre deutsche Wiedervereinigung werden musikalisch gefeiert. Aufführungsorte sind sowohl das Haupthaus des Theaters als auch dessen Spiegelsaal und das Kongresshaus Rosengarten.
Die Bamberger Symphoniker verfügen als Eliteorchester des Freistaats natürlich über den größten Aktionsradius, der sich beileibe nicht auf Franken beschränkt, sondern regelmäßig Auftritte bei Festivals oder – als Botschafter Bayerns – auf internationaler Ebene einschließt. Die Konzertsaison 2015/2016 steht unter dem Motto „Künstlerleben“, was sicherlich auch mit einem spezifischen Künstlerleben zu tun hat: Chefdirigent Jonathan Nott hat einen wesentlichen Teil seiner Karriere mit dem Orchester verbracht und wird nach sechzehn Jahren nach Genf zum Orchestre de la Suisse Romande gehen.
Die Bayerische Staatsphilharmonie bietet im Keilberthsaal der „Sinfonie an der Regnitz“ wie immer fünf Konzertreihen an, darüber hinaus Kammer- und Orgelkonzerte. Unter den Dirigenten finden sich einige bekannte Namen, aber auch eine ganze Reihe neuer, so dass man zu fragen geneigt ist, ob sich darunter auch denkbare Aspiranten für das Chefdirigentenamt befinden, die hier quasi „undercover“ zum Probedirigat antreten. „Composer in residence“ für ein weiteres Jahr ist der weltweit gefragte Klarinettist und Komponist Jörg Widmann. Er wird als Interpret – von Mozarts Klarinettenkonzert – und in seiner Zweitberufung als Tonsetzer – von Kammermusik- und Orchesterwerken – auftreten.
Bei der Gattung des Solokonzerts sind in der neuen Saison die Instrumentalpartien selten geworden, die Königsgattung Klavierkonzert ist sogar fast völlig aus den Programmen verschwunden. Auffällig hoch ist dafür diesmal der Anteil an vokalen Solistenpartien, was sicherlich der Neigung Jonathan Notts zur Oper und zu Orchesterliedern zu verdanken ist. Ein wichtiger – und höchst willkommener! – Grund dafür liegt jedoch auch in der Wahl der Portraitkünstlerin für die neue Spielzeit. Es handelt sich um die kanadische Sängerin und Dirigentin Barbara Hannigan, die aufgrund ihrer faszinierenden Musikerinnenpersönlichkeit, ihres fulminanten Auftritts und ihrer erstaunlichen Vielseitigkeit längst zu den gefragtesten Künstlerinnen der Gegenwart gehört.
Im Programmheft wird sie nicht zu Unrecht mit dem Beinamen „quasi un volcano“ charakterisiert. Barbara Hannigan verfügt zwar über eine Stimme, die wie geschaffen für Belcanto-Partien scheint, aber sie interessiert sich eher für zeitgenössische Musik – ja sie geht in ihr geradezu auf. Als Dirigentin agiert sie, wie sie singt: mit ihrer ganzen physischen Erscheinung. Im Grunde genommen sind ihre dirigentischen Zeichen nur die Verlängerung ihrer urmusikalischen Körpersprache. Auch die schwierigsten Partien von Komponisten wie Magnus Lindberg, Salvatore Sciarrino oder Luigi Nono lernt sie in Kürze auswendig vorzutragen, was den Komponisten imponiert, für sie aber selbstverständlich ist, denn nur dann, so sagt sie, fielen die Schranken zwischen einem ungewohnten oder sperrigen Werk und dem Publikum.
Zu ihren Stücken, die schon fast Kultstatus besitzen, gehört „Let Me Tell You“ von Hans Abrahamsen. Es steht geradezu exemplarisch dafür, wie das Komponieren mit Blick auf den späteren Interpreten vonstattengehen kann. Barbara Hannigan hat dem Komponisten demonstriert, was ihre Stimme kann und mag, Hans Abrahamsen hat das Werk „passend“ gemacht. Diese Arbeitsweise kannten zwar bereits Mozart und seine Zeitgenossen, aber sie ist heute eher selten geworden. In Bamberg wird diese außergewöhnliche Künstlerin als Sopranistin und Dirigentin mit Luigi Nono, Joseph Haydn, Alban Berg und Béla Bartók zu erleben sein, in der Kammermusikreihe mitwirken, mit den Bamberger Symphonikern unter ihrem Chefdirigenten Jonathan Nott die „Correspondances“ von Henri Dutilleux interpretieren und schließlich ebenfalls der Jury des 2016 stattfinden Dirigentenwettbewerbs „The Mahler Competition“ angehören. Bamberg wird Barbara Hannigan, so verspricht die Intendanz, „als Gesamtkunstwerk erleben“.
Copyright Fotos:
Jörg Widmann, Foto © Achim Reissner
Nash, Foto © Hanya Chlala ArenaPAL
B. Hannigan, Foto © Ede Haas
Simone Young, Foto © Berthold Fabricius