Metropolitan

Mit den Mitteln der Kultur

Die Digitale Revolution des kulturellen Schaffens

veröffentlicht am 06.10.2015 | Lesezeit: ca. 7 Min.

Die digitale Transformation ist zweifellos ein sehr großer und sensibler Meilenstein in der Entwicklung der Menschheit. Zwischen Schreckensszenarien und Zukunftseuphorie schwanken die Mutmaßungen. In Deutschland gründete sich auf dieser Basis vor einiger Zeit sogar eine Partei, die alles auf die digitale Karte setzte, deren kurzes Aufflammen jedoch wieder gänzlich erloschen ist. Zu ungewiss bleiben die Prozesse und zwischen den Zeilen großer Topoi, im Schatten von Big Brother und der Angstutopie vom gänzlich gläsernen Menschen herrschen Ungewissheit und Ratlosigkeit. Der Bundestag wird abgehört. Oh Schreck! Und jetzt? Ja und! Es gibt eben keine großen Erzählungen, die aus dem digitalen Dilemma heraushelfen und vermutlich nicht einmal verwertbare Kurzgeschichten, die im schnell wachsenden digitalen Dschungel wenigstens Orientierung böten. Wie die Digitalisierung unser Leben verändert? Es bleibt abzuwarten. Muss mit kleinen Erfahrungen und Auseinandersetzungen empirisch verortet werden. Und bleibt ein Puzzle mit unendlichen Teilen, ein Phänomen der Stückwerke, ohne den Blick aufs Ganze und einen dazu passenden Masterplan.

Zur intensiven Beschäftigung der Kreativen mit Chancen, Brückenschlag, Herausforderung und Risiken der Digitalisierung ruft nun zeitgemäß zum großen Thema des gesellschaftlichen Wandels die Arbeitsgemeinschaft Kultur im Großraum Nürnberg, Fürth, Erlangen, Schwabach auf. Unter dem Titel "net:works" dekliniert der kulturelle Nukleus der Metropolregion Nürnberg die Konsequenzen der digitalen Revolution für Kultur, Öffentlichkeit und Teilhabe. Durch sämtliche Formate, in Kulturzentren, Kinos, Museen, Theatern und an anderen Orten. Und schreibt sich auf die Fahnen, eine Zwischenbilanz leisten zu wollen. Erkenntnisse und Schlüsse aus dem, was die digitale Welt an Neuerungen und Veränderungen bereits festhalten lässt. Auch mit Blick auf die Konsequenzen für den Kulturbetrieb. Im guten Bewusstsein schon, dass auch hier nur ein Vortasten und Ausprobieren geleistet werden kann. Immerhin: "Anything goes". Die Digitalisierung kennt keine Grenzen. Videospielkultur, Tattoos, literarische Interaktion, das klassische Bildungsprojekt für junge Bürger. Das Erzählprojekt mal digital oder auch das Experiment. Die Tangente der Digitalisierung berührt jeden möglichen Kreis. Doch wo und wodurch mutiert sie zur Gerade, die darin Position bezieht. Und welche Positionen sollen das sein?

Das digitale Spiel steht bei extralife - Eine Ausstellung zur Videokultur im Fokus. Im Holodeck werden die unterschiedlichen Spielwelten in Medley-Manier präsentiert. An die Spielterminals lädt ein nächster Raum, auf der Suche nach dem narrativen Gehalt des virtuell Erlebbaren. Raum 3 bezieht sich auf die Realität der Spieler in Communities als Avatare und Nerds und. Die Gaming- und Gamer-Kultur wird erklärt und reflektiert. Dann werden künstlerischer Gehalt und künstlerische Möglichkeiten der Spielewelten auf den Prüfstand gestellt. Schließlich lädt ein Raum für die spielerische Praxis zur "Competition" analoger Menschen in digitale Welten.

