Auftakt mit Thomas Hampson und Mahler
Lied & Lyrik erstmals auch in Bamberg
veröffentlicht am 07.10.2015 | Lesezeit: ca. 9 Min.
Nie noch hat Thomas Hampson – mithin einer der allergrößten Mahler-Sänger unserer Zeit – mit den Bamberger Symphonikern zusammen musiziert. Das wird sich im Oktober, wenn die Bayerische Staatsphilharmonie in die neue Saison startet, ändern. Denn in Kooperation mit dem zweijährlichen oberfränkischen Festival „Lied & Lyrik“, das von der Friedrich-Baur-Stiftung und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste getragen wird, ist es nun gelungen, den US-amerikanischen Bariton an die Regnitz zu locken. Am 10. Oktober, sowie anderntags, wird Hampson im Joseph-Keilberth-Saal Gustav Mahlers Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ singen. Der vor sechs Jahrzehnten in Indiana geborene Bariton ist keineswegs die einzige Koryphäe des Liedgesangs, die in diesem Oktober den Weg nach Oberfranken findet.
Da ist zum Beispiel noch Ingeborg Danz. Die Altistin, die vor allem als Lied- und Konzertsängerin sich einen Namen gemacht und mit Dirigenten wie Riccardo Muti, Herbert Blomstedt und Philippe Herreweghe zusammengearbeitet hat, wird sich am vorletzten Festivaltag, mithin am 14. Oktober, gemeinsam mit dem Bamberger Organisten Edgar Krapp in der Klosterkirche Banz geistlichen Liedern und Psalm-Vertonungen aus der Zeit des Barock annehmen: Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach, Dietrich Buxtehude, aber auch Girolamo Frescobaldi und Antonio Vivaldi. Und da ist selbstverständlich Anne Sofie von Otter, die in diesem Jahr so etwas wie Residenzkünstlerin ist, denn sie gibt gleich zwei Liederabende in der ihr sehr lieben oberfränkischen Landschaft. Die schwedische Mezzosopranistin beschränkt sich keinesfalls auf das ernste, klassische Kernrepertoire von Händel bis Mahler, sondern überschreitet in ihren Programmen gern Grenzen.
So hat von Otter beispielsweise mit Elvis Costello – nachzuhören auf der CD „Fort he Stars“ – zusammengearbeitet und mit dem Jazzpianisten Brad Mehldau (Lieder von Leonard Bernstein, Joni Mitchell, Jacques Brel und anderen auf der Doppelsilberscheibe „Love Songs“ von 2010). Am 12. Oktober wird sie im Kaisersaal von Kloster Banz gemeinsam mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker Lieder und Chansons von Franz Schubert und Hanns Eisler, von dem Franzosen venezolanischer Abstammung Reynaldo Hahn, der eine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit Marcel Proust unterhielt, und von Joseph Canteloube (1879 bis 1957) aufführen.
Dessen „Chants d’Auvergne“ basieren auf okzitanischem Liedgut, das Canteloube in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in seiner zentralfranzösischen Heimat gesammelt hat. Ein zweites Mal ist Anne Sofie von Otter zum Abschluss des Festivals zu hören, am 15. Oktober, ebenfalls im Kaisersaal. Dann stehen unter dem Titel „Aquarelle – Musik des Nordens“ Lieder und Kammermusik etwa von Jean Sibelius, von Carl Nielsen und von Wilhelm Stenhammar auf dem Programm, das auch von Otters langjähriger Begleiter Bengt Forsberg am Klavier und der junge finnische Geiger Pekka Kuusisto gestalten. Wie Thomas Hampson wird, nebenbei, auch Kuusisto in dieser Saison mit den Bamberger Symphonikern zu hören sein, nämlich Mitte Dezember (unter anderem bei der Sibelius-Nacht, bei freiem Eintritt im Foyer der Konzerthalle).
Der Nähe zwischen Volks- und Kunstlied werden Julian Prégardien und Siegfried Mauser in Kompositionen von Schubert, Brahms, Benjamin Britten und anderen nachspüren. Mauser ist „Lied & Lyrik“ von Anfang an verbunden. Er ist Pianist, Kammermusiker und Liedbegleiter, macht sich vor allem für die zeitgenössische Musik stark (für Rihm etwa, für Widmann) und ist seit Oktober des vergangenen Jahres Rektor des Mozarteums, nachdem er schon an den Musikhochschulen von Würzburg und München unterrichtet hatte. Der Tenor Julian Prégardien, 1984 in ein hochmusikalisches Elternhaus in Frankfurt am Main hineingeboren, ist sich gewiss: „Das deutsche Kunstlied ist mit das Höchste, was man sich an Kultur vorstellen kann.“ Seine Ausbildung begann er bei seinem Vater Christoph sowie bei der Limburger Dommusik und schloss sie an der Freiburger Musikhochschule ab. Er war festes Ensemblemitglied der Frankfurter Oper, ist als Lied-, Konzert- und Opernsänger international hervorgetreten, wird zumal als Bach-Interpret geschätzt und lehrt seit inzwischen zwei Jahren in der Oratorienklasse der Musikhochschule München.
