Szene

Der Typ von nebenan

Stefan Sulke gastiert am 19. November in Hassfurt

veröffentlicht am 09.10.2015 | Lesezeit: ca. 5 Min.

Stefan Sulke. Für Freunde deutscher Chansons ist er so etwas wie der Grand Seigneur. Der mittlerweile 71jährige prägte das Genre so früh wie kaum ein anderer und vor allem so nachhaltig wie nur wenige - ohne dabei jemals in die Belle Etage der deutschsprachigen Liedermacher vorgedrungen zu sein. Am 19. November gastiert der in Shanghai geborene Wahl-Schweizer in der Haßfurter Stadthalle. Ein Termin, den man sich im Kalender rot markieren sollte. Allzu oft wird diese Gelegenheit schließlich nicht wiederkommen.

Sulke, dessen Vergangenheit immer wieder von akuter Auftrittsmüdigkeit und schöpferischen Pausen geprägt war, geht auf seine alten Tage noch einmal über zur Bühnenoffensive. Für ihn waren es nie die Bretter, die die Welt bedeuteten. Dabei hat er, der sich selbst als „Kindskopf“ bezeichnet und nie seinen jugendlichen Charme verlor, so viele zu erzählen. Und er tut es so schön und humorvoll frech wie nur wenige Nachkömmlinge jüngerer Generationen. Sulke hielt sich nie für den Mittelpunkt der Chansonerie. Wir verdanken ihm große Hits, die niemals alt werden wie etwa „Uschi“, „Der Typ von nebenan“, oder auch „Lotte“. Die Schweizer Musikerlegende Stephan Sulke komponiert, singt, unterhält und lebt für seine Musik und genau deshalb halten ihm seine Fans die Treue. Er, der rein optisch an eine misslungene Mischung aus pensioniertem Amtsstubenhenkel und passionierten Pfarrer erinnert, trifft dabei stets den Zahn der Zeit. Als er vor vielen Jahren sang: „Du lieber Gott, komm doch mal runter, ich schwör dir, dass man hier verzweifeln kann“, wusste er von aktuellen Entwicklungen an allen Fronten noch nicht viel. Woher auch? Doch egal, zu welcher Zeit man diese Zeilen hörte: Sie passten einfach. Schließlich ist Sulke nicht nur humorvoll frech, sondern auch nachdenklich mahnend. Dabei ist es weniger der gehobene Zeigefinger, der die Leute nachdenklich stimmt. Vielmehr legt er subtil den Finger in Wunden und säuselt seine Botschaften eingebettet im Klang seiner Gitarre zu den Menschen.

Sulke, gerne als der Spitzbube unter den Liedermachern tituliert, hat einen großen Fundus an Themen in der eigenen Vergangenheit. 1943 als Sohn geflüchteter Berliner Juden in Shanghai geboren, nahm seine Leben viele geplante und ungeplante Änderungen. Er nahm sie, wie sie kamen. Und zog aus vielen seiner Erlebnisse Textpassagen heraus. „Enten hätt ich züchten sollen“, nannte er seinen vorerst finalen Langspielplayer. Ein Synonym für verpasste Gelegenheiten, falsche Entscheidungen und Entwicklungen. Personifizieren kann man dies auf vieles im Leben. Seinen Ursprung hatte der Titel im zwischenmenschlichen Bereich - inzwischen steht er längst für vieles alltägliches. Auch bei Sulke, der mehrfach seine Bühnen- und Musikerkarriere ruhen ließ, um sich den weit weniger stressigen Facetten des Lebens zu widmen. Ob als Bildhauer, Maler und Kindermusical-Schreiber - der in Bern beheimatete Sulke ließ sich nur selten in eine Schublade stecken. Dabei hätte er Anfang der 80er-Jahre die große Möglichkeit gehabt, im Musikbusiness groß durchzustarten. Sein Allzeitklassiker „Uschi (....mach keinen Quatsch)“, ein ungewöhnlich ohrwurmiger Titel aus seiner Feder, startete in den Charts durch, avancierte zum Kultschlager. Sulke hatte zwei Möglichkeiten: Sich und seiner Passion treu zu bleiben oder in den Olymp der großen Liedermacher auf- (ab-?)zusteigen. Sulke entschied sich - man mag sagen fast erwartungsgemäß - gegen den Kommerz und für sich und seinen Lebensweg.

Und so tourt er zusammen mit seiner Gitarre und seinem Flügel bis heute durch die kleinen Konzertsäle der Republik, kann sich auf eine verlässliche Anhängerschaft freuen und gewinnt noch immer an neuen Freunden dazu. Nicht zu unrecht. Ist er doch einer, der auf den deutschsprachigen Bühnen Kultstatus genießt, da er den Kommerz eben nicht suchte. Ein bisschen trauert er dem manchmal wohl doch noch nach. In einem Interview mit „Der Westen“ offenbarte er schon vor einigen Jahren, dass er immer zu früh dran gewesen sei. Der ganz große Reibach blieb ihm daher versagt. Er kann es verschmerzen. Von vielen in der breiten Öffentlichkeit reduziert auf „Uschi“, einem Song der eher zufällig den Weg auf seine Platte fand und genauso überraschend plötzlich zum Gassenhauer avancierte, beweist Sulke ein ums andere Mal wie facettenreich er das Leben Revue passieren lässt. Vielleicht bietet sich tatsächlich letztmalig die Möglichkeit, den Schweizer live auf der Bühne zu sehen. Er kündigte an, dass die „Der Typ von nebenan“-Tour seine letzte Konzertreise sein wird - aber mit seinem Alter und dem möglichen Karriereende kokettierte Sulke seit Jahren immer wieder. Um dann zurückzukommen wie guter Rotwein. Noch einen Tick älter, im (gesanglichen und textlichen) Bukett gereift und am Ende mit einem gedanklich haften bleibenden Abgang. Einfach Sulke. Jung, trotzköpfig und doch routiniert und pointiert.

Foto Stephan Sulke, © Pressefoto

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