Als Kontrast zur Schnelllebigkeit der Neuen Medien versteht sich die Ausstellung Skin Stories. Tattoo & Kunst in der kunst galerie fürth. Stehen Tattoos doch auch heute noch für Dauerhaftigkeit und Unabänderlichbarkeit. Die Rede ist von eingestochenen Geschichten. Und in der Tat bringen diese eine lange Historie mit sich, nicht nur als Chronologie der Tätowierpraxis, sondern auch in ihrer literarischen, symbolischen Aufarbeitung. Das Hineinritzen ist in der Bibel vielfach Thema, Hans Blumenberg arbeitet es in Die Lesbarkeit der Welt treffend auf. Von der "Einschreibung des Anderen" spricht die zeitgenössische Tattoo-Literatur mannigfaltig.

Die dritte Ausstellung im Bunde ist in Erlangen zu finden. SAVE THE DATA! Von Kunst und Datenträgern beschäftigt sich mit der Vielfalt an Datenträgern als Werkstoff für künstlerisches Schaffen: "Tausend Meter Tapeband, aufgerollt, zerschnitten und schließlich zu einem edlen Bodenbelag arrangiert; ein Raum bis unter die Decke gefüllt mit Zombie-Videos und VHS-Ausrüstung, dessen Anmutung irgendwo zwischen Hobbyraum und Folterkeller changiert; geheimnisvolle Serien aus klar und präzise komponierten Fotografien, die sich als perfekte Kooperation von Mensch, Suchmaschine und dem unendlichen Speicher des Internets erweisen, oder aber Videos, die in fließenden, leuchtend farbigen Collagen aus Browserfenstern mit diesem neuen ikonischen Bildtypus spielen - in einem Raum mit Wölkchen-Tapete. Das vertraute und gemeinhin als technisch-spröde und kühl wahrgenommene Material zeigt sich so plötzlich sinnlich, humorvoll, auratisch, kostbar oder unheimlich und lässt neue Blicke auf Vergangenheit und Zukunft unseres Lebens mit seinen Speichermedien zu."

Die Mittel der Kultur, das zeigen die Ausstellungen exemplarisch, bieten sich als Forschungs- und Experimentierfeld für Digitalisierungsphänomene an. Die Kunst schreckt nicht zurück vor Ungereimtheiten, Wechselwirkungen und Unwägbarkeiten. Sie bezieht sie geradezu mit ein.

Folgerichtig lädt das Format Literraforming Erlangen sein Publikum zum interaktiven Umgang, zur Reaktion auf gelieferte Gedichte zu ausgewählten Orten ein und bittet um fotografische Beiträge und Antworten darauf. Der geübte Selfie-Prozess avanciert zum künstlerischen Co-Beitrag.

Neues von der Wohnfront bietet das 1m²-Haus von Van Bo Le-Mentzel, das in der Erlanger Galerie Hinz & und Kunst und an anderen öffentlichen Orten zu sehen sein wird. Stefanie Anna Miller gibt sozusagen den Sprite für diesen realen, ungewöhnlichen Wohnraum.

Der Vorplatz des Kulturforums in Fürth wächst zum GamesARTEN, zum Containerdorf im Gartendesign. Eine Woche lang dreht sich hier in fünf verschiedenen Containern und bei zahlreichen Aktionen alles um das Thema Games und Kunst zwischen analog und digital. Jeder der Container eröffnet neue Erfahrungs- und Spiel(e)räume.

Mit MirrorMirror schafft der in London lebende, aus Stein stammende Künstler Daniel Widrig ein begehbares Raumobjekt, welches sich der Gold und Netzwerkthematik über eine kaleidoskopartige Anordnung von Spiegelflächen und linearen Elementen annähert und so Bezug zum Betrachter und der Architektur des neuen Schwabacher Museums aufnimmt. Dazu ein digitales Erzählprojekt oder ein interaktiver Audiowalk und mehr. Schon sind die neuen, digital mitgeprägten Formate und ihre Gegenkultur zu einem Festival der besonderen Art verschmolzen, das seinesgleichen sucht.

Weitere Informationen unter:

networks15.de

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Wall E – Der letzte räumt die Erde auf, Foto © Disney

Extraleben – Yaw-Team, Foto © Disney

Material Games, Foto © Patrick Ruckdeschel

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