Auch der Countertenor Kai Wessel kommt zu einem Liederabend nach Banz, genauer: zu einem Barockfest am 14. Oktober, das, mit Gotthold Ephraim Lessings Worten, „Ewig soll mich Lieb’ und Wein, ewig Wein und Lieb’ erfreun!“ überschrieben ist. Die Textauswahl hat Hans Pleschinski getroffen, der auch durch den Abend führen wird. Pleschinski, Jahrgang 1956, ist in Niedersachsen aufgewachsen, hat in München, wo er heute lebt und arbeitet, Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaften studiert, ist mit Romanen (zuletzt „Königsallee“, München, C.H.Beck, 2013, um Thomas Mann und dessen einstige Düsseldorfer Liebe Klaus Heuser kreisend) ebenso hervorgetreten wie mit Herausgaben etwa der Erzählungen von E.T.A. Hoffmann und der Briefe von Madame de Pompadour und hat Voltaire übersetzt. Ihm ist darum zu tun, eine „gewisse Festlichkeit und Lebensheiterkeit in die Literatur“ zu bringen. Bei diesem barocken Fest wird Kai Wessel begleitet von dem Lautenisten Ulrich Wedemeier, der unter anderem von dem großen Paul O’Dette wichtige Anregungen erfuhr. Als Sprecher ist Heiko Ruprecht mit dabei (man kennt ihn aus der TV-Serie „Der Bergdoktor“) sowie die Schauspielerin und Regisseurin Maria Happel.
Wesentlicher Bestandteil dieser oberfränkischen Biennale ist die Lyrik, für die man Michael Krüger, den Präsidenten der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, hat gewinnen können. Nun gibt es hierzulande tatsächlich keinen Zweiten, der sich als Übersetzer, als Autor, als Verleger, als Herausgeber (bis vergangenen Dezember auch der in Sachen Lyrik wegweisenden zweimonatlichen Literaturzeitschrift „Akzente“), als Verfasser von Laudationes, Geburtstagsadressen und Nachrufen so sehr für das Gedicht engagiert hat – und dies mit ungebremster Neugierde und einem immensen Arbeitspensum nach wie vor tut – wie eben Michael Krüger. „Mit diesen einfachen 26 Buchstaben“, sagt der 1943 im Burgenlandkreis Geborene, „können wir Milliarden von Dingen machen. Wir fühlen, sehen und riechen, aber letztendlich sind es die Kombinationen dieser paar Buchstaben, die uns am Leben erhalten.“
In der Kutschenhalle zu Banz wird Krüger schwedische Lyrik vorstellen, zum Beispiel die des Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer, dessen Gedichte voller Verweise auf die Musik sind (was bei einem Dichter, der auch Klavier spielte, nicht weiter wundern darf), und vielleicht auch von Lars Gustafsson. Außerdem wird Krüger mit Lutz Seiler und Ryszard Krynicki ins Gespräch kommen. Der aus Gera gebürtige Seiler ist Leiter des Peter-Huchel-Hauses in Wilhelmshorst, wo er, sofern er nicht in Stockholm weilt, auch lebt, und ist mit Gedichten – erinnert sei nur an den Suhrkamp-Band „Pech & Blende“ von 2000 – mit Erzählungen und zuletzt mit dem Roman „Kruso“, der ihm den Uwe-Johnson-Preis und den Deutschen Literaturpreis einbrachte, bekannt geworden.
Über sein poetologisches Selbstverständnis sagt Seiler: „Jedes Gedicht ist auf der Suche nach einer Vergangenheit, die zu dem Moment der Gegenwart gehört, in dem es erstmals aufleuchtete.“ Ryszard Krynicki, der sich mit Krüger das Geburtsjahr teilt, hat Celan und Benn, Brecht, Nelly Sachs und Reiner Kunze ins Polnische übertragen, einen renommierten Verlag gegründet und feine, feinsinnige und sinnliche Gedichte geschrieben (die wiederum Karl Dedecius und Esther Kinsky ins Deutsche gebracht haben). Lyrik hat für Krynicki einen „sehr persönlichen Charakter. Sie ist für mich eine Art Bekenntnis.“
Hinzuweisen ist zuletzt noch auf Hanns-Josef Ortheil, der zu einer Sonntagsmatinée in die Alte Vogtei zu Burgkunstadt kommen wird. Er liest aus seinem jüngsten Roman „Rom, Villa Massimo“. Wie man es von Ortheil kennt, geht es darin um die Küche und den Wein, auch um die Liebe. Und um einen Stipendiaten aus Wuppertal, der sich an einem großen Rom-Gedicht versucht. Ortheil selbst weiß: „Es gibt nichts Schöneres und Schwierigeres in der Literatur als große Lyrik.“ Vielleicht liegt darin ja der Grund, dass er, der einmal Pianist hatte werden wollen und immerhin das Schumann-Konzert spielte, keine Gedichte schreibt. Anders als Michael Krüger. Weil es so schön, weil es so bewegend, weil es so kurz ist, hier zum Ausklang dessen Gedicht „Das elfte Gebot“: „Du sollst / nicht sterben, // bitte.“
Copyright Fotos:
Foto Julian Prégardien (13.10.), © B. Aumüller
Foto Lutz Seiler (13.10.), © privat
Foto Michael Krüger (15.10.), © privat
Foto Edgar Krapp (14.10.), © D. Hehl
Foto Ryszard Krynicki (13.10.), © M. Lepecki
Foto Anne Sofie von Otter (12. u. 15.10.), © R. Dumas/Naive