Eine internationale Musikbegegnungsstätte von Rang
Das Haus Marteau in Lichtenberg
veröffentlicht am 08.10.2015 | Lesezeit: ca. 5 Min.
Im oberfränkischen Lichtenberg, das dem Landkreis Hof angehört, liegt, nur wenige Steinwürfe von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt, das Haus Marteau. In den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Geiger Henri Marteau sich diese Villa bauen lassen. Seit dem späten Oktober 1982 ist dort eine internationale, vom Bezirk Oberfranken getragene Musikbegegnungsstätte angesiedelt. Meisterkurse finden statt, Konzerte, ein Wettbewerb, Fortbildungen.
Henri Marteau war einer der großen Geiger in der Nachfolge Joseph Joachims. 1874 als Sohn eines französischen Fabrikbesitzers und einer aus Dresden stammenden Mutter, die Klavier spielte, im nordfranzösischen Reims geboren, begann Marteau als Fünfjähriger mit dem Violinspiel. 1887 gab er in Wien Max Bruchs g-Moll-Konzert und machte dabei die Bekanntschaft von Johannes Brahms, dessen Violinkonzert op. 77 er als Erster in den USA spielen sollte. Seit 1900 hatte Marteau eine Professur am Conservatoire in Genf inne, im Juli 1908 wurde er dann tatsächlich Nachfolger von Joseph Joachim an der Königlich Akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst in Berlin.
Eine enge Künstlerfreundschaft verband ihn mit dem Oberpfälzer Max Reger, mit dem er über ein halbes Hundert Konzerte bestritt, und er pflegte Kontakt zu Jules Massenet und Charles Gounod, zu Béla Bartok und Peter Tschaikowsky. Marteau selbst hat Kammermusik geschrieben, Werke für Orchester und Vokalmusik (man plant in Lichtenberg gerade, die Kompositionen neu aufzulegen; auch eine CD-Reihe soll bald folgen). Im Übrigen war Marteau der erste Geiger überhaupt, der ein Solowerk von Johann Sebastian Bach einspielte, die E-Dur-Partita, 1912. Auch Sarasates hochvirtuose Carmen-Fantasie hat er aufgezeichnet, und Harald Eggebrecht spricht ihm in seinem Standardwerk über „Große Geiger“ eine „elegante Akkuratesse“ zu, führt ein „sehr zurückhaltendes und langsam schwingendes“ Vibrato an. 1934 starb Marteau in seiner Lichtenberger Villa, in der er Sommerkurse gehalten und auch Einzelunterricht gegeben hatte. Seine Witwe sollte ihn um 43 Jahre überleben.
Der pädagogische Geist Henri Marteaus lebt in der internationalen Musikbegegnungsstätte weiter. Wichtigstes Standbein sind die Meisterkurse, für die ein ums andere Mal renommierte Dozenten gewonnen werden. Jetzt im Oktober beispielsweise kommt Peter Sadlo nach Lichtenberg, einer der besten Percussionisten unserer Tage und, seit 2007, Künstlerischer Berater des Hauses Marteau. Er wird ein Probespieltraining für Pauke und Schlagzeug offerieren, und da die Begegnungsstätte immer wieder auch auf Reisen geht, ist Sadlo, der schon mit zwanzig Jahren von Sergiu Celibidache als Solopauker der Münchner Philharmoniker verpflichtet worden war, am 30. Oktober mit seinen Meisterschülern im Bürgersaal von Stegaurach zu Gast.
Im September unterrichtete Markus Wolf, Erster Konzertmeister der Bayerischen Staatsoper München, in Lichtenberg. Wolf ist von der einzigartigen Atmosphäre begeistert: „Wir atmen in dieser Villa quasi den Geist dieses berühmten und großartigen Geigers Henri Marteau.“ Ständiger Gast in der Villa ist seit Jahren die Flötistin Andrea Lieberknecht, die an der Münchner Musikhochschule lehrt. „Haus Marteau bietet ideale Möglichkeiten zum Üben, die entzückende Natur und der wunderschöne Park entspannen Körper und Geist“, sagt Lieberknecht, die das durch die Abgeschiedenheit des Ortes mögliche konzentrierte Arbeiten schätzt. Und der enorm engagierte Peter Sadlo konstatiert: „Wir kümmern uns um Alte Musik genauso wie um das Orchesterspiel oder um die Kammermusik.“
Im November wird der Geiger Ingolf Turban die Kunst des effizienten Übens vermitteln, die Kursteilnehmer dürfen ihr Repertoire frei wählen. Insgesamt werden in der Saison 2015/2016 über drei Dutzend Kurse für junge Talente angeboten. An ihrem Abschluss steht jeweils ein der Öffentlichkeit zugängliches Konzert, entweder im Haus Marteau selbst, oder aber an verschiedenen, oft ungewöhnlichen Spielorten in ganz Oberfranken. Als Lehrkräfte sind echte Weltstars angekündigt. Da ist zum Beispiel der Bariton Thomas Quasthoff. Der Schüler von Charlotte Lehmann gewann 1988 den ARD-Wettbewerb und wurde sechsmal mit dem Echo-Preis ausgezeichnet, sowohl in der Kategorie Klassik als auch im Jazz.
Auch der vor allem als Wagner-Interpret geschätzte Tenor Siegfried Jerusalem kommt, nicht zum ersten Male, nach Lichtenberg. Und dann sind da noch die Sopranistinnen Cheryl Studer und Edda Moser, oder die Pianisten Wolfgang Manz und Bernd Glemser, und Wolfgang Gaag, von 1969 an Solo-Hornist der Bamberger Symphoniker, später des Radiosinfonieorchesters Stuttgart, zuletzt der Münchner Philharmoniker, der sich vor allem um den Ansatz und die Atmung der Kursteilnehmer kümmern wird. Nicht zu vergessen ist die Zusammenarbeit mit den Hofer Sinfonikern, die bei einer Sommerserenade aufspielen und außerdem für den Internationalen Violinwettbewerb Henri Marteau verantwortlich zeichnen. Dessen Namensgeber lebt weiter, zumindest in seiner Lichtenberger Villa.
Copyright Fotos:
Haus Marteau, Fotos © Christian Porsch, Bezirk Oberfranken
Peter Sadlo, Foto © Hubert Lankes
Haus Marteau, Foto © Christian Porsch, Bezirk Oberfranken